GesundheitKeine Vitaminpillen für Schwangere

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Vorsicht vor Vitaminpräparaten, warnen Ernährungsexperten! Schwangere sollten sich nicht von ihrem Arzt überreden lassen. (Bild: dpa)

Vorsicht vor Vitaminpräparaten, warnen Ernährungsexperten! Schwangere sollten sich nicht von ihrem Arzt überreden lassen. (Bild: dpa)

Anke R. war glücklich, als sie merkte, dass sie schwanger war. Für das winzige Wesen, das in ihrem Bauch heranwuchs, hätte sie alles getan. Daher kaufte sie auch das teure Nahrungsergänzungsmittel, das ihre Frauenärztin empfohlen hatte. "Die Monatspackung hat etwa 50 Euro gekostet", berichtet die Steuerfachfrau. "Ich habe das Mittel trotzdem Tag für Tag genommen, weil ich dachte, es sei gut für das Baby."

So wie Anke R. denken wohl viele Schwangere. Aus Überzeugung, zur gesunden Entwicklung ihres Kindes beizutragen, greifen sie zu Multivitamin- und Mineralstoffprodukten. Und die Hersteller machen damit offenbar gute Geschäfte: Nach Angaben der Verbraucherzentrale NRW haben die Bundesbürger 2010 weit mehr als eine Milliarde Euro für Nahrungsergänzungsmittel ausgegeben.

Dabei ist das Angebot an Pillen und Pülverchen speziell für Schwangere groß: Er reicht von Tabletten, die nur Folsäure, Jod und Vitamin B12 enthalten, bis hin zu Kombinationsprodukten, in denen eine ganze Reihe verschiedener Vitamine und Mineralstoffe stecken. Doch Ernährungsexperten raten inzwischen übereinstimmend zur Zurückhaltung. "Der Bedarf an verschiedenen Nährstoffen ist in der Schwangerschaft tatsächlich erhöht", sagt Antje Gahl von der Deutschen Gesellschaft für Ernährung. Auch bei einer ausgewogenen Ernährung könne es zu einer Unterversorgung mit Folsäure, Eisen oder Jod kommen, die für die Entwicklung des Fötus besonders wichtig sind.

Vorsicht bei einer Überdosis Vitamine

Dennoch sollten Frauen nicht ohne Rücksprache mit dem Arzt zu Nahrungsergänzungsmitteln greifen, rät Gahl. Vor allem bei Kombinationspräparaten mit vielen Inhaltsstoffen ist Vorsicht geboten: "Ich rate Schwangeren davon ab, täglich Multivitamintabletten zu nehmen. Dadurch kann es nämlich schnell zu hohen Dosierungen kommen." Denn häufig konsumieren Frauen noch anderweitig Vitamine, ohne sich dessen bewusst zu sein - etwa in Form von angereicherten Säften oder Müsli. Und eine Überdosis an Vitaminen und Mineralstoffen kann sich, da sind sich Experten einig, negativ auf die Gesundheit von Mutter und Kind auswirken.

Eine besondere Bedeutung in der Schwangerschaft hat Folsäure: Bei einer Unterversorgung steigt das Risiko, dass das Baby mit Neuralrohrdefekt ("offener Rücken") auf die Welt kommt, deutlich an. "Der Zusammenhang zwischen Neuralrohrdefekt und Folsäuremangel war bei einer Studie so offensichtlich, dass sie abgebrochen werden musste", sagt Prof. Regina Brigelius-Flohé vom Deutschen Institut für Ernährungsforschung. "Es ist auch klar, dass man die in der frühen Schwangerschaft benötigte Menge nicht über die Nahrung zu sich nehmen kann. Sonst müsste man täglich ungefähr ein Pfund Spinat essen." Daher sind sich Experten einig, dass Frauen in den ersten zwölf Wochen der Schwangerschaft 400 Mikrogramm Folsäure zur Nahrungsergänzung zu sich nehmen sollten. Mit der Einnahme sollten sie schon vier Wochen vor der Empfängnis beginnen - doch das ist nur dann realistisch, wenn die Schwangerschaft geplant ist.

"Alle Frauen brauchen in der Frühschwangerschaft zusätzlich Folsäure und in der gesamten Schwangerschaft Jod. Andere Stoffe sollten Schwangere nur nach Rücksprache mit ihrem Arzt einnehmen", sagt Petra Hottenroth vom "Netzwerk Junge Familie". So wird auch eine grundsätzliche Empfehlung des entsprechenden Konsensuspapiers lauten, auf das sich verschiedene Fachgesellschaften geeinigt haben. Es wird voraussichtlich Ende Mai präsentiert.

