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GewaltschutzzentrumWenn das Kind die Mutter schlägt

Lesezeit 4 Minuten

Köln – Bettina H. hatte gedacht, dass jetzt alles besser würde. Das war vor vier Jahren. Da trennte sich die zweifache Mutter von ihrem gewalttätigen Ehemann. Doch die Hoffnung auf ein Leben in Harmonie und Liebe zerschlägt sich schon bald. Ihr 21 Jahre alter Sohn Pascal (alle Namen geändert) verhält sich immer aggressiver. Als Bettina H. von ihm gewürgt wird, unternimmt die 42-Jährige nichts. Ihre Tochter ist es, die wenig später die Polizei alarmiert: Pascal hat die neu gekauften Kleider seiner Mutter zerrissen und ihr Schlafzimmer verwüstet.

Geschichten wie diese sind im „Wendepunkt“, dem rechtsrheinischen Gewaltschutzzentrum der Diakonie Michaelshoven, kein Einzelfall. Im Gegenteil: Immer mehr Frauen melden sich dort, die Gewalt durch ihre heranwachsenden Söhne erfahren. Waren es 2009 noch 29 Fälle, stieg die Zahl 2010 auf 51 - ein Plus von 76 Prozent. Nach Worten von Einrichtungsleiterin Marina Walch handelt es sich dabei oftmals um Frauen, die vor Jahren von ihrem Ehemann geschlagen worden sind, und sich nun - nach erfolgreicher Trennung - mit ihrem gewalttätigen Sohn auseinandersetzen müssen. „Es handelt sich dabei zumeist um Jugendliche oder junge Erwachsene, die als Kind selbst Gewalt miterlebt haben“, erklärt Walch. Hier zeigten sich die Folgen, wenn keine anderen Verhaltensmuster für Konfliktsituationen erlernt werden.

Beim Sohn von Bettina H. beginnt es mit Beleidigungen und Drohungen. Pascal bricht seine Ausbildung vorzeitig ab, macht mit Freunden die Nacht zum Tag und konsumiert Drogen. Fast täglich fordert er Geld von seiner Mutter, die als Schuhverkäuferin arbeitet. Auch die 17 Jahre alte Schwester leidet unter ihrem Bruder, wird ebenfalls bedroht und beschimpft. So viel Zeit wie möglich verbringt Jessica bei einer Freundin. Dass sie nach dem bislang heftigsten Ausraster ihres Bruders die Polizei gerufen hat, bleibt nicht ohne Folgen: Pascal wird von den Beamten zehn Tage der Wohnung verwiesen.

„Das ist die alleinige Entscheidung der Polizei“, erklärt Walch. Selbst wenn das Opfer dies nicht möchte, wird dem Täter der Zutritt untersagt. Dass die häusliche Gewalt angesichts der steigenden Fallzahlen insgesamt zugenommen habe, könne nicht gesagt werden. Mit zunehmender Bekanntheit von Beratungsstellen wie dem „Wendepunkt“ trauen sich auch mehr Opfer, über ihr Schicksal zu reden, sagt die Sozialpädagogin. Zudem sei das Verhalten der Polizei konsequenter geworden seit Inkrafttreten des Gewaltschutzgesetzes 2002. Wegen häuslicher Gewalt wurden 2010 in Köln 3368 Strafanzeigen erstellt, 144 mehr als im Vorjahr (siehe Tabelle). 93 Prozent der Opfer sind weiblich. Die Opfer werden dann an Beratungsstellen vermittelt.

Auffallend ist die Tatsache, dass in den rechtsrheinischen Polizeiinspektionen deutlich mehr Fälle von häuslicher Gewalt registriert werden als in den linksrheinischen, wo über 60 Prozent der Bevölkerung leben. „Es gibt keine wirkliche Erklärung, sondern nur eine Vermutung dafür“, sagt Walch. Und die liege in der größeren Anzahl von sozialen Brennpunkten mit schwierigen Milieus auf der rechten Rheinseite.

Als Tatmotive nennt Walch in erster Linie „Unzufriedenheit mit sich selbst“, bedingt durch die berufliche oder finanzielle Lage. Aber auch in jungen Familien mit Neugeborenem kann die Situation eskalieren, zum Beispiel durch zusätzlichen Stress und Schlafmangel. „Das kann losgehen beim Essen, das ihm nicht geschmeckt hat oder beim Kaffee, der ihm zu heiß war.“

Walch hat Frauen kennen gelernt, deren Selbstwertgefühl dadurch stetig abgenommen hat. „Ich bin es, die was falsch gemacht hat“, seien viele Frauen der Meinung, vor allem wenn erst der Mann und dann der Sohn geschlagen hat. Aktuell kümmert sich eine von sieben Mitarbeiterinnen beim „Wendepunkt“ um die Mutter eines Elfjährigen. „Es gibt aber auch den 30-Jährigen, der noch zu Hause wohnt und seine Mutter terrorisiert.“ Intensive Mehrfachberatungen in sechs verschiedenen Sprachen, in denen auch juristische und sozialrechtliche Fragen geklärt werden, sind in dem Gewaltschutzzentrum der Diakonie Michaelshoven an der Tagesordnung.

Auch Bettina H. fand im „Wendepunkt“ Vertrauen, Aufmerksamkeit und Unterstützung. Aber: Ihren Sohn zehn Tage lang vor der Tür zu lassen, wie die Polizei es angeordnet hatte, konnte sie nicht. Zu groß war die Angst um Pascal. „Dann muss ich eben dealen gehen“, hatte der 21-Jährige zu seiner Mutter gesagt. „Sich von meinem gewalttätigen Mann zu trennen, war eine gute Entscheidung, und ich bin stolz, dass ich das geschafft habe“, sagt die 42-Jährige. „Aber meinen eigenen Sohn auf die Straße zu setzen, bringe ich nicht übers Herz - egal, was er tut . . .“

Der Wendepunkt, Telefon 0221 / 820 94 16; www.diakonie-michaelshoven.de