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Völkerrechtler zum Ukraine-Krieg"Nicht auf Putins Logik einlassen"

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Ukraine, Biskwitne: Ein Mann fotografiert einen zerstörten russischen Hubschrauber.

  • Wann wird wer Kriegspartei?
  • Und wie können die von Russland angerichteten Schäden in der Ukraine wieder gut gemacht werden?
  • Raimund Neuß fragte den Bonner Völkerrechtler Matthias Herdegen.

Bonn – Viele Leute machen sich Sorgen, dass unser Land in den Ukraine-Krieg sozusagen hineingezogen würde. Aber wann kann man feststellen, dass sich ein Staat mit Russland im Kriegszustand befindet?

Matthias Herdegen: Schon seit dem Zweiten Weltkrieg ist die förmliche Kriegserklärung weitgehend außer Gebrauch geraten, wir erleben einen faktischen Beginn von militärischen Konflikten. Ein westlicher Staat wäre unter zwei Voraussetzungen im Kriegszustand mit Russland: Entweder er greift mit eigenen Soldaten unmittelbar in das Kampfgeschehen ein. Das ist keine Option für die Bundesrepublik und die NATO. Die zweite Variante hängt nicht von unserm Willen ab, sondern ausschließlich von dem des russischen Gewalthabers: In dem Augenblick, in dem die russische Führung Ziele in einem NATO-Staat angreift, befindet dieser Staat sich in einem bewaffneten Konflikt mit der Russischen Föderation. Dabei hat die Diskussion in Deutschland unheimliche Züge. Sie unterwirft sich der Kriegslogik Putins und fragt: Wann könnte Herr Putin geneigt sein, uns in den Krieg zu ziehen? Was müssen wir tun, um diese Schwelle zu vermeiden? Damit lassen wir uns auf die Strategie des Kreml ein, der uns in einer permanenten Furcht halten möchte, wir könnten Kriegspartei werden. Das kann keine moralische Maxime sein.

Der russische Generalstabschef Valeri Gerassimow spricht aber vom hybriden Krieg. Eine Kriegshandlung wäre es demnach schon, wenn Russland französische Rechtsextremisten sponsert oder wir russischen Bürgerrechtlern helfen.

Das ist eine politischen Gründen geschuldete Aufweichung des Kriegsbegriffs, die aber im Recht nicht nachvollzogen wird. Allerdings gibt es wirkliche Grauzonen mit einem militärischen Zusammenwirken von staatlichen und nichtstaatlichen Akteuren. So war von hybrider Kriegsführung  ja schon 2014 im Donbass die Rede. Aber es bleibt dabei: Deutschland wird nur Kriegspartei, wenn es eigene Soldaten einsetzt – das wird nicht geschehen – oder wenn Russland Ziele in Deutschland oder deutsche Soldaten angreift. Dann hätten auch wir einen bewaffneten Konflikt, und dann würde das Kriegsvölkerrecht oder, wie wir heute sagen, das humanitäre Völkerrecht gelten.

Und andere Formen der Unterstützung, die Lieferung von Waffen etwa oder von Satellitendaten, führen nicht zur Kriegsbeteiligung?

Alles, was sich unterhalb eines unmittelbaren Eingreifens in die Kampfhandlungen hält, macht uns noch nicht zur Konfliktpartei.

Nun ging dem Ukraine-Krieg ja ein Ultimatum an die NATO voraus. Das Kieler Institut für Sicherheitspolitik sah sie als konditionierte Kriegserklärung. Was bedeutet so ein Ultimatum?

Konditionierte Kriegserklärungen als mehr oder weniger verklausulierte Androhung militärischer Schritte lösen noch nicht einen bewaffneten Konflikt aus. Hier geht es um ein Instrument der Einschüchterung. Hinter solchen Ultimaten stehende Strategie ist ja, dass im Ungewissen bleibt, ob die erklärende Seite die Kondition als erfüllt ansieht und ob sie wirklich die unmittelbare militärische Konfrontation mit NATO-Staaten und damit den nordatlantischen Bündnisfall herbeiführen wird – was der Kreml offensichtlich bis jetzt vermeiden will.

