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Russisch-Ukrainischer KriegPutin bleibt trotz der vielen Toten hart

Lesezeit 6 Minuten
This handout photograph taken and released by Ukrainian State Emergency Service Press Service on May 25, 2025 shows a fire in damaged houses following Russian strike in Kyiv region, amid Russian invasion in Ukraine. Russian strikes killed three people in the Kyiv region overnight, a Ukrainian official said on May 25, 2025, as the two countries fired drones towards each other's capitals. "Unfortunately, three people died last night as a result of an enemy attack in the Kyiv region," Mykola Kalashnyk, who heads the regional military administration, wrote in a Telegram post. (Photo by Handout / Ukrainian State Emergency Service Press Service / AFP) / RESTRICTED TO EDITORIAL USE - MANDATORY CREDIT "AFP PHOTO / Ukrainian State Emergency Service Press Service" - HANDOUT - NO MARKETING NO ADVERTISING CAMPAIGNS - DISTRIBUTED AS A SERVICE TO CLIENTS

Ein Wohnviertel in der Nähe Kiew nach einem russischen Drohnenangriff am 25. Mai. Allein bei dieser Attacke starben drei Menschen. Das Foto stammt vom ukrainischen Rettungsdienst.

Die Ukraine leidet unter neuen schweren russischen Angriffen. Was kann die neue Hilfszusage von Bundeskanzler Friedrich Merz bewirken? Und was ist von einem neuen russischen Gesprächsangebot zu halten?

Kremlsprecher Dmitri Peskow hat eine Antwort auf die Frage, warum der russische Angriffskrieg gegen die Ukraine immer weitergeht: Bundeskanzler Friedrich Merz (CDU) provoziere eine Weiterführung des Krieges, sagte Peskow am Mittwoch nach dem Berlin-Besuch des ukrainischen Präsidenten Wolodymyr Selenskyj. Und der russische Außenminister Sergej Lawrow behauptete, Deutschland lasse sich direkt in den Krieg hineinziehen. Das tat er am gleichen Tag, an dem er die Bereitschaft seines Landes erklärte, der Ukraine am Montag ein „Memorandum“ mit Forderungen vorzulegen. Aus der Parallelität ist schon abzuleiten, wie wenig Lawrow von dem Termin erwartet.

Was hat Selenskyj bei Merz erreicht?

Dabei war Selenskyj bei einem seiner wichtigsten Wünsche nicht weitergekommen: Der ukrainische Präsident reiste zwar mit Hilfszusagen im Volumen von fünf Milliarden Euro nach Hause. Dagegen vermied Merz eine Festlegung beim Thema Taurus. Vor der Bundestagswahl hatte er dafür plädiert, der Ukraine bunkerbrechende Marschflugkörper dieses Typs mit einer Reichweite von 500 Kilometern zu liefern. Nach dem Treffen mit Selenskyj sagte Merz dem ZDF nur, die Lieferung liege „im Bereich des Möglichen“.

Dagegen erhalten die Ukrainer nun neue Iris-Luftabwehrsysteme und können darauf bauen, dass Berlin ihre Versorgung mit dem satellitengestützten Kommunikationssystem Starlink finanziell unterstützt. Und: Merz sicherte seinem Gast zu, dass Deutschland der ukrainischen Rüstungsindustrie hilft – auch beim Bau von Lenkwaffen. Ohne Reichweitenbegrenzung, wie der Kanzler betonte. Um welche Waffen es sich handeln soll, wurde nicht gesagt, lässt sich aber an den Fingern abzählen: Die Ukraine baut Raketen des Typs Hrim (deutsch: Donner) 2 mit 450 Kilometer Reichweite und den Marschflugkörper Neptun-MD, der 1000 Kilometer weit fliegen kann, und sie setzt auch Drohnen gegen Ziele tief in russischem Gebiet ein.

Warum braucht die Ukraine weitreichende Waffen?

Selenskyjs Abreise nach nur wenigen Stunden in Berlin wirkte überstürzt. Die ukrainische Botschaft in Berlin dementierte zwar Berichte, der Präsident sei wegen einer drohenden russischen Großoffensive früh heimgekehrt. Selenskyj selbst aber hatte schon am Montag gesagt, es gebe viele Anzeichen dafür, dass Russland „neue Angriffsoperationen“ vorbereite.

Nach ukrainischer Darstellung baut Russland eine Streitmacht von 50.000 Soldaten für einen Angriff in Richtung der Großstadt Sumy auf. Seit Tagen überzieht Russland ukrainische Wohngebiete mit massiven Drohnenangriffen. Am Mittwoch wurden drei Kinder beerdigt, die bei einem solchen Angriff auf die Kleinstadt Korostyschiw im Gebiet Schytomyr ums Leben gekommen waren – drei von mindestens 29 Zivilisten, deren Tod bei solchen Attacken die Nachrichtenagentur dpa im Mai meldete. Bei den besonders schweren Angriffen am 25. und 26. Mai wurden jeweils über 300 Drohnen eingesetzt. Nach Angaben des ukrainischen Luftwaffensprechers Juirj Ihnat fliegen die im Iran entwickelten russischen Schahed-Drohnen, untermischt mit 40 Prozent Attrappen (Name: „Parody“) zur Ablenkung der Luftabwehr, mittlerweile zwei Kilometer hoch und können daher nicht mehr mit Handfeuerwaffen oder Maschinengewehren abgeschossen werden.

