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Singles bei TinderWie die Corona-Krise die Suche nach der Liebe verändert

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Dates in einem Café oder Restaurtant? Durch die Kontaktsperre zur Eindämmung der Corona-Pandemie unmöglich. Doch virtuell können sich Singles weiter treffen.

  • Macht Tindern überhaupt noch Spaß, wenn man sich wegen der Kontaktsperre nicht treffen darf?
  • Anscheinend ja, denn die Dating-App hat in der Corona-Krise mehr Nutzer als zuvor. Aber sie verhalten sich anders.
  • Zwei Singles erzählen, wie sich die Pandemie auf ihr Dating-Verhalten auswirkt.

Köln – Ein Kribbeln im Bauch, gespannt und ein wenig aufgeregt sein, ob das Gegenüber den Vorstellungen entspricht ­– all diese Gefühle, die bei einem ersten Date aufkommen, vermissen Singles derzeit. Durch die Kontaktsperre zur Eindämmung der Corona-Pandemie sind Verabredungen nicht erlaubt. Wie funktioniert sie also jetzt, die Suche nach der Liebe?

Sie wird komplett ins Internet verlagert. Beim Online-Dating können sich Menschen weiter kennenlernen – virtuell versteht sich. Das passiert häufig über Tinder, mit weltweit 5,7 Millionen Nutzern wohl die beliebteste Dating-App.  

Einen Wisch nach rechts, einen Wisch nach links – diese Bewegung macht Alexander* in den letzten Wochen häufiger als sonst. Der 25-jährige Kölner ist seit rund vier Monaten bei Tinder unterwegs.

Auf der Smartphone-App sehen die Nutzer Fotos mit kleinen Steckbriefen voneinander. Entscheiden sich beide Singles für einen Wisch nach rechts, haben sie ein Match und können sich Nachrichten schreiben. Durch die Krise habe Tinder einen regelrechten Boom erlebt. „Es ist fast schon einfacher, jemanden über die App kennenzulernen als vorher“, erzählt der Student. Seit der Corona-Pandemie verzeichnet Tinder auf der ganzen Welt 20 Prozent mehr Gespräche täglich und sie sind um 25 Prozent länger.

Tinder dient normalerweise der ersten Kontaktaufnahme

Vor Corona hat sich Alexander schnell mit einer Frau verabredet, auf einen Drink in einer Bar oder zu einem Essen im Restaurant. Um zu merken, ob sie hält, was sie in den Nachrichten verspricht, ob man sich sympathisch ist. Das fällt jetzt natürlich weg, wo fast alles nur noch in den eigenen vier Wänden stattfinden kann. Doch das sei nicht unbedingt negativ. Dafür würden die Gespräche in der App intensiver und tiefgründiger, hat er festgestellt. 

„Viele Singles berichten, dass sie jetzt eher über Dinge sprechen, die ihnen wirklich wichtig sind oder sie bewegen. Das Hintergrundrauschen an Oberflächlichkeiten hat abgenommen“, hat auch Markus Ernst beobachtet. Er ist Psychologe und arbeitet als Berater bei der Online-Dating-Plattform „Parship“. Der Fokus der Menschen habe sich durch die Krise verschoben, es gehe nicht darum, mit vielen anderen Singles zu flirten oder Dates zu haben, sondern um die Qualität des einzelnen Kontakts. Nicht verwunderlich, wenn man bedenkt, dass Singles eine sehr herausfordernde Zeit durchleben. „Der Mensch ist ein soziales Wesen und ist auf Kontakte angewiesen. Unsere Situation mit der sozialen Isolation kann eine enorme Belastung sein“, weiß der Psychologe. Eine Studie von „Parship“ zeigt, dass jeder dritte Single jetzt Angst vor Einsamkeit hat.

Zur Person

Markus Ernst beantwortet Mitgliedern der Online-Dating-Plattform „Parship“ Fragen zur Liebe, zu dem Matching-Verfahren des Anbieters und zur Partnersuche Online. Seit 2007 berät der Psychologe Singles. Er beschäftigt sich mit den Fragen, wie eine glückliche Partnerschaft gelingen kann, wer zu wem passt und warum Beziehungen scheitern. (Foto: Parship)

Psychologe sieht Krise auch als Chance für Singles

Bei all diesen negativen Aspekten sieht der Psychologe auch etwas Positives in der Krise: „Ich glaube diese erzwungene Rückbesinnung auf das eigene Leben und die eigenen Bedürfnisse kommt in der krisenlosen Zeit oft zu kurz. Menschen gehen häufig bei der Partnersuche relativ unreflektiert durch das Leben und suchen ihre Partner nach einem gewissen Beuteschema – und wundern sich, warum ihre Beziehungen immer wieder in die Brüche gehen. Eine Krise ist eine große Chance, um sich zu fragen, was man möchte, welche Wünsche man hat, warum man sie hat, ob manche Vorstellungen vielleicht auch überholt sind oder ob ich meine Prioritäten verändern sollte.“ Student Alexander macht gerade genau diese Erfahrung: „Man setzt sich mit seinen Matches viel mehr auseinander.“ 

