Nach dem medienwirksamen Franziskus regiert ein Pontifex, der bewusst auf große Gesten verzichtet. Selbst wichtige Audienzen bleiben ohne erkennbare Botschaften.
Leo XIV. ein halbes Jahr im AmtWarum man so wenig vom neuen Papst mitbekommt

Papst Leo XIV. leitet eine Messe im Petersdom im Vatikan
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Die Mitteilung fiel selbst für Vatikan-Verhältnisse schmallippig aus. „Der Heilige Vater hat heute Morgen Seine Exzellenz Monsignore Georg Bätzing in Audienz empfangen, den Bischof von Limburg und Vorsitzenden der Deutschen Bischofskonferenz“ – Punkt.
Mit diesem einen Satz informierte der Heilige Stuhl die Weltöffentlichkeit vor einigen Wochen über den Antrittsbesuch des deutschen Bischofs Bätzing beim neuen Papst Leo, der gerade in Deutschland mit Spannung erwartet worden war. Welche Themen dem Papst am Herzen liegen, wie er so tickt im persönlichen Austausch und wie er vielleicht speziell über die Katholiken in Deutschland denkt: Zu all dem hatten sich Beobachter im Vorfeld des Gesprächs zumindest einige wenige Hinweise erwartet, so wie es auch bei vergleichbaren Gelegenheiten noch unter Papst Franziskus üblich gewesen war. Aber diesmal?
Ein Papst ohne Knalleffekte
Er habe den neuen Papst als „aufmerksamen Zuhörer und interessierten Seelsorger erlebt“, sagte Bischof Bätzing im Anschluss. Es klang auch nicht aufschlussreicher als das, was dem Vatikan zu der Begegnung eingefallen war.
Es ist mittlerweile ein halbes Jahr her, dass der Amerikaner Robert Francis Prevost als Leo XIV. den Papstthron bestieg, und zwar nach einem Konklave, das Millionen Menschen auf der ganzen Welt elektrisierte. Die Aufregung war so groß, weil sich Leos Vorgänger Franziskus nach dessen Wahl buchstäblich über Nacht in eine internationale Medienikone verwandelt hatte. Als selbst ernannter Prophet einer neuen, bescheideneren Kirche. Als Papst der Armen.
Aber wer auf ähnliche Knalleffekte mit dem neuen Papst gehofft hatte, sieht sich längst enttäuscht. Was Leo vorhat und welche Art von Kirche ihm vorschwebt, darüber weiß die Öffentlichkeit heute kaum mehr als am 8. Mai, dem Tag seiner Wahl.
Leo XIV. bleibt im Hintergrund
Entsprechend selten schafft es Leo überhaupt noch in die Nachrichten, gerade in Deutschland – es gibt ja nichts zu berichten, nicht einmal, wenn der Vorsitzende der Deutschen Bischofskonferenz zum Antrittsbesuch nach Rom reist. Auf den allgegenwärtigen Franziskus ist ein Mann gefolgt, der bisher über weite Strecken geradezu unsichtbar bleibt. Und nicht nur die Gläubigen, auch viele Insider fragen sich schon, ob Leo einfach nicht anders will. Oder nicht anders kann.
Hört man sich unter Eingeweihten um, die den Papst aus der Nähe erleben, so wird die neue Unauffälligkeit allerdings zumindest innerhalb des Vatikans als eher wohltuend empfunden.
„Nicht mehr so mürrisch wie sein Vorgänger“ „Leo nimmt seinen Apparat ernst“, sagt ein Mann aus der Kurienverwaltung, und er meint damit: anders als Franziskus, der gerade zu Beginn seines Pontifikates die eigenen Leute öffentlich als „mental und spirituell erstarrt“ abgekanzelt hatte. Leo wolle die eigene Verwaltung erst einmal kennenlernen und lasse sich Zeit für lange Gespräche, bevor er über neue Köpfe und Strukturen entscheide, heißt es weiter. Der studierte Mathematiker sei ein analytischer Typ, dem Schnellschüsse fremd seien.