Russland hat gleich zu Beginn des Ukraine-Krieges ein westliches Satellitennetzwerk angegriffen, die Ukraine wiederum nutzt solche Netzwerke auch militärisch. Liegt da nicht die Gefahr vor, dass die Grenze zum Kriegszustand überschritten wird?

In der Cyber-Kriegsführung ist es oft schwer, diese Grenze zu fixieren. Also wäre ich sehr vorsichtig damit, aus Cyber-Angriffen einen Kriegszustand herzuleiten. Dazu müsste es Cyber-Attacken geben, die in ihrer Wirkung dem Einsatz konventioneller Gewalt gleichkommen. Wenn ein Staat also mit einer Cyberattacke Kampflugzeuge eines andern Landes vom Himmel holt, wäre die Grenze überschritten.

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Es gibt Bedenken gegen die Lieferung sogenannte schwerer Waffen oder auch von Waffen, die größere Distanzen überwinden könnten, etwa Raketen, mit denen die Ukraine russisches Territorium erreichen könnte. Würde das etwas verändern?

Das sind zwei Fragen. Die Art des gelieferten Materials ist für die Frage des Kriegseintritts unerheblich – ob Stahlhelme, leichte Fahrzeuge oder auch Panzer. Entscheidend ist , dass wir unterhalb der Schwelle des direkten Einsatzes von Soldaten bleiben. Politisch hat die Art der gelieferten Waffen natürlich Auswirkungen, aber rechtlich bleiben wir unabhängig von der Art der Waffen im Rahmen einer völkerrechtlich legitimen Unterstützung der Selbstverteidigung der Ukraine, ohne selbst Kriegspartei zu werden.

Und wenn die Ukraine russisches Territorium beschießt?

Da ist das Völkerrecht ganz klar. Jeder Staat, der Opfer eines bewaffneten Angriffs ist, darf militärische Gewalt einsetzen, um sich des Angriff zu erwehren. Und selbstverständlich ist er nicht darauf beschränkt, nur auf seinem Gebiet zu operieren, sondern im Rahmen des Kriegsvölkerrechts darf er auch militärische Ziele auf dem Gebiet des Gegners angreifen.

Seit Jahrzehnten bemüht man sich um gewaltfreie Methoden der Konfliktregelung. Aber ein Urteil des Internationalen Gerichtshofs wird von Russland einfach ignoriert. Sind solche Institutionen nichts mehr wert?

Im Rahmen dessen, was das Gleichgewicht der Mächte hergibt erlaubt, haben sie in den letzten Jahrzehnten bei allen Defiziten eine wichtige befriedende Funktion erfüllt, vor allem seit dem Ende des „Kalten Krieges“. Der jetzige Epochenbruch besteht darin, dass ein ständiges Mitglied des UN-Sicherheitsrates, eine der der drei Großmächte im Weltdirektorium, die internationale Ordnung als Rechtsordnung aufkündigt. Es gab aber früher immer wieder auch von Seiten der USA ein Agieren in rechtlichen Grauzonen, aber man hat sich immer um eine völkerrechtliche Rechtfertigung bemüht, mal mehr, mal weniger überzeugend. Aber Russland sagt sich ganz offen vom Völkerrecht los und erklärt, Entscheidungen des Internationalen Gerichtshofs interessieren es nicht. Das ist ein Rückfall in eine Zeit, in der die Sowjetunion den Primat der Politik vor dem internationalen Recht ausgerufen hatte. Es war ein großer Fortschritt, als die Sowjetunion unter Michail Gorbatschow erklärte, dass alle Politik sich ans Völkerrecht zu halten habe. Das war ein Baustein zur „Neuen Weltordnung“, die Gorbatschow und der damalige US-Präsident George Bush ausgerufen hatten. Die war nur von kurzer Dauer. Wir werden aber hoffentlich wieder in Bahnen kommen, wo die beiden Komponenten einer funktionierenden internationalen Ordnung wieder für Frieden sorgen können: das Recht, das auch den Einsatz militärischer Gewalt beschränkt, und das Faktum eines Gleichgewichts, das dazu führt, dass diese regelbasierte Ordnung auch wieder eingehalten wird. Ich gehe davon aus, dass die Russische Föderation in ein, zwei Jahren eine andere sein wird als heute.

