Der Arbeitskreis Zwangsarbeit/„Ausländerkinder-Pflegestätte“ informiert über eines der dunkelsten Kapitel der Alfterer Geschichte.
80 Jahre KriegsendeAlfterer Arbeitskreis stellt drei Projekte vor

An der Gedenkstele vor dem Rathaus wurde der Erinnerungsstein für Nikoley Keres nachträglich hinzugefügt.
Copyright: Frank Engel-Strebel
Am 8. Mai jährten sich das Ende des Zweiten Weltkrieges und die Befreiung vom Nationalsozialismus zum 80. Mal. Für den Arbeitskreis Zwangsarbeit/„Ausländerkinder-Pflegestätte“ im Förderverein „Haus der Alfterer Geschichte“ ein passender Anlass, um über eines der dunkelsten und traurigsten Kapitel der Alfterer Geschichte zu informieren und in der Öffentlichen Bücherei Alfter/Meckenheim, der „Bücherbrücke“, gleich drei Projekte vorzustellen.
2021 hatte der damalige Gemeindearchivar Jens Löffler die Historie der sogenannten „Ausländerkinder-Pflegestätte“ und der Zwangsarbeit auf dem heutigen Alfterer Gemeindegebiet während des Zweiten Weltkrieges aufgearbeitet. Den Impuls gab ein Bürgerantrag.
Als zentrale Quellengrundlage diente eine 863 Karteikarten umfassende Ausländermeldedatei, die Ende 2019 an das Gemeindearchiv übergeben wurde. Der Großteil dieser Menschen wurde als Zwangsarbeiter eingesetzt, meist bei Landwirten, Betrieben oder in diversen Lagern. Acht Lager zwischen Witterschlick und Alfter-Ort sind bekannt.

Die Dokumentation zur Zwangsarbeit in Alfter während des Krieges ist ab sofort als gedruckte Broschüre erhältlich.
Copyright: Frank Engel-Strebel
„Ein Dorn im Auge“ waren den Nazis sowohl aus ökonomischer als auch aus rassenideologischer Sicht schwangere Zwangsarbeiterinnen, durch die das Hauptziel, „die Aufrechterhaltung der Produktion“, gefährdet wurde. Zunächst schoben die Nazis schwangere Frauen in ihre Heimatländer ab, meist nach Osteuropa, als jedoch die Schwangerschaften unter ihnen massiv anstiegen, wurden zunehmend Entbindungs- und Kinderanstalten unter der beschönigenden Bezeichnung „Ausländerkinder-Pflegestätten“ eingerichtet. Quellen zufolge befand sich eine solcher Pflegestätten am Landgraben 112 in Alfter-Ort. 19 Säuglinge sollen dort unter erbärmlichsten Umständen ums Leben gekommen sein.
Im Zuge der Recherchen konnten zunächst 14 Namen, später durch einen Hinweis aus der Bevölkerung, noch der Name eines weiteren 15. Kindes, Nikoley Keres, identifiziert werden. Um an das Schicksal der Babys zu erinnern, steht seit dem vergangenen Jahr eine Gedenkstele mit den Namen aller verstorbenen Kinder vor dem Rathaus in Oedekoven, finanziert über eine Crowdfunding-Aktion. An die nicht identifizierten Kinder erinnern Gedenksteine versehen mit einem Engelsflügel.
Publikation „Zwangsarbeit in Alfter 1939 – 1945“
Bislang lag die wissenschaftliche Dokumentation mit dem Untertitel „Hauptziel ist die Aufrechterhaltung der Produktion“ von Jens Löffler nur als PDF-Dokument vor, die von der Internetseite der Gemeinde Alfter kostenlos heruntergeladen werden konnte. Seit dem 8. Mai ist die Arbeit auch als gedruckte Broschüre in einer Auflage von 250 Stück erhältlich.
Weiterführende Schulen können diese als Klassensätze in der „Bücherbrücke“ am Hertersplatz 14 ausleihen. Dort können interessierte Leser auch die knapp 40 Seiten lange Dokumentation bekommen, ebenso im Archiv im Rathaus oder im Haus der Alfterer Geschichte hinter der Pfarrkirche St. Matthäus. Das Büchlein wird kostenlos an den drei „Alfterer Orten der Bildung“ abgegeben, so Gemeindesprecherin Maryla Günther, die das Projekt gemeinsam mit Gemeindearchivar Ulrich Stevens von Seiten der Verwaltung betreut. Gesponsert wurde der Druck der Broschüre von Daniel Faßbender aus Oedekoven und seiner Werbeagentur.
Buchausstellung
Mit einem Impulsreferat zum Thema „Zwangsarbeit“ wurde am 8. Mai in der „Bücherbrücke“ eine Buchausstellung zum Thema eröffnet. Dafür hat das Büchereiteam mehr als 60 Werke, auch Kinder- und Jugendtitel, zusammengestellt, sowohl Sachliteratur als auch Belletristik. Zu finden sind die Werke in der ersten Etage der Bücherei im Bereich der „Heimatliteratur“.

