Umgang mit Missbrauchfotos„Vernichten ist nicht der richtige Weg“

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In diesem Haus wohnte der verstorbene Priester Edmund Dillinger, der wohl über Jahre hinweg Minderjährige missbraucht und diese Vorgänge selbst dokumentiert hat.

Das Haus des verstorbenen Priesters Edmund Dillinger im saarländischen Friedrichsthal: Hier fand sein Neffe die Beweisfotos.

Der schwere Missbrauchfall um einen verstorbenen Priester kann nur aufgeklärt werden, weil sein Neffe Beweisfotos in seinem Nachlass fand. Aber bereits deren Besitz ist strafbar. Was tun? Ein Interview

Was ist der richtige Umgang mit zufällig gefundenen kinderpornografischen Fotos? Der bloße Besitz ist strafbar – und zwar als Verbrechen. Über die Probleme dieser Regelung sprach Raimund Neuß mit Sonka Mehner, Vizepräsidentin des Deutschen Anwaltvereins.

Der Neffe des katholischen Pfarrers Edmund Dillinger hat teils kinderpornografische Fotos im Nachlass seines Onkels gefunden – und sich selbst angezeigt, weil der Besitz ja strafbar ist. Das könnte auch einem Computerhändler passieren, der einen Rechner repariert, oder Eltern, die den Klassenchat ihrer Kinder beanstanden. Machen sich diese Leute wirklich ohne Ausnahme strafbar?

Das ist genau das Problem. Im Sommer 2020 sind die Bestimmungen im Paragrafen 184b Strafgesetzbuch verschärft worden, und deshalb will Justizminister Marco Buschmann das auch wieder zurückdrehen. Man machte sich zwar auch früher durch den bloßen Besitz strafbar, aber das war kein Verbrechenstatbestand, es stand also keine Freiheitsstrafe von mindestens einem Jahr darauf. In Fällen, wie Sie sie erwähnt haben, konnte die Staatsanwaltschaft das Verfahren aus Opportunitätsgründen einstellen, niemandem ist dann etwas passiert. Heute, mit dem geänderten Recht, geht das nicht mehr.

Ohne Ausnahme?

Es kommt auf den Besitzwillen an. Wenn ich eine Kiste Dias oder einen Datenträger erbe und nicht weiß, was der Inhalt ist, mache ich mich nicht strafbar. Aber wenn ich den Inhalt festgestellt habe, wenn ich es im schlimmsten Fall jemandem zeige, liegt der Fall anders. Der einzige Weg ist die Selbstanzeige bei der Polizei. Bei einer Erbschaft könnte die Polizei dann sagen, ich hätte nicht vorsätzlich gehandelt und erkennbar keinen Besitzwillen an dem, was durch den Nachlass in meinen Besitz gelangt ist. Aber wenn ein Bild aus dem Klassenchat zunächst einmal automatisch runtergeladen wird und dann in den eigenen Dateien landet, wenn Eltern oder Lehrkräfte es dann an die Schulleitung weiterleiten oder jemand das Bild sichert, um es zur Anzeige zu bringen – dann hängen all diese Leute mit drin. Und alle müssen verfolgt werden, die Staatsanwaltschaft muss das zur Anklage bringen. Das ist das Problem der aktuellen Gesetzeslage. Die Amtsgerichte Wuppertal und München haben versucht, Normenkontrollverfahren dagegen anzustrengen. Diese Richtervorlagen wurden vom Bundesverfassungsgericht als unzulässig abgelehnt. Jetzt gibt es einen dritten Versuch durch das Amtsgericht Buchen, da kann man nur hoffen, dass das besser gehandhabt wird.

Wenn Eltern im Klassenchat ihrer Kinder auf solches Material treffen, was sollen sie tun? Spontan möchte man doch zu Schulleitung gehen, damit die eingreift.

Das wäre der falsche Weg. In so einem Fall können Sie nur mit Ihrem Kind und dessen Handy zur Polizei gehen.

Im Fall Dillinger ist der Finder zur Trierer Unabhängigen Aufarbeitungskommission für sexuellen Missbrauch gegangen. Der Vorsitzende, ein vom Land Rheinland-Pfalz entsandter Rechtsprofessor und Ex-Justizminister, soll gesagt haben, er müsse das Material zur Polizei bringen, die es aber wohl nicht annehmen werde, denn der mutmaßliche Täter sei ja tot. Dann bleibe nur die Vernichtung.

Gegen Tote findet keine Strafverfolgung statt, das hat der Professor wahrscheinlich gemeint. Aber auch in so einem Fall können andere, noch Lebende mit drinhängen. Es kann also verfolgbare Straftaten geben. Ich hätte das Material auf jeden Fall zur Polizei gebracht. Annehmen müssen die das. Die Staatsanwaltschaft muss dann letztlich entscheiden, was damit geschieht. Das liegt nicht in Kompetenz der Polizei. Vernichten ist nicht der richtige Weg, schon gar nicht, wenn ich doch will, dass der Fall aufgeklärt wird. Dass die Dias und Filme tatsächlich aus der Erbschaft stammen, hätte der Finder sicher glaubhaft machen können.

Ist die Reform, die Justizminister Buschmann plant, der richtige Weg? Oder schafft er nur neue Möglichkeiten zur Ausreden für Täter nach dem Muster: ich wollte doch nur etwas dokumentieren?

Jede Gesetzänderung bringt beides: Rechtssicherheit und neue Rechtsunsicherheit, denn jetzt müssen ja wieder Gerichte die neue Formulierung auslegen. Aber was Herr Buschmann plant, ist nur die Rückkehr zur alten Rechtslage, die es Jahrzehnte lang gab. Nachgedacht wird weiterhin über die Lösung der Probleme in der Strafzumessung über die Ergänzung des Paragraphen um einen sogenannten minderschweren Fall. Juristen, gerade auch der Deutsche Anwaltverein,  haben die Verschärfung von 2020 von Anfang an kritisiert, denn die Probleme waren absehbar, von der Überlastung der Justiz ganz zu schweigen. Da ist es der einzig richtige Weg, die Strafschärfungen wieder zurückzunehmen, wo es geboten ist.

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