„Die Ukraine braucht zur Unterstützung der Luftverteidigung auch Abstandswaffen, um russische Flugplätze, Startrampen, Munitionslager und Drohnenfabriken zu bedrohen“, hat der deutsche Sicherheitsexperte Nico Lange bilanziert. Schon jetzt gelingen der Ukraine Schläge gegen kriegswichtige Industrieanlagen in Russland. In dieser Woche etwa gegen Werke für Drohnensteuerungen und Mikroelektronik in Dubna und Selenograd bei Moskau, gegen eine Drohnenfabrik in der Republik Tatarstan, ein Werk für Zündmittel im Bezirk Wladimir und eine Chemiefabrik in Kineschma, 350 Kilometer nordöstlich von Moskau. Seit Mitte Februar sind aber keine Angriffe auf russische Raffinerien mehr bekannt geworden.

Wie entwickelt sich die Lage am Boden?

Unterdessen bleibt Russland im Bodenkrieg bei seinem Kurs, trotz massiver ukrainischer Gegenwehr Stück für Stück voranzukommen. In den letzten vier Monaten des Jahres 2024 nahm Russland nach einer Rechnung des Institute for the Study of War (ISW) 59 Tote und Verwundete pro erobertem Quadratkilometer in Kauf. Das Tempo des Vordringens sei bis Ende April geringer geworden, die Verluste aber seien kaum zurückgegangen.

Beide Seiten setzen Lenkdrohnen an Glasfaserkabeln ein, die nicht durch Störsender abgelenkt werden können und den Einsatz von Fahrzeugen an der Front erschweren. Intensive Kämpfe gibt es im Donbass. Kostjantyniwka südwestlich von Toretsk könnte, so Lange, zum neuen Bachmut werden.

Bei Pokrowsk im Westen des Donbass hat die Ukraine die Lage stabilisieren könnten. Sollten die Angreifer hier trotzdem vorankommen, droht ein Eindringen in den zentralukrainischen Nachbarbezirk Dnipropetrowsk.

Im Bezirk Sumy weit im Nordosten hat die russische Armee kleinere Orte eingenommen. Sie greift auch bei Wowtschansk im Bezirk Charkiw und bei Welyka Nowosilka – Bezirk Donezk, aber nahe am teilweise schon besetzten Bezirk Saporischschja – an. Ziel könnte es nach Einschätzung des Institute for the Study of War sein, die drei Großstädte Sumy, Charkiw und Saporischschja in Reichweite russischer Rohrartillerie zu bringen.

Eine „Pufferzone“ entlang der ukrainischen Grenze hatte der russische Präsident Wladimir Putin vor einer Woche angekündigt. Die Ukraine ihrerseits, die mit ihrer Kursk-Offensive im August 2024 offenbar versucht hatte, russische Truppen zu binden – ein Erfolg hätte auch Sumy vor Angriffen schützen können –, kontrolliert nur noch kleine Randgebiete in den russischen Bezirken Kursk und Belgorod.

Gibt es nun Aussicht auf Verhandlungen?

Trotz der hohen Verluste hat Moskau den ukrainischen Vorschlag einer 30-Tage-Waffenruhe zurückgewiesen. Was wird da wohl am kommenden Montag im „Memorandum“ stehen?

Die „Grundursachen der Krise“ müssten überwunden werden, meinte Lawrow – das ist der Code für die bekannte russische Position, nach der die Ukraine nicht nur auf eine Nato-Mitgliedschaft verzichten, sondern auch weitgehend entwaffnet werden und unter russische Hegemonie geraten soll. Die Nachrichtenagentur Reuters will aus internen Moskauer Quellen erfahren haben, dass die Position des russischen Präsidenten Wladimir Putin in territorialen Fragen sich sogar verhärtet habe. Auch wenn Russland nach Zählung des Portals Oryx allein 4000 Kampfpanzer im Krieg verloren hat (zum Vergleich: Bei der Ukraine sind es 1200). Und auch wenn nach Angaben, die ein anonymer Nato-Offizieller Anfang April machte, 250.000 russische Soldaten im Krieg gefallen sein und 650.000 verwundet worden sein sollen. Im Klartext: 0,5 Prozent aller russischen Männer im erwerbsfähigen Alter sind demnach in Putins Krieg ums Leben gekommen. Das verschärft Russlands demografische Krise, mag aber ein Motiv sein, mit Zwang Neubürger zu gewinnen. Im März 2025 ordnete Putin an, dass die Bewohner der besetzten ukrainischen Gebiete bis zum 10. September Russen werden oder ihre Heimat verlassen müssten.

Auf ukrainischer Seite zählt das Register ualosses 76.010 Kriegstote, und in der ukrainischen Bevölkerung wächst die Bereitschaft zu Zugeständnissen: 51 Prozent von 2000 befragten Ukrainern waren Anfang Dezember gegen jede territoriale Konzession an Russland. 38 Prozent waren zu solchen Zugeständnissen bereit, „um so schnell wie möglich Frieden zu erreichen und die Unabhängigkeit zu bewahren“, so das Kiewer Internationale Institut für Soziologie (KIIS). Ein Jahr zuvor waren 74 Prozent gegen jede Gebietsaufgabe, 19 Prozent wollten sie hinnehmen.

Die seit Herbst 2022 bekannten Vorbedingungen Russlands für Friedensverhandlungen aber gehen weit über die Hinnahme russischer Kontrolle über schon besetzte Gebiete hinaus. Die Ukraine soll auf die kompletten Bezirke Donezk, Luhansk, Saporischschja und Cherson verzichten. Ihre Armee müsse dort „ihre Waffen niederlegen und sich zurückziehen“, verlangte Kreml-Sprecher Peskow im April im französischen Magazin „Le Point“. Dabei dürfte Moskau am Montag bleiben.