Mit einer anderen Regierung?

Jedenfalls werden sich dort sowohl die eigenen Positionierung in der Welt als auch Binnenstrukturen nachhaltig ändern. Denn Russland hat sich in eine Situation gebracht, wo es sich in absehbarer Zeit in einer anderen politischen, wirtschaftlichen und militärischen Gewichtsklasse wiederfinden dürfte als vor Kriegsbeginn.

Professor Matthias Herdegen

Prof. Matthias Herdegen, Jahrgang 1957, lehrt Öffentliches Recht und Völkerrecht an der Universität Bonn.  Zudem ist er Mitglied des Zentrums für Europäisches Wirtschaftsrecht und Direktor am Center for International Security and Governance der Universität Bonn. Er hat Lehrbücher zum Völker- und Europarecht verfasst  und sich in „Der Kampf um die Weltordnung“ (2018) mit dem Verhältnis von internationalem Recht und Machtverhältnissen befasst. (rn)

Nun hat auch die NATO im Kosovo ohne UN-Mandat interveniert ebenso wie westliche Staaten im Irak.

Beim Eingreifen im Kosovo ging es um den Schutz einer Zivilbevölkerung, die Opfer von Völkermord und ethnischen Säuberungen war – und diese systematischen Menschenrechtsverletzungen hatte auch der UN-Sicherheitsrat auch anerkannt. Die NATO hat sich dann zu einer humanitären Intervention entschlossen, die nach Meinung sehr vieler, wenn auch nicht aller Völkerrechtler auch völkerrechtlich legitim war. Also befinden wir uns einer Grauzone, aber das ist etwas anderes als eine Invasion, bei der es nicht einmal den Anschein eines Bemühens um Rechtfertigung gab. Der Einmarsch der USA und ihrer Verbündeten im Irak 2003 wird von den meisten Völkerrechtlern, auch von mir, als nicht rechtfertigungsfähig betrachtet. Aber auch hier hatten wir vorher eine Kaskade von Resolutionen des UN-Sicherheitsrates, die Saddam Hussein zum Schluss schwere Konsequenzen androhten – umstritten ist, ob hierin schon eine Ermächtigung zum Eingreifen lag. Ich verneine diese Frage, aber es war eine andere Situation als der gegenwärtige Überfall auf die Ukraine mit einem auch gegen die Zivilbevölkerung gerichteten Vernichtungsfeldzug.

Russland kann jedes Eingreifen des UN-Sicherheitsrates blockieren. Ist das Modell Sicherheitsrat erledigt?

Der Sicherheitsrat ist im Mark erschüttert, wenn ein besonders wichtiges Mitglied wie Russland sich von einer regelbasierten Ordnung prinzipiell verabschiedet. Es gibt auch von mir ventilierte Überlegungen, ob man die Russische Föderation nicht aus der UNO und dem Sicherheitsrat entfernen kann, denn sie ist ja irregulär hineingekommen. Ständiges Mitglied war laut UN-Charta die Sowjetunion, die ist aber untergegangen und mit ihr ihr Sitz im Sicherheitsrat. Die Übernahme durch Russland mit Unterstützung der anderen Nachfolgestaaten (auch der Ukraine) und mit Zustimmung des Westens setzte voraus, dass Russland die territoriale Ordnung als unverletzlich anerkennt. Das ist nicht mehr der Fall, und damit ist die Geschäftsgrundlage für das Nachrücken in die sowjetischen Position erschüttert. Noch denkt der Westen nicht laut an eine solche Konsequenz– wohl auch in der Hoffnung, es eines Tages mit einem anderen Russland zu tun zu haben.

Durch die Blockade ukrainischer Häfen droht in vielen Teilen der Welt eine Hungersnot. Was könnten die UN tun, um eine Öffnung der Häfen zu erreichen? Oder brauchen wir eine Koalition der Willigen, wie Litauen sie vorschlug?