Doch das allein virtuelle Beschnuppern ist nicht für jeden was. Für Christina* aus Osnabrück macht Tindern ohne echte Treffen nur wenig Sinn. Sie nutzt die App seit drei Jahren, hat ihre beiden letzten Partner so kennengelernt. Für die junge Mutter ist Online-Dating normalerweise ein guter Weg, um neue Menschen zu treffen. Doch seit der Corona-Krise benutzt sie die App weniger. „Ich will nicht nur mit potentiellen Partnern schreiben. Ob es passt oder nicht – ob die Chemie stimmt, merkt man erst, wenn man sich wirklich gegenüber sitzt“, ist Christinas Erfahrung.

Kommunikation bei Tinder und Online-Dating per Chat

Kann man Nähe zu einer bisher fremden Person nur über Nachrichten aufbauen? Das hält auch der Psychologe Markus Ernst für unmöglich. „Ein Chat ist zu Beginn ein gutes Kommunikationstool, um Fakten auszutauschen – sich erzählen, wie alt man ist, was man beruflich macht oder wie der grobe Lebensplan ist. Wir kennen es alle, zum Beispiel vom Messenger-Dienst WhatsApp. Ein und derselbe Satz kann in ganz unterschiedlichen Richtungen verstanden werden.“ Es komme schnell zu Missverständnissen.

Wichtig sei deshalb: „In der jetzigen Krise sollten Nutzer von Online-Dating-Plattformen sehr empathisch und sensibel mit neuen Bekanntschaften umgehen. Schließlich wissen wir auf der Grundlage einiger Nachrichten nicht, welche Sorgen jemand hat oder ob sich die Bekanntschaft durch die Pandemie in existenziellen Nöten befindet.“ Um mehr über den potentiellen Partner oder die potentielle Partnerin zu erfahren, empfiehlt der Psychologe ohnehin schnell auf das Telefon umzusteigen. „Mit der Stimme kommt eine Komponente hinzu, um die Person besser einschätzen zu können.“ Auch Videoanrufe seien gut, um jemanden besser kennenzulernen. „Ich würde es aber nicht zu inflationär nutzen, weil man die Person auch ein Stück weit in sein Leben und die eigenen vier Wände lässt. In der jetzigen Zeit ist es trotzdem ein gutes Tool, um ein richtiges Treffen zu ersetzen“, sagt Ernst.

Video-Dates als Ersatz für eine echte Verabredung

Doch kein Videochat ersetzt eine erste Begegnung, ist Christina überzeugt. „Man spürt die Energie der Person dort einfach nicht und ein Videoanruf ist für mich auch noch sehr distanziert.“ Für sie käme dann doch eher das gute alte Telefon infrage. Ihre größte Sorge, wenn man den persönlichen Kontakt so lange hinauszögern muss: Dass sie sich ein falsches Bild vom potenziellen Partner macht und am Ende enttäuscht wäre. 

Alexander dagegen hat sich schon mit einer Frau bei einem Video-Date auf ein Glas Wein getroffen. Das hat ihm Spaß gemacht. „Video-Dates, gemeinsam online etwas spielen oder gemeinsam virtuell Serien gucken, das ist kein vollwertiger Ersatz für ein richtiges Treffen – aber in diesen Zeiten muss man kreativ sein. Es sind ganz lustige Lösungen für den ersten Schritt. Auch bei einem Video-Date habe ich schon viel von einer Person erfahren“, erzählt er.

Die Einstellung unterstützt auch der Psychologe: „Ein romantisches Abendessen als Videodate – Warum nicht? Ungewöhnliche Zeiten erfordern ungewöhnliche Maßnahmen.” Schaue man getrennt zusammen Comedy, könne man zum Beispiel sehen, ob man einen ähnlichen Humor hat.

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Vorfreude auf Verabredungen in der Bar oder im Café

Dennoch ist klar, auf ein erstes echtes Treffen freuen sich Alexander und Christina jetzt schon, wenn das eigene Zuhause nicht mehr alles sein muss – der Arbeitsplatz, die Bar, das Fitnessstudio oder der Konzertsaal. „Weil ich ein echter Musikliebhaber bin, würde ich bei einem Date nach der Corona-Krise gerne in eine Bar wie das „Buhmann & Sohn“ in Köln gehen“, sagt Alexander. „Einfach, um unter Menschen in einer anderen Atmosphäre zu sein und eine andere Stimmung zu spüren, als zu Hause. Das macht ein Date ja auch interessanter.“ Christina würde sich mit einem potentiellen Partner gerne in einem Café treffen oder einen Spaziergang machen.

„Es ist eine schöne Idee, schon jetzt das erste richtige Date zu planen", sagt auch Markus Ernst. Sich gemeinsam auszumalen, wie das wird, könne ja sehr romantisch sein. Und Vorfreude sei schließlich eine der schönsten Freuden.

*Namen wurden von der Redaktion geändert.

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