Kommissarischer Bonner StadtdechantBernd Kemmerling im Gespräch

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Der kommissarische Stadtdechant Bernd Kemmerling in seinem Arbeitszimmer im Poppelsdorfer Pfarrhaus.

Der kommissarische Stadtdechant Bernd Kemmerling in seinem Arbeitszimmer im Poppelsdorfer Pfarrhaus.

  • Wilfried Schumacher war 20 Jahre lang Stadtdechant der Stadt Bonn.
  • Seit seinem Rücktritt ist Pfarrer Bernd Kemmerling kommissarischer Stadtdechant.
  • Ob der Schock noch zu tief sitzt für ein besinnliches Weihnachtsfest oder ob mittlerweile Alltag eingekehrt ist und über die Spekulationen in sozialen Netzwerken haben wir mit ihm gesprochen.

Bonn – Es war ein aufregendes Jahr für die Bonner Münster-Gemeinde St. Martin und das ganze Bonner Stadtdekanat: Der Rücktritt von Monsignore Wilfried Schumacher hat die Gemeinde und die Stadtgesellschaft geschockt.Schumacher, der in Bonn hoch geachtet ist, wird vom Erzbistum der nicht korrekte Umgang mit Geldern der Gemeinde vorgeworfen. Seit dessen Rücktritt ist Pfarrer Bernd Kemmerling kommissarischer Stadtdechant. Im Gespräch der Rundschau mit dem Priester im Poppelsdorfer Pfarrbüro wird schnell deutlich, dass sich der amtierende Dechant vor allem als Seelsorger sieht.

Kann es für die Gemeinde St. Martin und das Dekanat überhaupt ein besinnliches Weihnachtsfest geben oder sitzt der Schock noch zu tief?

Ja, es kann eine besinnliche Zeit sein. Gerade in turbulenten und schwierigen Zeiten ist es wichtig und heilsam, ruhig zu werden und sich auf Wesentliches zu konzentrieren. Darum habe ich zum Beispiel dieser Tage an der Bonner Stadtkrippe mit den Angestellten des Münsters und des Stadtdekanates eine adventliche Besinnung gehalten zum Thema „Du bist unendlich wertvoll“, dieses Jahr das Thema der Stadtkrippe. Weihnachten ist eben nicht in erster Linie ein Fest für die Sinne, sondern für den Sinn. Ich habe darüber gesprochen, dass Weihnachten DAS Fest der Wertschätzung Gottes für uns Menschen ist. Er kommt, um es uns zu sagen, mitten hinein in unsere reale Welt. Mitten hinein in unsere Sorgen und Fragen, in alles Unfertige. Er, der im staubigen Stall geboren wird, braucht keinen Perfektionismus. Das entlastet und tut gut.

Die Vorwürfe

Monsignore Wilfried Schumacher ist im Mai als Stadtdechant und Pfarrer an St. Martin zurückgetreten, nachdem das Erzbistum ihn verantwortlich gemacht hatte für einen millionenschweren Finanzskandal. So soll von 2009 bis 2014 die Kirchengemeinde aus ihrem Substanzvermögen unzulässig knapp eine Million Euro zur Finanzierung defizitärer Gemeindeeinrichtungen verwendet haben, darunter das Münster-Carré, das Ende dieses Jahres geschlossen wird, und der Münsterladen, der bereits Ende September zugemacht wurde.

Außerdem hätten interne Prüfungen ergeben, so die weiteren Vorwürfe, dass es bei Bauprojekten der Kirchengemeinde „zu Liquiditätsengpässen in vergleichbarer Höhe“ gekommen sei. Ein persönliche Bereicherung wird niemandem vorgeworfen. (csc)

Ist inzwischen Alltag eingekehrt?

Nein, Alltag kann nicht einkehren, solange der neue Stadtdechant noch nicht da ist. Die Frage, die im Raum steht, ist: Wer kommt und wann kommt er?

In den sozialen Netzwerken wird spekuliert...

..das ist Quatsch. Wir hatten Anfang Dezember Vertreter des Erzbistums zum Gespräch geladen. Hintergrund war die Bitte des Erzbischofs an alle pastoralen Dienste, man möge sich über das Profil des künftigen Stadtdechanten Gedanken machen. Wir leitenden Pfarrer von Bonn haben dann im Hebst gesagt, dass wir das gerne im direkten Gespräch tun möchten. Wir möchten nicht jeder für sich etwas schreiben, sondern das gemeinsam mit den Kölnern erörtern. Es hat dann Anfang Dezember ein gutes Gespräch gegeben, in dem wir unsere Vorstellungen mit auf den Weg gegeben haben. Im Rahmen dieses Gespräches wurden auch alle Gerüchte dementiert, die Entscheidung sei schon längst gefallen. Es wird gesucht, aber die Suche stellt sich als gar nicht so einfach heraus. Man hat mir aber zugesagt, dass man doch davon ausgeht, im Laufe des ersten Halbjahres jemanden gefunden zu haben. Das ist für mich in Anbetracht der doch erheblichen Doppelbelastung schon mal wie ein kleines Licht am Horizont.

