Bonn/Rhein-Sieg-Kreis – Am Bahnhof Industriepark Kottenforst in Meckenheim soll alles angefangen haben. In der Nacht zum 2. November 2012 gegen 0.15 Uhr, so heißt es in der Anklage der Bonner Staatsanwaltschaft, wickelten zwei Männer eine Stahlkette um den Fahrkartenautomaten und zogen ihn mit Hilfe eines Lasters samt Sockel aus der Verankerung. Auf einem Parkplatz, 75 Meter entfernt, wurde das 450 Kilo schwere Teil aufgeladen und in eine Werkstatt gefahren. Denn die Diebe waren zunächst vorrangig daran interessiert, wie die Automaten „ticken“, um sie später gleich am Bahnhof knacken zu können.
Wenige Tage später rissen sie laut Staatsanwaltschaft noch einen zweiten Automaten zu Versuchszwecken am Bahnhof in Merzenich (Kreis Euskirchen) aus der Verankerung. Es wurde gebohrt und geschweißt, bis die Diebesbande den Schwachpunkt der Automaten fand: Mit einer einzigen kleinen Bohrung ließ sich die Kiste öffnen. Das war nach Angaben der Staatsanwaltschaft der Anfang einer spektakulären Serie von schweren Diebstählen, die eine Bonner Bande bundesweit verübt haben soll. Gestern wurden fünf Männer im Alter zwischen 19 und 50 Jahren angeklagt, die in wechselnden Besetzungen ab Mitte November 2012 in 47 Fällen bundesweit Fahrkartenautomaten geknackt und dabei 130 000 Euro Beute gemacht haben sollen.
Automatenknacker minuziös verfolgt
Neben Bonn, Remagen, Bad Honnef, Hennef und Sankt Augustin sollen die Angeklagten auch Brühl, Köln, Leverkusen und vor allem Bahnhöfe an der Rheinschiene angefahren haben. Auch im Ruhrgebiet – zum Beispiel Dortmund, Essen – haben sie nach Angaben eines Behördensprechers Automaten geleert und sich schließlich über Potsdam in den deutschen Osten orientiert. Allein der Sachschaden soll nach Angaben der Deutschen Bahn (DB) fast eine halbe Million Euro betragen. Ein Fahrkartenautomat kostet 20 500 Euro.
Da die Fahrkartenautomaten der DB alle mit einem Alarmsignal versehen sind, konnte die ermittelnde Bundespolizei in Sankt Augustin und Koblenz die Wege der Automatenknacker minuziös verfolgen, lange Zeit ohne zu wissen, wer sie sind. Auch die beiden Automaten, die als Probestücke aus der Verankerung gerissen worden waren, waren bald schon an der Siegfähre in Troisdorf gefunden worden. Mit Hilfe detaillierter Telefon-Überwachung schließlich kamen die Ermittler nach und nach der Bonner Bande auf die Spur: Unter anderem soll ein 20-jähriger Mitangeklagter, der sich während der Tatzeit aufs Abitur vorbereitet hat, am Handy erzählt haben, dass er mit 22 Fehlerpunkten durch die Führerschein-Prüfung gefallen sei. Eine Recherche nach dieser Person beim TÜV half bei der Identifikation.
34-jähriger Bonner Kopf der Band
Der Kopf der Bande ist laut Anklage ein 34-jähriger Bonner sein, der – ohne Job und mit zahlreichen Vorstrafen – den Plan entwickelt und auch bestimmt haben soll, wohin die Reise geht. Er soll auch den größten Teil der Beute behalten haben. Neben den Mittätern, die alle verschiedene Aufgaben hatten, gab es acht weitere Personen, die für einen Stundenlohn von 10 Euro die Fluchtfahrzeuge gefahren oder Wache geschoben haben sollen, ohne zu wissen, was Sache war. Vier Tage vor der Festnahme der Bonner Bande am 25. April 2013 soll ein Raubüberfall mit Waffen auf einen Großmarkt in Montabaur geplant gewesen sein. An dem Abend sollte einer aus dem Quintett, der bei einer Sicherheitsfirma beschäftigt war, Dienst schieben. Alles sei schon besorgt gewesen, so der Ankläger, das Fluchtfahrzeug, auch neue SIM-Karten. Aber in letzter Sekunde erreichte die Angeklagten die Nachricht, dass der Komplize an dem Abend nicht arbeiten musste. Das Verbrechen wurde abgeblasen. Die Staatsanwaltschaft hat den Fall dennoch noch als Verabredung zum schweren Raub angeklagt.
Der Kopf der Bande schweigt zu den Vorwürfen; bis auf einen sitzen alle in Untersuchungshaft. Der Prozess wird vor der Jugendstrafkammer des Bonner Landgerichts stattfinden.