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Vize-Premierministerin „Grangela“Wie Angela Rayner sich an die Spitze kämpfte

Lesezeit 3 Minuten
09.07.2024, Großbritannien, London: Angela Rayner, stellvertretende Premierministerin, trifft in der Downing Street ein. Foto: Tayfun Salci/ZUMA Press Wire/dpa +++ dpa-Bildfunk +++

09.07.2024, Großbritannien, London: Angela Rayner, stellvertretende Premierministerin, trifft in der Downing Street ein. Foto: Tayfun Salci/ZUMA Press Wire/dpa +++ dpa-Bildfunk +++

Aus der Sozialsiedlung in die britische Regierung: Starmer-Vize Angela Rayner ist eine der mächtigsten Figuren der Labour-Regierung.

Es ist der zweite Tag des Labour-Parteitags im Oktober 2023 in Liverpool. Angela Rayner steht auf der Rednerliste einer Veranstaltung von Gewerkschaften, doch ihr Stuhl bleibt zunächst leer. Als sie schließlich den Saal betritt, drehen sich die Anwesenden nach ihr um, zücken schnell ihre Smartphones. Rayner sticht als Politikerin mit ihren langen roten Haaren und ihrem Manchester-Akzent, bei dem Vokale besonders betont werden, aus der Menge der versammelten Sozialdemokraten hervor.

In der englischen Küstenstadt spricht sie an diesem Tag über das, was sie im elitären Westminster – dem Londoner Regierungsviertel – sonst noch besonders macht: darüber, dass sie in schwierigen sozialen Verhältnissen aufgewachsen ist und wie sie es trotzdem ins britische Parlament geschafft hat. Nun, nur neun Monate später, ist Angela Rayner noch ein paar Stufen höher geklettert. Seit dem Wahlsieg der Labour-Partei ist sie stellvertretende Regierungschefin und zugleich Wohnungsministerin. Mit ihrer direkten Art bildet sie einen Gegenpol zum beherrscht wirkenden neuen Regierungschef Keir Starmer.

Ich bin nicht dumm, denn dann wäre ich nicht da, wo ich bin. Je mehr Leute Talent nicht nur nach akademischer Qualifikation bewerten, desto besser.
Angela Rayner, Britische Vize-Premierministerin

Tatsächlich hat Rayner allen Grund, stolz auf ihren Werdegang zu sein. Aufgewachsen ist sie in einer Sozialsiedlung in Stockport, einer Stadt im Großraum der nördlichen Industriemetropole Manchester, die der Gesellschaftstheoretiker Friedrich Engels schon Mitte des 19. Jahrhunderts als eines der „finstersten und räucherigsten Nester“ Englands bezeichnete. Ihre psychisch kranke Mutter servierte ihr nach Rayners Aussage einmal „Rasierschaum als Sahne“, weil sie nicht lesen gelernt hatte. „Ich bin größtenteils bei meiner Großmutter aufgewachsen, die drei Jobs hatte, um das Essen auf den Tisch zu bringen.“

Angela Rayner: Schwanger mit 16

Mit 16 wurde die heutige Politikerin schwanger. Als alleinerziehende Mutter arbeitete sie nach einer Ausbildung als Sozialarbeiterin. Über die Gewerkschaften führte ihr Weg dann in die Politik. 2015 wurde sie als Abgeordnete für den Wahlkreis Ashton-under-Lyne bei Manchester ins Parlament gewählt.

Als Keir Starmer 2020 den vorherigen Labour-Vorsitzenden Jeremy Corbyn ablöste, wählte die Partei die inzwischen dreifache Mutter zu seiner Stellvertreterin. Ihr Sohn wurde 2017 Vater – und Rayner selbst damit im Alter von 37 Jahren Großmutter. Sie selbst bezeichnet sich deshalb mittlerweile in einer Wortkombination aus Großmutter und Angela als stolze „Grangela“.

„Sie ist eine Kämpferin“, sagt die britische Journalistin Katy Balls. „Sie kommt aus der Gewerkschaft, hat sich ihren Platz hart erarbeitet und weiß, dass sie eine einzigartige Machtbasis in der Labour-Partei hat.“ Die 44-Jährige „füllt die Lücken für Keir“, sagt Tom Baldwin, der eine Biografie über den Labour-Chef geschrieben hat. Rayner trägt ihr Herz auf der Zunge, wirkt zugänglicher und wärmer als der 61-jährige neue Premierminister.

Angela Rayner: Karriere hing am seidenen Faden

Doch könnten ihre Offenheit und ihr politischer Hintergrund auch zur Gefahr für Starmer werden? Erst im Frühjahr hing Rayners Karriere nach einer politischen Kampagne der konservativen Partei gegen sie für einen Moment am seidenen Faden. Es ging um die Frage, ob sie Steuerschulden übersehen oder bewusst nicht bezahlt hatte und wo sie während ihrer Ehe wohnte. Rayner kündigte an, im Falle eines Schuldspruches zurückzutreten, betonte jedoch, nichts Falsches getan zu haben. Erst kurz vor der Parlamentswahl wurden die Ermittlungen ge-gen sie eingestellt.

Aus den Reihen der britischen Wirtschaft wird außerdem immer wieder die Frage gestellt, ob Rayner nicht zu weit links steht. Schließlich diente die Politikerin zunächst unter dem ehemaligen radikal-linken Labour-Chef Corbyn, der Verstaatlichungen, höhere Beamtengehälter und Arbeitsmarktreformen forderte. Rayner bezeichnet sich selbst jedoch als „weiche Linke“, die etwa gegen Kriminalität hart vorgehen wolle, weil sie aus Erfahrung wisse, wie wichtig es sei, sich sicher zu fühlen. Als Politikerin in der Regierung hoffe sie außerdem, ein Vorbild für junge Frauen aus der Arbeiterklasse zu sein.