Die humanitäre Katastrophe durch die Behinderung von Getreidelieferungen ist in der Tat ein großes Problem für die Welt – ich kann nicht abschätzen, ob Vorwürfe zutreffen, Russland wolle damit bewusst Fluchtbewegungen auslösen und so das westliche Europea destabilisieren. Der sauberste Weg wäre nun ein Mandat des UN-Sicherheitsrats, der ist aber blockiert. Es gibt aber eine Hilfskonstruktion, die bis in die Zeit des Korea-Krieges zurückreicht: Da ist die UN-Generalversammlung eingesprungen und hat Beschlüsse getroffen, die das militärische Eingreifen im Korea-Krieg rechtfertigten. Und die UN-Generalversammlung hat ausdrücklich auf diese Resolution „Uniting for Peace“ von 1950 Bezug genommen, als sie auf eine Beendigung der Feindseligkeiten und den Rückzug Russlands aus der Ukraine drängte. Auch das wäre eine Grauzone, aber so eine Resolution zur Öffnung eines Seekorridors wäre der einzig mögliche Weg über die Vereinten Nationen. Eine Koalition der Willigen wäre viel heikler. Sie müsste den Seekorridor ja auch militärisch absichern. Wir können uns nicht darauf verlassen, dass Russland so einen Korridor anerkennt, wenn er nur von einzelnen Staaten gebildet wird. Dann haben wir das Problem der militärischen Eskalation – und dann liegt die Frage der Kriegsbeteiligung näher als jetzt.

Müssen nicht auch andere internationale Institutionen etwas ändern? Die EU durch das ungarische Nein zum Ölembargo, die Nato durch die türkische Ablehnung der Kandidaten Schweden und Finnland?

Die Nato ist eine Art internationale Familie. Sie setzt auf Konsens, denn Staaten wollen sich in existenziellen Fragen ihrer Sicherheit ungern einer Mehrheitsentscheidung unterwerfen. Deshalb das Einstimmigkeitsprinzip, wie es ja auch in der Gemeinsamen Außen- und Sicherheitspolitik der Europäischen Union herrscht. Bei der Nato gehe ich davon aus, dass der türkische Widerstand taktische Funktion hat. Man will Schweden bei der Aufnahme kurdischer Führer Druck machen, man will die Aufhebung von US-amerikanischen Beschränkungen bei Rüstungsgütern erreichen. Bei der EU muss man sehen, dass einzelne Staaten wie Ungarn objektiv besonders abhängig von russischem Öl sind. Das kann man durch langgestreckte Übergangsfristen lösen.

Welche Möglichkeiten hat die internationale Gemeinschaft, um zumindest die Achtung des humanitären Völkerrechts im Krieg durchzusetzen?

In der Tat, das Erschreckende liegt nicht nur im Angriff als solchem, sondern auch in der Art der Kriegsführung. Es geht um humanitäre Standards, die zum Teil noch aus dem vorletzten Jahrhundert stammen. Also: Man greift nicht die Zivilbevölkerung des Gegners an, man misshandelt nicht gefangene Soldaten des Gegners. Deshalb liegt im russischen Feldzug ist ein Tabubruch, der jahrhundertealte zivilisatorische Errungenschaften auf dem Altar des militärischen Terrors opfert . Das hat auch nichts mit der Rationalität militärischer Vorteile zu tun. Der Kriegserfolg hängt ja nicht davon ab, ob man Gefangene korrekt behandelt oder nicht oder ganze Wohngebiete, Krankenhäuser und Schulen einäschert.

Es gibt nun Versuche, solche Verbrechen zu ahnden. Wir können einen Verdächtigen in Deutschland vor Gericht stellen, ein ukrainisches Gericht hat gerade einen russischen Soldaten zu lebenslanger Haft verurteilt – aber sollte das nicht besser der Internationale Strafgerichtshof tun?