Stellten die Aktivitäten vor: Susanne Bahn, Ulrich Stevens, Franzis Steinhauer und Thomas Klaus (v.l.).
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Dieser Platz wurde bewusst so gewählt wie Büchereileiterin Franzis Steinhauer erläuterte: „Uns als Bücherei ist es wichtig, dass die Menschen erfahren, was in Alfter alles passiert ist.“ Dies können Büchereibesucher auch direkt im Foyer erfahren, wo eine Vitrine unter anderem mit historischen Fotos aus der NS-Zeit in Alfter und den Meldekarten mit den Namen der Zwangsarbeiterinnen und deren Kinder zu sehen ist. Beide Ausstellungen sind bis zum Beginn der Sommerferien am 14. Juli zu sehen.
Radtour
Zusammen mit Gemeindearchivar Ulrich Stevens bietet die Ortsgruppe des Allgemeinen Deutschen Fahrradclubs (ADFC) am Mittwoch, 21. Mai, um 10.30 Uhr eine geführte Radtour auf den Spuren der NS-Zwangsarbeit in Alfter geleitet von Susanne Bahn an. Die Tour startet am Alfterer Rathaus.
Weiter geht es über Witterschlick durch den Kottenforst zurück nach Alfter, wo auch ein kurzer Halt am jüdischen Friedhof und am Friedensweg am Buchholzweg geplant ist. Die Tour führt auch am ehemaligen Standort der „Ausländerkinder-Pflegestätte“ am Landgraben vorbei und endet wieder im Rathaus, wo auch die Möglichkeit besteht, sich im Archiv die Unterlagen zum Thema anzusehen.
Die Rundtour ist zirka 22 Kilometer lang, ist mit nur leichten Steigungen einfach zu bewältigen. Auch eine Einkehr ist geplant. Eine Anmeldung ist nicht erforderlich. Nicht-ADFC-Mitglieder zahlen 2 Euro. Informationen gibt es bei Susanne Bahn (Tel.: (0151) 1220 4769) oder Hans Peter Müller (Tel.: (0160) 9779 55 86).
Weitere Ideen
2008 wurden in Alfter neun in der Holzgasse und in der Knipsgasse neun Stolpersteine verlegt. Franzis Steinhauer könnte sich vorstellen, dass Jugendliche vom Gymnasium Alfter oder andere Bürger diese einmal säubern. Eine weitere Idee ist ein Erzählcafé. Zeitzeugen oder Nachfahren könnten sich zwanglos zum Gespräch treffen, um sich über die NS-Zeit auszutauschen.
Das „Erzählcafé soll in der „Bücherbrücke“ eingerichtet werden. Auch die Forschungen zum Thema „Ausländerkinder-Pflegestätte“ sollen weitergeführt werden, so der Sprecher der Arbeitsgruppe, Thomas Klaus. Hier hofft er auf weitere Impulse und Berichte aus der Bevölkerung. Die sei auch anonym möglich.
Denkbar wäre auch, dass sich Studenten im Rahmen einer Diplomarbeit intensiver mit dem Thema auseinandersetzen: „Jeder noch so kleinste Schnipsel ist wichtig und führt zu einem großen Mosaikbild“, meinte Maryla Günther.
Kontakt: Gemeindearchivar Ulrich Stevens, E-Mail: archiv@gemeinde-alfter.de; Rufnummer (0228) 6484-139; www.zwangsarbeit-in-alfter.de