Mit Jod-Tabletten nicht auf eigene Faust versorgen

Mit Jod-Tabletten sollten sich Frauen nicht auf eigene Faust versorgen, rät Hottenroth. Die Dosis richtet sich nämlich nach den Ernährungsgewohnheiten: Wer mehrmals in der Woche Fisch und täglich Milchprodukte isst, muss in der Regel weniger zusätzliches Jod über Tabletten einnehmen. Zurückhaltung ist bei Eisen geboten: "Nur wenn beim Arzt wirklich ein Eisenmangel festgestellt wurde, sollte man Eisen-Tabletten nehmen", sagt die Ernährungsexpertin. Offenbar neigen Schwangere aber dazu, sich unnötigerweise mit Eisen-Präparaten zu versorgen.

Bei einer Befragung von mehr als 500 Frauen, die kurz zuvor entbunden hatten, kam die TU München zu dem Ergebnis, dass zwei Drittel der Teilnehmerinnen in der Schwangerschaft Eisenpräparate genommen hatten, obwohl nur etwa ein Drittel einen Eisenmangel hatte. Eine Überversorgung mit Eisen ist aber keineswegs gesund. Dazu lautet der Kommentar von Prof. Hans Hauner, Ernährungsmediziner an der TU München: "Dieser unkritische Umgang mit Eisenpräparaten ist nicht nur unsinnig, sondern könnte dem Ungeborenen wegen der teilweise sehr hohen Dosen sogar schaden. Leider gibt es hierzu noch keine aussagekräftigen Studien."

Vitaminüberdosis wird zu Belastung für Organismus

Auch wer seinen Körper mit Vitamindosen, die über den Tagesbedarf hinausgehen, versorgt, tut sich und seinem Kind nichts Gutes: "Viele Vitamine werden, wenn im Übermaß aufgenommen, vom Körper ausgeschieden wie Fremdstoffe und sind damit eine Belastung für den Organismus", sagt Prof. Brigelius-Flohé. Darüber hinaus kann vor allem zu viel Vitamin A für Schwangere gefährlich sein: Im Extremfall kann eine Überversorgung zu Missbildungen beim Fötus führen, wie die Expertin erklärt. Auch Vitamin D kann in großen Mengen schädlich sein, da dadurch Kalzium freigesetzt wird, das sich in Organen und Blutgefäßen ablagert. Nicht einmal die vielgepriesenen Omega-3-Fettsäuren aus Fischöl, die in einigen Nahrungsergänzungsmitteln für Schwangere enthalten sind, haben einen nachweisbaren Nutzen.

Angesichts dieser Erkenntnisse kam das Magazin "Öko-Test" 2010 zu einem ernüchternden Ergebnis: Von 17 Vitaminpräparaten für Schwangere erhielten nur vier ein "Sehr gut" oder "Gut". "Viele Produkte enthalten Vitamine in Mengen, die weit über den tatsächlichen Bedarf hinausgehen", heißt es bei "Öko-Test". Eine Beratung beim Arzt soll verhindern, dass es zu Überdosierungen kommt. Doch blindes Vertrauen ist offenbar nicht immer angebracht: So wurde etwa Anke R. nicht nur ein bestimmtes Präparat von ihrer Gynäkologin empfohlen, sondern auch noch gleich in deren Praxis angeboten. "Ich habe mich dazu gedrängt gefühlt, das Produkt zu kaufen", berichtet Anke R. Ein solches Verhalten sei illegal, warnt Angela Clausen von der Verbraucherzentrale NRW: "Ärzte dürfen in ihrer Praxis während der Sprechzeiten keine Nahrungsergänzungsmittel verkaufen. So etwas sollte man der Ärztekammer melden."

Medikamente werden in der Apotheke gekauft

In der Tat sieht die Bundesärztekammer die Gefahr, dass das Vertrauensverhältnis zwischen Arzt und Patient beeinträchtigt wird, wenn ökonomische Interessen des Arztes in den Vordergrund treten. Allerdings hat der Bundesgerichtshof die Berufsordnung in seiner jüngsten Rechtsprechung recht locker ausgelegt: So heißt es in einem Urteil von 2008, dass ein Arzt in seiner Praxis eine gewerbliche Ernährungsberatung betreiben und zugleich Produkte verkaufen darf - Voraussetzung ist aber, dass er diese Tätigkeit zeitlich, organisatorisch, wirtschaftlich und rechtlich von seiner Tätigkeit als Arzt trennt. Unabhängig von der Rechtslage empfiehlt Clausen, sich nicht zum Kauf eines bestimmten Produkts drängen zu lassen: "Lassen Sie sich vom Arzt die benötigte Nährstoff-Verbindung und die Dosierung aufschreiben und machen Sie in Apotheke und Drogeriemarkt Preisvergleiche."

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