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Interview mit Hans-Joachim PieperAlanus steht für ethische Reflektion im Sinne des Planeten

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Seit 2020 ist Prof. Dr. Hans-Joachim Pieper Rektor der Alanus Hochschule Alfter.

Seit 2020 ist Prof. Dr. Hans-Joachim Pieper Rektor der Alanus Hochschule Alfter. 

Hans-Joachim Pieper ist Rektor der Alanus Hochschule in Alfter. Im Interview spricht er über die Bedeutung der Bildungsstätte für die Region und über anstehende Herausforderungen.

Was macht für Sie die Alanus Hochschule aus? Wie sehen Sie die Position von Alanus innerhalb der deutschen Hochschullandschaft?

Hans-Joachim Pieper: Die Alanus Hochschule ist eine staatlich anerkannte private Kunsthochschule. Sie verbindet künstlerische Fachbereiche wie Bildhauerei, Malerei und Schauspiel mit wissenschaftlichen Disziplinen, die ihrerseits stark anwendungsorientiert sind, wie Kunsttherapie, Architektur, Pädagogik und Wirtschaft. An der Alanus Hochschule wird der Austausch zwischen den Fachbereichen besonders betont. Deshalb gibt es bei uns interdisziplinäre Studiengänge wie „Kunst – Pädagogik – Therapie“ und ein obligatorisches Studium Generale, in dem die Studierenden philosophische, soziologische, kunsthistorische und andere Perspektiven kennenlernen. In allen Fachbereichen spielt explizit auch Kunst eine Rolle. Einen weiteren Fokus legen wir auf soziales Engagement, auf Fragen der Gemeinwohlökonomie sowie auf Nachhaltigkeitsthemen. Die Alanus Hochschule hat außerdem einen Schwerpunkt in der Waldorfpädagogik; man kann bei uns Eurythmie studieren und sich mit anthroposophischen Themen auseinandersetzen. Mit alldem steht die Alanus Hochschule einzigartig da und bereichert die Hochschullandschaft durch ihren offenen, interdisziplinären und ganzheitlichen Ansatz im Dialog von Wissenschaft und Kunst.

An Alanus wurden die weltweit erste Professur und der weltweit erste Masterstudiengang Eurythmie eingerichtet.

An Alanus wurden die weltweit erste Professur und der weltweit erste Masterstudiengang Eurythmie eingerichtet.

Welche Entwicklungen der Alanus Hochschule in den vergangenen 50 Jahren sehen Sie als besonders wichtige Meilensteile an und warum?

1973 wurde auf dem Johannishof eine freie Kunststudienstätte gegründet. Zu den ursprünglichen Fachrichtungen Bildhauerei, Malerei, Eurythmie und Musik kamen Sprachgestaltung/Schauspiel (1975), Architektur (1980), Wirtschaft (2005), Bildungswissenschaft (2006) und Kunsttherapie (2007) hinzu. Wegweisend war die staatliche Anerkennung als Kunsthochschule Ende 2002. Die staatliche Anerkennung wurde 2010 und 2021 durch die institutionelle Akkreditierung bekräftigt. 2010 wurde zudem das Promotionsrecht für den Fachbereich Bildungswissenschaft verliehen. Diese Meilensteine zeigen den Weg der Alanus Hochschule hin zu einer akademischen, an wissenschaftlichen Standards orientierten Hochschule. Der Erfolg zeigt sich an der Eröffnung eines zweiten Campus in Alfter (2009), der Erweiterung der staatlichen Anerkennung auf einen Standort in Mannheim und nicht zuletzt am Aufwuchs der Studierendenzahlen auf mittlerweile fast 2000 Studierende.

In den ersten Jahren waren viele Alfterer den Alanus-Studierenden sehr skeptisch und distanziert gegenüber eingestellt. Wie sieht das Verhältnis zwischen den Studierenden und Alfterern aus Ihrer Sicht heutzutage aus?

