Neue Schau in EssenMuseum Folkwang zeigt Werke von Matisse, Miró, Picasso und Léger

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Buntes Treiben in schwindelerregender Höhe: Fernand Légers Zirkusszene

Buntes Treiben in schwindelerregender Höhe: Fernand Légers Zirkusszene

In Zeiten von Inflation und knapper Kassen, in der Blockbuster-Ausstellungen wohl eher der Vergangenheit angehören, arbeitet das Haus auf diese Weise vorbildlich mit seinen Ressourcen.

Der Erfolg war am Anfang eher überschaubar, um nicht zu sagen ernüchternd. Nachdem der Kunsthändler Ambroise Vollard 1893 im 9. Pariser Arrondissement seine erste Galerie eröffnet hatte, kam er, um das Geschäft anzukurbeln, auf die Idee, bei bekannten Malern Druckgrafiken in Auftrag zu geben.

Die so entstandenen Künstlerbücher von Pierre Bonnard und Maurice Denis stießen zunächst auf Ablehnung, weil sie nicht mit herkömmlichen Holzschnitten oder -stichen illustriert waren, sondern mit neuartigen, farbigen Lithografien, was seinerzeit als Sakrileg galt. So antwortete ein Sammler auf die Frage, ob er nicht ein Buch von Ambroise Vollard erwerben wolle, exemplarisch mit den Worten: „Also nein, das hieße doch, den Teufel in meine Bibliothek zu lassen.“

Von Toulouse-Lautrec bis David Lynch

Nun, Vollard blieb beharrlich und legte mit weiteren Projekten nach. Émile Bernhards Illustrationen zu Charles Baudelaires „Les Fleurs Du Mal“ 1916 brachten dann den erwünschten Erfolg, und die Gattung des Künstlerbuches trat einen Siegeszug an. Das Museum Folkwang in Essen kaufte frühzeitig derartige Druckerzeugnisse und gibt in „Chagall, Matisse, Miró. Made in Paris“ erstmals einen umfassenden Überblick über seine originalgrafischen Künstlerbücher und Mappenwerke.

Von der Plakatmode des ausgehenden 19. Jahrhunderts mit Henri de Toulouse-Lautrecs berühmtem Plakat „Aristide Bruant dans son Cabaret“ (1892) bis hinein in die Gegenwart zu Jim Dine und David Lynch spannt der Kurator der Grafischen Sammlung des Folkwang Museums, Tobias Burg, den Bogen.

Neue Druckverfahren wie die von Chéret vereinfachte Farblithografie sowie der sich entwickelnde Kunstmarkt führten in Paris als damaligem Zentrum der Kunst zu einer neuen Blüte der Grafik. Japanische Farbholzschnitte waren schon beliebte Sammlerobjekte. Jetzt folgte der Handel mit zeitgenössischen Künstlern.

Die neue Technik machte Kunst erschwinglich

Für vergleichsweise kleines Geld konnte jeder sich jetzt ein Werk von ihnen leisten. Kunst für alle. Chérets Plakat „Folies-Bergère. Le Miroir“ kostete vier, Toulouse-Lautrecs „Ambassadeurs. Aristide Bruant“ sechs Francs. Beide hängen im Folkwang jetzt an einer Wand.

Händler wie Edmond Sagot brachten Versandkataloge heraus, in denen Plakate mit Preisliste aufgelistet waren. Verkleinerte Reproduktionen waren noch billiger zu haben. „Man beschäftigt sich nur noch mit Druckgrafiken, es ist ein wildes Treiben, die Jungen machen nichts anders mehr“, schrieb der alte Camille Pissarro 1897 seinem Sohn Lucien in London. Und das war erst der Anfang.

In 15 Kapiteln und mit mehr als 250 Blättern, Bögen und Büchern gibt die Schau einen guten Überblick über wichtige Projekte, die meisten von Ambroise Vollard angestoßen, bevor nach dessen tödlichem Autounfall 1939 dann der Verleger und Sammler Tériade nach dem Zweiten Weltkrieg dessen Erbe antrat und zum wichtigsten Förderer von Künstlerbüchern wurde.

Ein Jugendstil-Plakat von Alfons Maria Mucha und Edward Munchs erste Farblithografie „Angst“ (1896) aus Vollards 1896 veröffentlichter Grafikmappe „Les Peintres-Graveurs“ bilden den Auftakt der mitunter ein bisschen zu kunsthistorisch geratenen Ausstellung.

Ausgewählte Gemälde aus dem Bestand des Folkwang Museums ergänzen den Überblick und zeigen den Stellenwert der Grafiken auf.

In Zeiten von Inflation und knapper Kassen, in der Blockbuster-Ausstellungen wohl eher der Vergangenheit angehören, arbeitet das Haus auf diese Weise vorbildlich mit seinen Ressourcen.

Mit David Lynch endet der Rundgang

Breiten Raum nehmen in Essen die Projekte von Marc Chagall ein, dem der Schriftsteller Blaise Cendrar 1923 aus Paris nach Berlin telegrafierte: „Komm zurück, du bist berühmt, und Vollard erwartet dich.“ Gesagt, getan!

In den folgenden Jahren gab Vollard den Anstoß für Chagalls Illustrationen zu Fabeln von La Fontaine und zu Gogols „Die toten Seelen“. Nicht zu vergessen zu den Radierungen für die Bibel (1956). Deren Erscheinen allerdings erlebte Vollard nicht mehr. Ein weiterer Höhepunkt im Folkwang sind die nach Scherenschnitten gefertigten 20 Schablonendrucke des Albums „Jazz“ (1947) von Henri Matisse. Darunter „Der Sturz des Ikarus“, der auch den Katalog und die Plakate des Museums schmückt und zu einer der bekanntesten Bilderfindungen des Franzosen wurde.

Mit Werken von David Lynch endet der Rundgang. Der Regisseur („Twin Peaks“), der ursprünglich Bildender Künstler werden wollte, entdeckte 2007 in Paris die Druckwerkstatt Idem. Im Kurzfilm „Idem Paris“, der in Essen zu sehen ist, dokumentiert er die Entstehung seiner Lithografie „Murdered Woman In Burning Car“.

Gedruckt wurde sie auf alten Druckstöcken der Druckerei Mourlot Frères. Schon Picasso und Chagall fertigten auf diesen Maschinen ihre Werke. Es schließt sich so in der Gegenwart auf wunderbare Weise ein Kreis.

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