Tourismus-Forscher„Junge Menschen fliegen besonders viel – trotz schlechtem Gewissen“

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Flugverkehr_Symbolbild

Die Gruppe der 14- bis 29-Jährigen ist besonders interessiert an fremden Ländern und Kulturen. Um dem Drang nachzukommen, nutzen sie das Flugzeug - trotz Klimabewusstsein.

  • Wolfgang Günther ist Wissenschaftler am NIT, dem Institut für Tourismus und Bäderforschung in Nordeuropa mit Sitz in Kiel. Der Biologe leitet dort den Bereich Tourismus und Nachhaltigkeit.
  • Er sagt: Das Dilemma zwischen der Neugierde auf die Welt und dem Bewusstsein, wie klimaschädlich fliegen ist, betrifft die junge Generation besonders.
  • Im Interview erklärt er, was es bedeutet, wirklich nachhaltig zu reisen – und wie er selbst seine Urlaube verbringt.

Köln – Klimaschutz und Nachhaltigkeit sind die Schlagwörter der Stunde. Besonders junge Menschen protestieren gegen die Umweltsünden ihrer Elterngeneration, ernähren sich vegan und schwimmen auf der grünen Welle ganz weit vorne. Doch in einem Bereich stagniert der Wille zur Veränderung noch. Das Reisen an Sehnsuchtsorte ist oft nur mit dem Flugzeug möglich - und darauf verzichten die 14- bis 29-Jährigen der Umwelt zuliebe bisher nicht. Der Wissenschaftler Wolfgang Günther erklärt, woran die mangelnde Bereitschaft liegt und ob die jungen Menschen anders reisen, als die Durschnittsbürger. Außerdem erklärt er, was nachhaltiges Reisen überhaupt bedeutet - und wie das auch ohne großes Budget funktioniert.

Herr Günther, reisen Menschen unter 30 anders, als der Durchschnitt der Bevölkerung?

Wolfgang Günther: Die Altersgruppe der 14- bis 29-Jährigen reist ähnlich wie der Bundesdurchschnitt. Allerdings fliegen sie häufiger. Im November 2019 haben wir Menschen zuletzt befragt, wie viele von ihnen in den vergangenen zwölf Monaten eine Fernreise unternommen haben. Durchschnittlich haben 44 Prozent aller Bundesbürger ein Flugzeug genutzt, in der Gruppe der Jüngeren waren es 54 Prozent. Das erklärt sich ein bisschen aus der Motivlage. Die 14- bis 29-Jährigen sind besonders interessiert an anderen Ländern, daran, Neues kennenzulernen. Eine Familie mit Kindern wird eine lange Fernreise eher nicht machen. Die fliegt nach Mallorca.

Wie unterscheidet sich das Reiseverhalten vor Ort zwischen den Generationen?

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Wolfgang Günther

Günther: Bei der Wahl der Unterkünfte ist alles unauffällig. Junge Leute nutzen etwas häufiger Herbergen und Campingplätze, das Hotel ist aber im Bundesschnitt und auch bei den Jüngeren die häufigste Unterkunftsform. Die 14- bis 29-Jährigen reisen auch ungefähr so oft pauschal wie alle anderen. Allerdings organisieren sie ihre Reise häufiger selbst. Bei den Jüngeren 21 Prozent, der Bundesschnitt liegt bei 16 Prozent. Insgesamt gibt die Gruppe der jungen Leute für ihre Reise mehr Geld aus. Etwa 1129 Euro, rund 45 Euro mehr als der Durchschnittsbürger. Die Mehrkosten können aus einem teuren Flug resultieren, und vor Ort geben die Leute dann fast nichts aus. Genauso kann aber auch das Luxushotel in Boltenhagen der Grund sein. Und obwohl die Jüngeren weiter fliegen, bleiben sie nicht länger am Reiseort.

Was bringt die Menschen heute dazu, häufiger ins Flugzeug zu steigen?