Der Internationale Strafgerichtshof ist eigentlich nur subsidiär zuständig. Er wurde durch das Römische Statut für Fälle geschaffen, in denen eine ordnungsgemäße Aufarbeitung solcher Verbrechen im nationalen Rahmen nicht möglich ist. Das könnte auch vor deutschen Gerichten geschehen, so haben deutsche Gerichte einen afghanischen Leutnant wegen Kriegsverbrechen . Das kann eine abschreckende Wirkung haben: Soldaten müssen wissen, dass die strafrechtliche Verfolgung zur Realität werden kann. Und wir haben auch die Option, die politische und militärische Führung vor dem Internationalen Strafgerichtshof zur Verantwortung zu ziehen. Allerdings hat sich Russische Föderation sich nicht dem Römischen Statut des Internationalen Strafgerichtshofs unterworfen hat, aber die Ukraine ist damit einverstanden, dass der Ankläger in Den Haag Kriegsverbrechen oder Verbrechen gegen die Menschlichkeit auf ukrainischem Territorium untersuchen kann. Und es ist ja auch denkbar, dass eine neu formierte russische Staatlichkeit eines Tages solche Verbrechen selbst aufarbeitet. Das setzt aber einen radikalen Regimewechsel voraus.

Aber senkt nicht gerade die Drohung einer solchen Strafverfolgung die Chancen auf einen solchen Regimewechsel? Präsident Putin und seine Leute müssen in der Angst leben, dass sie bei einer Aufgabe ihrer Macht hinter Gitter kämen.

Dieses Problem haben wir in der Tat etwa bei der Befriedung von Bürgerkriegen. Rebellenführer wollten nicht aufgeben, weil sie Angst vor Auslieferung nach Den Haag hatten. Ich glaube aber nicht, dass wir dieses Problem im Kreml haben, wo Realität ja ohnehin ganz eigenartig wahrgenommen wird. Es wäre aber gar nicht schlecht, wenn der eine oder andere militärische Kommandeur im Hinterkopf hätte, dass ihm für Kriegsverbrechen Strafverfolgung drohen könnte.

Gibt es denn Hinweise für Verstöße gegen das humanitäre Völkerrecht durch die Ukraine?

Evident ist die massive Verletzung des humanitären Völkerrechts durch die russischen Streitkräfte, für die ukrainische Seite liegen mir keine Detailinformationen vor. Dass die systematische Verletzung des humanitären Völkerrechts prägendes Element einer auf Vernichtung und Terrorisierung der Zivilbevölkerung gerichteten Kriegsführung ist, das kann man nur für die russische Seite sagen.

Wenn der Krieg eines Tages zu Ende ist, läge es doch nahe, beschlagnahmtes russisches Vermögen für den Wiederaufbau der Ukraine zu verwenden. Geht das?

Die Überlegung liegt nahe. Sie stößt auch in Washington oder Brüssel auf Sympathie. Es geht immerhin um etwa 300 Milliarden € an Zentralbankvermögen und 30 Milliarden an Oligarchenwerten. Aber rechtlich ist die Frage komplex. Ein Kompensationsfonds aufgrund eines Beschlusses des UN-Sicherheitsrates wie nach dem irakischen Überfall auf Kuweit kommt nicht in Betracht, allenfalls eine Inanspruchnahme der schon erwähnten Notkompetenz der UN-Generalversammlung . Das Einfrieren der Vermögenswerte durch westliche Staaten an sich ist doppelt gerechtfertigt: Die Sanktionen unterstützen die Ukraine in ihrem Recht auf Selbstverteidigung. Zudem können wir sagen: Die Aggression Russlands und die russischen Kriegsverbrechen verletzen Pflichten, die ein Staat gegenüber jedem anderen Staat hat. Wir sprechen hier von ganz elementaren Verpflichtungen, die im Völkerrecht gegenüber der gesamten Staatengemeinschaft . Alle Staaten sind dabei in ihren Rechten verletzt und können mit einer Repressalie reagieren, also einer Gegenmaßnahme, die sonst nicht zulässig wäre. Das rechtfertigt das Einfrieren von Vermögenswerten. Aber das Verwerten der Vermögenswerte nach dauernder Einstellung der Feindseligkeiten ist schwerer zu begründen. Man könnte vielleicht argumentieren, die schwere Pflichtenverletzung gegenüber allen anderen Staaten setzte sich in einer Pflicht zur Wiedergutmachung fort, die sich dann durch die Überführung der Vermögenswerte etwa in einen Wiederaufbaufonds realisieren ließe. Das ist allerdings eine heikle Argumentation, und es wird noch schwieriger, wenn es nicht um staatliche, sondern um private Vermögenswerte geht. Aber es lohnt sich, diese besonders graue Grauzone näher auszuleuchten.

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