In den Anfangsjahren haben die Alfterer Bürgerinnen und Bürger wohl eher die Nase gerümpft über die „Hippie-Kommune“ auf dem Johannishof, deren Mitglieder in weite Gewänder gehüllt auf freiem Feld Eurythmieübungen vorgeführt haben sollen. Sicher haben die jungen „Alaner:innen“ es hier und da auch auf Provokationen angelegt. Mittlerweile stehen Alanus Hochschule und Werkhaus und die Gemeinde Alfter in engem Kontakt; Bürgermeister Dr. Rolf Schumacher ist Mitglied in mehreren Gremien der Hochschule beziehungsweise der Alanus Stiftung und regelmäßiger Gastredner bei der Begrüßung der Erstsemester. Die Studierenden gehören inzwischen zum Alfterer Ortsbild. Sie haben ein ehemaliges Ladenlokal in eine Begegnungsstätte, das „Wohnzimmer“, verwandelt; sie wohnen in Alfter, zum Teil in WGs; manche Hausfassade wurde von Kunststudierenden gestaltet. Also: Alfterer und Studierende sind gute Nachbarn geworden.

Wie sehen Sie die Entwicklung der Alanus Hochschule in fünf bis zehn Jahren auch im Hinblick auf die aktuellen globalen Krisen? Welche Herausforderungen wird es geben?

Große Sorge machen mir neben der Klimakrise und den immer noch beträchtlichen wirtschaftlichen Ungleichheiten die demokratiefeindlichen Entwicklungen, die weltweit zunehmen; die politischen und wirtschaftlichen Bündnisse sind in Bewegung, was weitere militärische Konflikte wahrscheinlicher macht. Die Alanus Hochschule wird sich wie alle Hochschulen noch deutlicher international aufstellen müssen. Als ein Ort, an dem Weltoffenheit, Gleichstellung, Integration, Religionsfreiheit, Nachhaltigkeit, Persönlichkeitsbildung, Gemeinsinn und kritisches Denken gelebt und gefördert werden, wird sie an Bedeutung zunehmen. Wirtschaft und Technik sollten zum Wohle des Menschen und des Planeten da sein und nicht umgekehrt. Die Alanus Hochschule sollte sich als eine Hochschule weiterentwickeln, an der auch die Entwicklungen in Gentechnik, Medizin, KI etc. ethisch reflektiert und mit innovativen Ideen begleitet werden.

Welche Impulse und Lösungsvorschläge oder Denkanstöße können die Studierenden und Dozentinnen und Dozenten im Hinblick auf diese globalen Krisen anbieten?

Die nachhaltigste „Investition“ in die Zukunft ist Bildung. Die ganzheitliche Entwicklung der Persönlichkeit zu unterstützen, ist ein wertvoller Beitrag dazu, den Herausforderungen der Zukunft angemessen zu begegnen. Gemeinwohlorientierung, Demokratiebewusstsein, Sensibilität für Nachhaltigkeitsthemen sind wesentliche Elemente für eine zukunftsfähige Gesellschaft. In den Kunst-Bereichen findet die Auseinandersetzung mit den Bedrohungen der Natur und den Chancen und Gefahren der Künstlichen Intelligenz bereits intensiv statt. Unsere Architektinnen und Architekten erforschen unter anderem nachwachsende Baustoffe. Modelle, die statt auf immer mehr Wachstum und Ressourcenverbrauch auf regeneratives Wirtschaften setzen, werden in unserer Betriebswirtschaftslehre gelehrt und diskutiert. Die Stärkung von Resilienz, Theorien zum bedingungslosen Grundeinkommen, ganzheitliche philosophische Konzepte gegenüber einem einseitigen Materialismus und Biologismus sind weitere Impulse, mit denen die Mitglieder der Alanus Hochschule zur Gestaltung der Zukunft beitragen. Globale Krisen werden nicht allein in Alfter gelöst, und es gibt auch nicht den einen Schlüssel zur Lösung aller Probleme. Unser Namenspatron Alanus ab Insulis und im letzten Jahrhundert zum Beispiel auch noch Erich Fromm haben sich einen „neuen Menschen“ gewünscht – mir würde genügen, wenn wir unsere Einstellungen und unser Verhalten so verändern, dass die kommenden Generationen weltweit eine Chance auf ein lebenswertes Leben in einer lebenswerten Umwelt haben.


Professor Hans-Joachim Pieper, 1958 in Wesel geboren, lenkt seit 2018, zunächst kommissarisch, die Geschicke der Alanus Hochschule. Seit März 2020 ist er offiziell gewählter Rektor der staatlich anerkannten Kunsthochschule in Alfter. Der studierte Philosoph, Literaturwissenschaftler und Pädagoge ist damit nach Gründungsrektor Marcelo da Veiga (2002 bis 2017) und Monika Kil (2018) der dritte Rektor der Alanus Hochschule seit der staatlichen Anerkennung im Jahr 2002. Den Anlass zum Gespräch bot das Jubiläum 50 Jahre Alanus.