Rundschau-Debatte des TagesIst die Zeit der Grünen vorerst vorbei?

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Ein Sonnenblumenlogo steht vor Beginn der Landesdelegiertenkonferenz von Bündnis 90/Die Grünen Niedersachsen auf der Bühne (Symbolbild)

Ein Sonnenblumenlogo steht vor Beginn der Landesdelegiertenkonferenz von Bündnis 90/Die Grünen Niedersachsen auf der Bühne (Symbolbild)

Die Grünen haben gerade keinen Lauf. Beim Klimaschutz und in der Migrationspolitik hat sich die Stimmung gegen sie gedreht. Plötzlich wirken sie wie aus der Zeit gefallen.

Es ist noch nicht lange her, da führte an den Grünen kaum ein Weg mehr vorbei, wenn irgendwo eine Regierung gebildet wurde. Sie regieren in acht Bundesländern mit, sind zweitstärkster Partner in der Ampel-Koalition.

Lange sah es so aus, als wäre eine schwarz-grüne Regierung schon fast eine natürliche Koalition, auch im Bund, irgendwann. Die Grünen besetzen mit ihrer Königsdisziplin Klimaschutz ein Feld, an dem kein anderer vorbeikommt. Nach der letzten Bundestagswahl wurde laut über die Möglichkeit nachgedacht, Katrin Göring-Eckardt könnte Bundespräsidentin werden. Man hatte mit Annalena Baerbock erstmals überhaupt eine Kanzlerkandidatin aufgestellt. Heute stellt sich die Lage ganz anders dar.

Union geht auf Distanz

In Hessen hat CDU-Ministerpräsident Boris Rhein nach zehn Jahren die Koalition mit den Grünen aufgekündigt und regiert nun lieber mit der SPD. Dazu muss man wissen, dass die hessischen Grünen mit Tarek Al-Wazir an der Spitze fast schon so pragmatisch ans Werk gehen wie der einzige grüne Ministerpräsident in Baden-Württemberg, Winfried Kretschmann. Dass Rhein in Hessen trotzdem auf ihre Mitarbeit verzichten will, hat in der Partei für Unruhe gesorgt.

Der baden-württembergische Finanzminister Danyal Bayaz rief seinen Leuten öffentlich zu: „Wir Grüne müssen uns schon auch selbstkritisch fragen, warum uns einstige Koalitionspartner nicht mehr als moderne Kraft der Veränderung, sondern offenbar mehr als eine Art Belastung in schwierigen Zeiten wahrnehmen.“

CDU-Parteichef Friedrich Merz bezeichnete vor wenigen Monaten nicht etwa die AfD, sondern die Grünen als „Hauptgegner“. Ihre neue Partei ist noch nicht mal gegründet, da schließt selbst Sahra Wagenknecht eine Koalition mit den Grünen aus. Begründung: „diese unendliche Arroganz.“

Öffentliche Meinung hat sich verändert

Doch es kommt mehr zusammen. In der Migrationspolitik und beim Klimaschutz, den beiden Kernthemen der Grünen also, hat sich die öffentliche Meinung verändert. Und die Grünen stehen vor der Frage, ob sie sich also auch verändern müssen – oder eben gerade nicht. Letzteres auch auf die Gefahr hin, dann vielleicht auf eine Kernwählerschaft zurückzuschrumpfen und über die Frage einer Kanzlerkandidatur 2025 gar nicht mehr nachdenken zu müssen.

In dieser Woche hat außerdem das Urteil des Bundesverfassungsgerichts zum Nachtragshaushalt 2021 den grünen Ambitionen beim Klimaschutz einen herben Dämpfer versetzt. Mit einem Mal stehen 60 Milliarden Euro weniger zur Verfügung, um Wirtschaft und Haushalte klimaneutral zu machen. Wärmepumpen und Energiepreise sollten damit subventioniert werden. Wirtschaftsminister Robert Habeck hatte noch im Sommer im Bundestag gesagt: „Wenn diese Klage erfolgreich ist, das würde Deutschland wirklich wirtschaftspolitisch hart, hart treffen. Wahrscheinlich so hart, dass wir das nicht bestehen werden.“ Dieser Fall ist nun eingetreten.

