Das Glasmuseum zeigt in einer neuen Ausstellung Rheinbacher Keramik der 1950er bis 1970er Jahre.
Keramikschau im Glasmusem„UFO-Vase“ und Stier sind Klassiker der Rheinbacher Keramik

Der gelbe Stier wird heute von Otto Gerharz an der Industriestraße 9 in Rheinbach produziert.
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Dramatische Farbkombinationen in Rot und Schwarz, schaumig weiße Glasuren mit poröser, lavastein-ähnlicher Oberfläche, asymmetrische Formen in Kombination mit dynamischen Rundungen und kraftvollen Wölbungen, Blumenmuster oder Paris-Themen – das sind nur einige der Merkmale der in Rheinbach vor gut einem halben Jahrhundert hergestellten und weltweit exportierten Industriekeramiken. Eine Auswahl schöner Stücke aus drei Jahrzehnten ist jetzt im Rheinbacher Glasmuseum zu bewundern. Eröffnet wird die neue Sonderausstellung von Glasmuseum und Stadtarchiv unter dem Titel „Keramik Boom! Rheinbacher Keramik der 1950er bis 1970er Jahre“ am Sonntag um 11.30 Uhr mit Stadtarchivar Dietmar Pertz.
Die Gruppe „H(e)artmanns“ & friends“ spielt Stücke vom Wirtschaftswunder bis zur Flowerpower-Zeit. „Mit der Sonderausstellung möchten wir die beliebten Keramik-Klassiker der 1950er bis 70er Jahre noch einmal in den Fokus nehmen“, erklärt Dietmar Pertz. Eine Woche lang sortierte der Stadtarchivar mit seinem Team, bestehend aus den Mitarbeitern des Rheinbacher Glasmuseums und des Stadtarchivs, sorgsam ausgewählte Sammlerstücke in die Vitrinen des Ratssaals. Grundlage war die beachtliche, rund 1800 Objekte umfassende städtische Keramiksammlung, die in großen Teilen durch private Schenkungen zusammengetragen wurde. Sie lagert in 220 stabilen Bananenkisten auf dem Dachboden des Stadtarchivs. Einige Leihgeber vervollständigten die Schau mit ihren Objekten.

Keramik-Malerin Christa Bienentreu ritzt das Dekor 'Reiher' in eine Vase. Die Aufnahme stammt wahrscheinlich aus den 1960er Jahren.
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Und obgleich der Boom, die Hochzeit der Rheinbacher Keramik, heute vorbei ist, sind einige der Ausstellungsstücke noch käuflich zu erwerben. Die Firma „Otto-Keramik“ an der Rheinbacher Industriestraße 9, die zu den letzten deutschen Kunsttöpfereien zählt, produziert Stiere in unterschiedlichen Farben und Größen. Die Unikate werden während der Ausstellung im Museumsshop angeboten. Keramikingenieur Otto Gerharz hatte sich 1964 mit seinem Betrieb selbstständig gemacht, heute führt der Sohn den Familienbetrieb. Weltruhm erreichte der Firmengründer mit seiner „UFO-Vase“.
Unübertroffen waren auch die Glasuren: Mittels chemischer Reaktionen erreichte Gerharz eine Struktur, die wie kochende Lava wirkt und die in der roten Variante später von Sammlern weltweit als „Fat Lava“ bezeichnet wurde. Eindrucksvolle Entwürfe prägen auch die Dekorgestaltung der Firma Ruscha (Rudolf Schardt). Der Name ist eine aus den Anfangsbuchstaben des Vor- und Nachnamens von Rudolf Schardt abgeleitete Kurzform. Dieser hatte im Jahre 1949 die von seinem Vater Georg Peter Schardt sowie seinem Geschäftspartner Hermann Klein im Jahre 1905 gegründete Majolika- und Terrakottafabrik Klein & Schardt an der Koblenzer Straße in Rheinbach übernommen.