Günther: Wenn der Mensch die Möglichkeit hat, etwas Attraktives zu tun, dann neigt er dazu, das auch zu machen. Mit den günstigen Flugpreisen ist das leichter. Gleichzeitig ist auch das verfügbare Geld eher mehr geworden – auch bei jüngeren Leuten. Das eröffnet die Möglichkeit, mehr zu fliegen. Die Zugkraft dieser Option wird durch das Wissen eingeschränkt, dass man es eigentlich nicht tun sollte. Es kommt zu einer Abwägung. Dann ist entscheidend, welches Gewicht am stärksten gewertet wird. Kommt soziale Ächtung hinzu, stärkt das das Gewicht des Klimabewusstseins und der Verlockung wird eher widerstanden.

Wenn ich nachhaltig lebe, aber ins Flugzeug steige, dann ist mein CO2 Fußabdruck größer als der des Durchschnittsbürgers, der keine Fernreise unternimmt.

Günther: Absolut, da nehmen sie eine echte Hypothek auf. Ein Gedankenexperiment: Wir nehmen an, wir wollen globale Gerechtigkeit und Chancengleichheit für alle. Jeder bekommt ein CO2-Budget, mit dem er auskommen muss. Eine Fernreise ist dann wahrscheinlich höchstens alle zehn Jahre möglich. Wenn wir auf Dauer mit diesem Globus und diesen Ressourcen auskommen wollen, dann müssen wir unser Reiseverhalten ändern – da gibt es kein Pardon. Das ist es, was auf die Generation der jungen Menschen zukommen wird. Wenn sie es nicht von alleine tun, werden sie gezwungen.

Jeder Reise-Enthusiast ist in einem Dilemma: Die günstige und große Verfügbarkeit von Flügen steht im krassen Gegensatz zur Erkenntnis, wie schlecht das ist.

Günther: Das ist ein Konflikt, in dem sich alle Menschen befinden, nicht nur die jungen. Aber sie besonders, weil die Zukunftsverantwortung stärker zu spüren ist. Ihr Entscheidungsumfeld verändert sich mit. Ich für mich persönlich habe den Wunsch, in ferne Länder zu reisen, gleichzeitig ist es sozial erwünscht, dass ich mich umweltverträglich verhalte. Bisher sehen wir nicht, dass die Leute tatsächlich beginnen, nachhaltiger zu reisen. Das muss aber nicht so bleiben. Wenn die jungen Leute gemeinsam sagen, für uns ist das Reisen keine Statusfrage mehr, ich gebe mit meiner Fernreise nicht mehr an. Das kann ich auch gar nicht mehr, weil es sowieso alle blöd finden. Dann kann es zu einem echten Schwenk in die andere Richtung kommen. Ich kann mir vorstellen, dass es dann eine echte Veränderung gibt und sich die Jungen auf umweltverträglichere Formen des Reisens oder nahe Ziele besinnen. Wenn aber das Umfeld weiter sagt, tolle Idee, da wollte ich auch schon immer mal hin, dann entscheide ich mich eher für den Flug. Viele sagen, ich trenne ja sonst meinen Müll. Da werden Äpfel mit Birnen verglichen. Leute sagen ich mach schon so viel im Umweltschutz, da muss ich nicht auch noch auf das Fliegen verzichten. Die Neugierde auf die Welt ist natürlich ein starker Zug.

Der ja auch völlig verständlich ist.

Günther: Ja. Das hat natürlich auch eine Qualität. Es wird gerne als Argument angeführt, dass das Verstehen anderer Kulturen wesentlich dafür ist, dass man friedlich miteinander lebt. Da steht ein Fragezeichen dahinter, je nachdem wie man unterwegs ist. Wenn ich in eine Ferienanlage auf Kuba reise und mir dort die Drinks servieren lasse, ist das nicht unbedingt etwas, was dazu beiträgt, kubanische Mentalität kennenzulernen. Wenn ich als Backpacker auf einer Farm arbeite, dann bekomme ich wahrscheinlich deutlich mehr mit von dem Ort.

Nun macht Fliegen nur zwei Prozent des CO2-Ausstoßes weltweit aus. Klingt erst einmal wenig. Was ist daran so schlimm?