Der Parteienforscher Frank Decker schätzt die Lage der Partei derzeit so ein: „Das ist im Moment nicht die Zeit der Grünen. Sie stehen bei ihren Kernthemen Klimaschutz und Migration mit dem Rücken zur Wand, weil die Mitte der Gesellschaft etwas anderes will als sie: Klimaschutz ja, aber nicht radikal. Und weniger Migration.“ Bei beiden Themen haben die Grünen in den letzten Monaten Vertrauen verloren. Der Wind bläst ihnen jetzt hart ins Gesicht.

Skepsis gegenüber Klimaschutz-Plänen

Der monatelange Streit um das Heizungsgesetz hat dafür gesorgt, dass die Grünen beim Klimaschutz polarisieren. Das Vertrauen, die Öko-Partei werde den Wandel zur Klimaneutralität am besten hinkriegen, ist in der Mitte der Gesellschaft einer tiefen Skepsis gewichen. Hinzu kommt, dass sich die wirtschaftliche Lage verschlechtert hat. Ein Heizungsgesetz, das für Mieter wie Hausbesitzer mit unabsehbaren Kosten verbunden ist, wäre in besseren Zeiten vielleicht noch akzeptiert worden. In Zeiten von hoher Inflation und Energiekosten empfinden es nun viele als Bedrohung ihres Wohlstands. Die Grünen haben diese Sorgen anfangs nicht erkannt und dann zu spät darauf reagiert.

Bremser beim Thema Migration

Beim Megathema Migration fallen sie in der Ampel-Koalition vor allem als Bremser für Maßnahmen auf, die dafür sorgen könnten, dass weniger Flüchtlinge kommen. Etwa die Ausweisung weiterer Länder als sicherer Herkunftsstaaten. Innerparteilich sind sie mit den Kompromissen zu Abschiebungen und Asylzentren an den EU-Außengrenzen allerdings an der Schmerzgrenze angekommen. Beim Thema Migration geht ein Riss durch die Partei. Auf der einen Seite gibt es „schwarze“ Grüne wie den baden-württembergischen Ministerpräsidenten Winfried Kretschmann, auf der anderen Seite linke Landesverbände und weite Teile der Bundestagsfraktion, die von Eindämmung nichts wissen wollen. In der Außenwirkung bleibt vor allem hängen, dass die ganze Partei zu keiner Begrenzung der Migration bereit ist. Von der Idee von Asylzentren in Drittstaaten, nach Ansicht vieler das einzig wirksame Instrument, um den Asylanspruch schon vor der Einreise nach Deutschland zu klären, hat sich Parteichefin Ricarda Lang gleich nach dem Kompromiss von Olaf Scholz mit den Bundesländern wieder distanziert.

Habeck als Lichtblick

Nur ein Spitzen-Grüner hat in den letzten Wochen parteiübergreifend überzeugt: Robert Habeck hat nach dem Angriff der Hamas auf Israel vielleicht die Rede seines Lebens gehalten. Millionen sahen seine zehn Minuten Klartext zum Nahost-Konflikt und zum Antisemitismus in Deutschland. Seine Empathie und Klarheit stachen im Wirrwarr dieser Tage wohltuend klar heraus. Da war er plötzlich wieder: Der Robert Habeck, der wie kaum ein zweiter in der Riege der aktuellen Spitzenpolitiker die richtigen Worte findet. Den man versteht, wenn er etwas sagt. Eine Kanzler-Rede, wie nicht wenige befanden.

Wenn sich die Grünen nächste Woche in Karlsruhe zum viertägigen Parteitag treffen, gibt es einiges zu besprechen. Die Migrationspolitik steht gleich zum Auftakt auf der Tagesordnung. Es geht außerdem um Vorstandswahlen und das Europa-Wahlprogramm. Wie viel Selbstkritik sich die Grünen zumuten werden, das wird die spannende Frage.