Kuschelstunden-Therapeutin Anne Wolff bietet für 80 Euro pro Stunde achtsame Umarmungen, jedoch ohne sexuelle Berührung.
Kuscheln als BerufAnne Wolff ist ausgebildete „Kuschlerin“ – das steckt dahinter

Keine Berührungsängste: Anette Wolff kuschelt nebenberuflich mit fremden Personen.
Copyright: Philipp Hülsmann
Wenn Kunden bei Anette Wolff einen Termin buchen, wollen sie meistens nur das Eine: Kuscheln. Die 56-jährige Osnabrückerin mit den dunkelblonden Haaren und den wachen Augen hat ein feines Gespür für ihre Kunden.
Über Hände streicht sie sanft, über den Rücken etwas eindringlicher. Im Stehen oder im Liegen. Sie ist ausgebildete Kuschlerin – ihre Kunden buchen Kuschelstunden bei ihr. Sie ist eine von weniger als 30 in Deutschland, wie die Karte auf der Website der sogenannten Kuschelkiste belegt.
Über diese Organisation hat Wolff ihre Ausbildung abgeschlossen und ist als Kuschlerin gelistet. Hauptberuflich hat die Osnabrückerin einen Job in der Verwaltung. Wer eine Kuschelstunde bei ihr bucht? „Viele Kunden leben alleine, sind beruflich gestresst und eher zurückhaltend“, sagt Wolff.
Obwohl Sexualität von der Kuscheleinheit eigentlich getrennt ist, scheint es nicht immer zu klappen: die meisten von Wolffs Kunden sind über 50 Jahre alt und männlich. „Die meisten Männer wollen sich von einer Frau umarmen lassen. Manchen Kunden merkt man an, dass sie Berührungsmangel hatten und verunsichert sind bei Berührungen. Die tauen dann aber schnell auf und genießen die Umarmung.“
Ihre Philosophie lautet: „Jeder und jede wird bekuschelt“
Wolff wollte Kuschlerin werden, weil sie so begeistert von den positiven Auswirkungen des Kuschelns auf den Körper ist und das jedem ermöglichen möchte. „Ich erschaffe beim Kuscheln einen Raum, indem jede Person so sein kann, wie sie ist“, sagt sie über ihre Arbeit.
Ihre Philosophie lautet: „Jeder und jede wird bekuschelt.“ Am Anfang ihrer Karriere sei sie durch die Fußgängerzone gegangen und habe sich selbst gefragt, ob sie mit den anderen Passanten kuscheln würde, erzählt Wolff und gesteht: „Das konnte ich mir überhaupt nicht vorstellen. Aber mittlerweile hat sich das total gewandelt.“
Sie selbst kuschelt zwar sehr gerne, kann aber Berufliches von Privatem trennen. „Beim Kuscheln mit einem Kunden ist es für mich nicht Genuss im eigentlichen Sinne, aber ein sehr menschlicher, achtsamer und berührender Moment.“
Die Kontaktaufnahme startet mit einer Mail an Wolff. Auf der Website der Kuschelkiste schreibt sie: „Kuscheln ist für mich Im-Moment-Sein, einfach sein, nichts mehr tun müssen und wenn du magst, still werden. Wie möchtest du heute berührt oder gehalten werden?“
Wenn der Termin angefragt wurde, schreibt sie mit ihren Kunden ein wenig hin und her, schickt die Regeln und den Vertrag zu. No-Gos sind laut Wolff und der Kuschelkisten-Website folgende:
• keine Berührungen im Intimbereich,
• kein Küssen oder sonstige sexuelle Handlungen,
• keine Erkältung oder sonstige Krankheiten,
• keine intensiven Gerüche (Parfüm, Aftershave, Rauch, Schweiß),
• kein Alkohol, Drogen oder andere Rauschmittel,
• keine Nacktheit,
• keine Fotos oder Videos vom Kuscheln.
Kunden hätten aber noch nie gegen eine der Regeln bei Wolff verstoßen. Sie seien sogar eher unsicher und darauf bedacht, sich strikt an die Regeln zu halten. Einmal sei es passiert, dass ein Kunde eine Erektion beim Kuscheln bekommen hätte. „Das ist eine natürliche Reaktion und für mich kein Grund, die Kuschelstunde abzubrechen“, berichtet Wolff. Sie habe die Position gewechselt und weitergekuschelt.
Bei den Kuschelstunden beginnt Wolff damit, dass sie die Hände der Kunden ergreift, sie für eine Weile hält und mit kreisenden Bewegungen über den Handrücken fährt. Anschließend nimmt sie ihre Kunden auf Wunsch in den Arm. Das geht auch im Liegen.
Wolff überlegt sich genau, wie sie ihren Kunden mit dem Kuscheln guttun kann. Alle zehn Minuten würde sie eine neue Position anbieten. „Einige wollen gerne umarmt und gehalten werden, andere möchten gerne aktiver gestreichelt werden.“ Das würde sie aber schnell herausfinden.
Partner war besorgt und ein wenig eifersüchtig
Eine Stunde Kuscheln kostet 80 Euro. Dazu zählt ein zehnminütiges Vorgespräch. Das fünf- bis zehnminütige Nachgespräch, in der besprochen wird, wie es ihnen gefallen hat, ist für die Kunden kostenlos.
Beim Kuscheln wird Oxytocin und Serotonin ausgeschüttet und der Blutdruck gesenkt. Eine Studie eines Forschungsteams aus Bochum, Duisburg-Essen und Amsterdam belegt die positiven Aspekte.
Wolffs Familie hatte ein paar Bedenken, was ihre Nebentätigkeit anging. „Auch mein Partner war zuerst nicht angetan. Er hat mich unterstützt, war aber auch besorgt und ein wenig eifersüchtig, dass ich mit fremden Menschen kuschle.“
Dabei möchte Wolff sogar noch andere Angebote in ihr Portfolio aufnehmen: als Begleitung ins Kino, für eine Kuschelstunde in der Natur oder einem Spaziergang mit Händchen halten. Auch da geht es um absichtslose Berührungen – kein Escortservice mit Sexualität.
Ihr nächstes privates Ziel sei eine Kuschelparty, erzählt sie. Dort treffen sich eine Gruppe von ungefähr 20 Menschen, die als Gruppe zusammen kuscheln. „Ich bin ganz gespannt, wie das wird. Selbst ich als Kuschlerin lerne ja auch beim Kuscheln nie aus.“