Günther: Es gibt diesen alten Satz: Wartet nicht auf die anderen, denn die warten auf euch. Wenn sie eine Veränderung haben wollen, dann müssen sie anfangen. Reisen macht einen Anteil von acht Prozent an den CO2-Emissionen insgesamt aus. Zwei Prozent davon resultieren allein aus dem Fliegen. Bei diesen Zahlen sind alle Wirtschaftsaktivitäten auf der Erde nebeneinandergestellt. Also auch unvermeidbare und lebensnotwendige Bereiche, wie das Heizen. All diese Aktivitäten liegen im einstelligen Prozentbereich. Denn CO2 entsteht aus ganz vielen verschiedenen Quellen. Diese acht Prozent – oder zwei Prozent aus dem Fliegen – sind im Vergleich viel. In kaum einem Bereich kommt mehr zusammen. Das Fliegen ist sehr klimaschädlich und dabei besonders in der Freizeit meist vermeidbar. Zudem ist es eine Aktivität, die zur relativ wenigen zugänglich ist. Wenn wir auf Zukunftsfragen und globale Gerechtigkeit schauen, finde ich das bedenklich.

Was bedeutet es, nachhaltig zu reisen?

Günther: Es geht darum, den ökologischen Fußabdruck einer Reise möglichst gering zu halten und möglichst wenige Ressourcen zu verbrauchen. Wie weit man sich in diese Richtung bewegt, misst sich an dem individuellen Maßstab, den die einzelne Person hat. Für die einen ist es nachhaltig, für die anderen reicht das bei weitem noch nicht. Die eine Definition für eine nachhaltige Reise gibt es nicht.

Erzählen Sie uns, wie Sie reisen.

Günther: Meine nächste Reise führt über Ostern mit meiner Familie nach Korsika. Wenn ich hardcore-ökologisch wäre, würde ich zu Hause bleiben. Das mache ich nicht, denn ich reise total gerne. Wir nehmen den Zug und fahren nach Marseille, von dort bringt uns die Fähre nach Korsika. Das dauert deutlich länger, als zu fliegen. Wir sind drei Wochen unterwegs und zwei Wochen netto auf Korsika. Das ist der Preis, den wir zahlen, aber für uns persönlich haben wir auch einen Erlebnisgewinn. Wir fahren gerne mit dem Zug, dann mit der Fähre, das finden wir spannend.

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In Marseille waren wir noch nicht und haben dort einen Aufenthalt. Das alles würde uns entgehen, wenn wir von Hamburg direkt nach Korsika fliegen würden.

Welche Unterkunft wählen sie und wie bewegen sie sich auf Korsika?

Günther: Wir sind eine Woche in der Ferienwohnung eines Korsen. Dort verpflegen wir uns selbst. Wir nutzen öffentliche Verkehrsmittel und wandern. Vor unserer Reise haben wir uns informiert, wo Busse fahren und den Ferienort entsprechend gewählt. Das so vorzuplanen war viel Aufwand. Aber so versuchen wir, unsere Reise nachhaltiger zu gestalten. Korsika wird auch unser einziger längerer Urlaub in diesem Jahr. Im Sommer bleiben wir hier in der Gegend.

Kostet nachhaltiges Reisen mehr Geld?

Günther: Nein, nicht notwendigerweise. Wenn sie konsequent nachhaltig reisen, wählen sie ein nahes Ziel – weniger Transportaufwand. Wenn sie eine Unterkunft möchten, bei der weniger Ressourcen verbraucht werden, dann nehmen sie eine Unterkunft mit wenig Luxus. Der ökologische Fußabdruck eines Fünf-Sterne-Hotels ist im Durchschnitt höher als der eines Ein-Stern-Hotels. Dazu ist einschränkend zu sagen, dass größere Hotels häufig ein besseres Umweltmanagement und eher eine Zertifizierung haben. Wenn man seine Reise so durchrechnet, wird das billiger. Meine Reise nach Korsika war nicht teurer als ein Flug. Ich habe aber den Zug und die Fähre geschickt gebucht. Wenn Sie sagen, nachhaltiges Reisen bedeutet für mich, ich gehe in eine zertifizierte Unterkunft, und es gibt die nur im Vier-Sterne-Bereich, dann wird es teurer.

Gibt es Zertifizierungen für Nachhaltigkeit vor allem in hohen Preiskategorien?

Günther: Ja. Weil Nachhaltigkeit meist mit Qualität und professionellem Management einhergeht. Darum gibt es in den hohen Preisklassen ein größeres Angebot. Es gibt aber auch günstige umweltfreundliche Unterkünfte.

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