Warum machen Sie nicht weiter als Stadtdechant?

Ich habe von Anfang an gesagt, dass ich das nicht möchte. Ich muss damit leben, dass viele jetzt sagen: Machen Sie das doch! Sie machen das gut! Sie tun uns gut! Aber ich sehe meine Talente und Fähigkeiten eher in der direkten Seelsorge als Pastor an der „Front“ als meinen Ort. Ich hatte im Sommer mehr als 20 Hochzeiten, die mir sehr viel Freude gemacht haben. Gerne nehme ich mir Zeit dafür, Menschen auf ihrem Lebensweg geistlich zu begleiten. Das nimmt erfreulicherweise zu. Aber das braucht auch Zeit!

Seelsorge eben?

Ja genau, Sie haben vollkommen Recht, die klassische Seelsorge, bei der man sich regelmäßig zum Gespräch trifft, zusammen darauf schaut, wo und wie man gerade da ist im Leben; wo man sich fragt: Wie geht es mir? Wie geht es mir mit den anderen? Und wie geht es mir mit Gott oder auch mit meinem Beten? Als Pastor bin ich keineswegs arbeitslos, weil sich keiner mehr für Kirche oder den Glauben interessiert. Wir haben noch viele Taufen. Im Sommer hatten wir 143 Firmlinge, die von 23 Katecheten vorbereitet und begleitet wurden. Ein ganz spannender und auch frohmachender Weg, der mich nahe an die Lebenswirklichkeit der jungen Generation heranbringt. Und das provoziert, belebt und befragt unseren Glauben. Und diese Arbeit an der Basis macht mir sehr viel Freude. Wenn ich als Stadtdechant unterwegs bin, beispielsweise bei der Caritas, erlebe ich wohltuend, wo Kirche überall präsent ist, um Menschen zum Leben zu verhelfen, wie zum Beispiel auf der Fahrradstation. Als kommissarischer Stadtdechant habe ich natürlich auch ganz viel mit der Leitung von Gremien und Sitzungen und der Repräsentanz zu tun. Ich bin mir sicher, dass andere dafür besser geeignet sind als ich.

Zur Person

Bernd Kemmerling (58) ist leitender Pfarrer an St. Sebastian Poppelsdorf, St. Barbara Ippendorf und Heilig Geist Venusberg. Die Katholische Pfarreiengemeinschaft Bonn-Melbtal hat rund 8000 Mitglieder.

Kemmerling wurde am 24. Juni 1988 als damals 28-Jähriger in Köln zum Priester geweiht. Theologie hatte er zuvor in Bonn und Fribourg (Schweiz) studiert. Bernd Kemmerling war unter anderem Kaplan in Euskirchen, Jugendseelsorger in der damaligen Jugendarrestanstalt Euskirchen und Kaplan am Bonner Münster. 1999 kam er als Pfarrer nach Poppelsdorf. (csc)

Sie haben kürzlich beschrieben, dass – grob zusammengefasst – Priester in immer größeren Seelsorgeeinheiten weniger Nähe zu den Menschen haben. Ist das schade?

Das ist schmerzlich. Seelsorge vollzieht sich ja zutiefst in der persönlichen Begegnung. Wenn sie nur eine Pfarrei mit 50 oder 70 Messdienern und Messdienerinnen haben, dann können sie jeden in der Sakristei mit Namen begrüßen. Wenn sie aber in drei oder mehr Pfarreien unterwegs sind, dann dauert es unendlich lange, bis sie alle Messdiener mit Namen kennen. Und das gilt natürlich auch für die Gemeindemitglieder. Das schmerzt, weil ich weiß, wie sehr Menschen heute darauf warten, persönlich wahrgenommen und nicht übersehen zu werden. Umso mehr freue ich mich, wenn ich mit Gesichtern auch Geschichten verbinden kann.

Zweifel an Ihrer Berufung hat es nie gegeben durch diese neue Entwicklung?