Wie die Firmen Marei (Jean Fuss und Sohn), ES-Keramik (J. Emons und Söhne) oder Majolikafabrik Rheinbach Jean Fuss & Sohn KG, die sich auf die Herstellung von Übertöpfen spezialisierte, hat Ruscha in der Branche bis heute einen Namen. Außergewöhnlich ist die Serie „Tabubar“ von Hans Kraemer, einst leitender Modelleur bei ES-Keramik. Die Reihe sei angelehnt an die in dieser Zeit beliebten „Paris“- und „Teenager“-Themen, weiß Stadtarchivar Pertz. Sie symbolisiere „die moderne Jugend, die die biedere Nachkriegszeit und das überholte konservative Frauenbild hinter sich lässt“, schreibt er in seinem Heft zur Rheinbacher Keramik. Die Publikation ist ein informatives Begleitheft zur Ausstellung „zeitnah und formschön – Keramik der 50er Jahre aus Rheinbach“, die Pertz 2005 kuratierte. Mit seiner Dokumentation der darauffolgenden Jahrzehnte geht der Archivar bei der aktuellen Schau noch einen Schritt weiter und berücksichtigt spätere Entwicklungen.
Vertrieb über die Bahn
Die Bahn machte den Vertrieb deutlich einfacher Die Keramiker stellten bereits seit Mitte des 19. Jahrhunderts einen bedeutenden Industriezweig in Rheinbach. Wichtige Voraussetzung für das Aufblühen der Keramikindustrie war sicherlich der Anschluss Rheinbachs an das Eisenbahnnetz 1880. Der Vertrieb wurde dadurch deutlich preiswerter, zuverlässiger und schneller. Die Firmen waren im ersten Drittel des 20. Jahrhunderts bedeutende Arbeitgeber in der ansonsten von Beamten und Landwirtschaft dominierten Stadt. Namen wie Ohrem, Kuchem, Stahl, Klein & Schardt sind vielen Rheinbachern noch heute ein Begriff.
Dass die Rheinbacher Unternehmen zu den innovativsten Firmen Deutschlands zählten, hat laut Dietmar Pertz nicht zuletzt an der nach dem Zweiten Weltkrieg in Rheinbach angesiedelten Fachschule für Glas und Keramik gelegen. Die Schule habe „personell und ideell“ die Entwicklung der Keramikindustrie gefördert, so Pertz. 1964 waren 266 Menschen im Bereich der Feinkeramik beschäftigt. 1974 zählte die Branche noch rund 200 Angestellte und Arbeiter, das waren rund 35 Prozent der Industriebeschäftigten in der Stadt. Der Gastarbeiteranteil war hoch, bei Ruscha betrug er 1970 rund 50 Prozent. 130 Menschen waren in jener Zeit bei der Firma Ruscha beschäftigt, die ursprünglich Klein & Schardt hieß.
Klassiker erschaffen
Zum Vergleich: In der eher handwerklich organisierten Glasbranche arbeiteten 1964 gerade 90 Personen, 1974 waren es nur noch 39. Doch auch die Industriekeramik verzeichnete sinkende Umsätze: Die Firma ES-Keramik schloss 1974 aus wirtschaftlichen Gründen, 1996 kam es bei Ruscha zu einer schweren finanziellen Krise, das Werk musste im Juli desselben Jahres geschlossen werden. 1998 wurde das Fabrikgelände abgerissen, im Frühjahr 2000 musste die alte Schardt-Villa einem Geschäfts- und Bürohaus weichen. Otto Gerharz richtete 1964 nach seinem Ausscheiden bei Schardt auf seinem Privatgrundstück eine eigene Werkstatt ein. Seit 1994 steht Otto Gerharz Junior an der Spitze von Otto-Keramik. Wichtig sind bis heute der beliebte Stier und verschiedenen Wandplattenmotive.
„Sonderausstellung Keramik Boom! Rheinbacher Keramik der 1950er bis 1970er Jahre“, Glasmuseum Rheinbach, Eröffnung am Sonntag, 12. Oktober, 11.30 Uhr; zu sehen bis 1. Februar 2026.