Neue Klarheit im Vatikan
Der Papst verhalte sich im persönlichen Gespräch mit Mitarbeitern „freundlich, nicht mehr so mürrisch wie sein Vorgänger“, bestätigt ein anderer Kenner in Rom. Leo soll lediglich kritisch geäußert haben, dass er künftig „nur noch eine Kurie“ wolle: Franziskus hatte abseits der offiziellen Organigramme stets ein unübersichtliches System ihm persönlich zugeordneter Schattenreferenten unterhalten, aus Misstrauen gegenüber der alteingesessenen Vatikanverwaltung. Der gelernte Kirchenrechtler Leo, so klingt das, ist bei aller öffentlichen Zurückhaltung zumindest wieder ein Freund klarer formaler Verhältnisse.
Tatsächlich deutet auch das Wenige, was man sonst über Leos kirchenpolitische Ausrichtung sagen kann, auf ein sanftes Zurückdrehen mancher jüngeren Entwicklungen hin. Schon rein äußerlich: Nicht nur, dass er wieder mehr Wert auf Tradition bei seiner liturgischen Kleidung legt und zum Beispiel häufig die rote Mozzetta trägt, einen Schulterumhang, auf den sein Vorgänger stets verzichtete. Franziskus mied auch den ruhigen, weitläufigen Landsitz der Päpste, Castel Gandolfo: Weil er ihn zu höfisch fand, suchte er ihn nicht einmal in den Sommerferien auf. Leo lässt sich jeden Montagabend nach der römischen Rushhour dorthin fahren.
Wohnsituation als Hindernis
Zugleich gilt die aktuelle Wohnsituation des Papstes intern auch als ein möglicher Grund, warum sein Pontifikat noch nicht so richtig in Schwung gekommen sein könnte. Bereits wenige Tage nach der Wahl hatte Leo mitteilen lassen, dass er anders als Franziskus wieder im Apostolischen Palast wohnen will. Die dortigen Papstgemächer, in denen zuletzt Benedikt XVI. residierte, werden aber noch renoviert, und Leo wohnt weiter in seiner bisherigen Kardinalswohnung im Palast des Dikasteriums für die Glaubenslehre, der ehemaligen Inquisition: ein Provisorium, das seinen Start womöglich erschwert.

Vatikanstadt: Papst Leo XIV. segnet ein Kind während einer Jubiläumsaudienz unter freiem Himmel auf dem Petersplatz im Vatikan.
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Zugleich heißt es, wuchtige eigene Standortbestimmungen seien ohnehin erst nach Ablauf des Heiligen Jahres zu erwarten, das derzeit in Rom begangen wird: Noch bis zum 6. Januar richtet der Vatikan alle möglichen Sonderveranstaltungen für Staatsgäste und Pilger aus aller Welt aus. Diese Phase höchster Betriebsamkeit ist womöglich nicht die ideale Zeit, um das halbe Spitzenpersonal auszutauschen – falls Leo das überhaupt beabsichtigt.
Umgang mit deutschen Progressiven
Und die Deutschen? Die Verwunderung, die schon unter Franziskus im Vatikan über die mehrheitlich progressiven deutschen Bischöfe herrschte, scheint im neuen Pontifikat eher zu den Kontinuitäten zu gehören. In seinem ersten großen Interview nach seiner Wahl etwa sprach Leo Mitte September mit dem amerikanischen Online-Portal Crux über katholische Segnungen gleichgeschlechtlicher Paare.
„In Nordeuropa“, kritisierte der Papst, würden bereits „Rituale zur Segnung von ,Menschen, die sich lieben“ veröffentlicht, was „nicht der Lehre der Kirche“ entspreche. Davon durfte sich vor allem die Deutsche Bischofskonferenz angesprochen fühlen, die gemeinsam mit dem Zentralkomitee der deutschen Katholiken (ZdK) erst wenige Wochen zuvor eine solche „Handreichung“ für „Segnungen für Paare, die sich lieben“ herausgegeben hatte.
Ob das Thema auch bei der Privataudienz von Bischof Bätzing bei Leo eine Rolle gespielt hat? Beide Seiten, die Bischofskonferenz wie der Vatikan, hielten sich auch dazu bedeckt. „Ich bin sehr froh, dass Papst Leo XIV. die Kirche in Deutschland mit Vertrauen begleitet“, sagte Bätzing nur. Ein Statement, das es ebenfalls nicht in die Schlagzeilen geschafft hat.