Nein, ich bin immer sehr gerne Priester gewesen. Irgendwie ist mir sehr viel Interesse am und Liebe zum Menschen in die Wiege gelegt worden. Und das konnte ich in den letzten 30 Jahren als Seelsorger glücklicherweise intensiv ausleben – auslieben – in Gottes Namen. Ich würde es direkt genauso noch einmal wagen. Aber natürlich gibt es auch im Leben eines Priesters Höhen und Tiefen auf dem Glaubensweg. Manchmal geht es über saftige Weiden – dann durch dürre Wüsten. Besonders in den letzten Jahren ist mein Glauben und Vertrauen sehr stark herausgefordert worden durch so manche Krankheiten und Todesfälle in meiner Familie. Gott sei Dank darf vor Gott aber alles seinen Platz haben: auch die Sorgen, das Nichtverstehen und das Zweifeln. Am Ende sind es dann nicht selten die bohrenden Fragen, die dem Glauben Tiefe geben – wenn man sie zulässt!

Kritiker sagen, dass sich die Amtskirche zu sehr mit sich selbst beschäftigt. Ein Stichwort in diesem Zusammenhang ist die Zulassung von wieder verheirateten Geschiedenen zur Kommunion.

Was dieses Thema angeht, sage ich grundsätzlich: Die Kommunion ist kein Fleißkärtchen für die besonders Frommen, das man sich verdienen kann. Nein! Sie ist gerade Medizin für alle, die nach der Kraft aus der Höhe hungern. Nicht die Gesunden brauchen den Arzt, sondern die Kranken. Und gerade die Menschen, die eine gebrochene Lebensgeschichte haben, benötigen ja unsere und darin Gottes Unterstützung ganz besonders. Gerade zu den angeschlagenen Menschen hat Jesus den Weg gefunden, weil sie ihm besonders am Herzen lagen beziehungsweise liegen. Im persönlichen Gespräch kann man meiner Meinung nach gute Wege finden, die für den Menschen heilsam sind.

Und zur Situation der Kirche allgemein?

Die großen Veränderungen, die auf uns als Kirche zukommen, machen eine Besinnung auf den Kern unserer Botschaft und Sendung nötig. Von vielem werden wir uns verabschieden müssen, dafür aber auch Neues wagen dürfen. Werden wir Vertrauen wiedergewinnen können, das wir durch den Missbrauchsskandal verloren haben? Viele Gremien und Personen beschäftigen sich mit dem Pastoralen Zukunftsweg, und fragen: Wo geht es mit uns als Kirche hin? Einerseits ist es gut, dass darüber diskutiert wird. Andererseits binden wir da aber auch viele Kräfte und Personen, die woanders fehlen. Vergessen wir nicht, dass unsere Aufgabe als Kirche in erster Linie ist, auf die Menschen zuzugehen und zu sagen: Wir sind für Euch da. Manchmal habe ich den Eindruck, wir haben zu wenig Gottvertrauen, dass der Heilige Geist auch in Zukunft einfach am Werk ist.

Welche Botschaft hat die Weihnachtsgeschichte gerade in diesen Zeiten, in denen viele Menschen verunsichert oder gar verängstigt sind?

Sie erzählt von der Wertschätzung Gottes für jeden Menschen. Ich begegne nicht wenigen Menschen, die manchmal regelrecht danach hungern, dass man ihnen noch einmal sagt, wie einzigartig, unverwechselbar, wie wichtig, liebenswert und wertvoll sie sind. Da gibt es nicht wenige, die haben – aus welchem Grund auch immer – keine stabiles Selbstvertrauen aufbauen können, bewegen sich nicht selten in einem Haus von Selbstzweifel und Unsicherheit, ob sie überhaupt noch mitkommen mit der Welt, ankommen und vorkommen in der Welt, wahrgenommen werden in der globalen vernetzten Welt. Auf die Frage, was ihr das Leben und das Herz schwer mache, antwortete mir ein Firmling: Inmitten der Masse – und doch allein! Das Kind in der Krippe, Jesus, wird nicht müde werden, allen Menschen, denen es begegnet, besonders all denen, die sich selbst als wertlos, unansehnlich, als hoffnungsloser Fall erlebt haben, zu sagen: Du bist von Gott unendlich geliebt und ganz angenommen. So wie du bist. Punkt! Dein Leben, so wie es ist, hat vor Gott Platz. Ja – diese Kind kommt auch heute für mich, um mir zu sagen, dass ich – ganz persönlich – Gott am Herzen liege. Diese Frohe Botschaft ist das Fundament, das mir Selbstvertrauen schenkt ohnegleichen, und sie macht mir Beine, damit ich es den anderen sage: Hab´ Vertrauen! Das gilt auch für Dich!

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