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Flutdrama in WortenAutor liest in Swisttal aus seinem Buch „Es war doch nur Regen!?“

Lesezeit 4 Minuten
Andy Neumann

Andy Neumann erhält von Klaus Jansen (li.) und Tamar Kopelke einen Stein zur Erinnerung geschenkt.

Swisttal – „Ich bin heute Morgen am Orbach entlanggelaufen und habe festgestellt: Hier sieht es genauso aus wie an der Ahr.“ Autor Andy Neumann hätte sich sichtlich keinen passenderen Ort für seine Lesung aussuchen können als das Zehnthaus in Odendorf, denn nur einen Steinwurf entfernt hatte zwar nicht die Ahr, aber der Orbach in vergleichbarem Maße gewütet. Die Erfahrungen in den Tagen und Wochen danach seien überall in den betroffenen Gebieten dieselben: „Die Nachbarschaft, die Freunde und sogar jede Menge fremder Menschen helfen den Betroffenen in einem unglaublichen Maß. Der Staat eher so semi.“

Vor drei Dutzend Gästen las er aus seinem Buch „Es war doch nur Regen!?“, einem persönlichen Protokoll der Starkregenkatastrophe, das es mittlerweile bis auf Platz 19 der Spiegel-Bestsellerliste für Sachbücher geschafft hat und damit sogar Michelle Obama hinter sich ließ. Und das zu Recht, denn Andy Neumann ist auf 155 Seiten nicht nur „offen, ehrlich und schonungslos“, wie es im Klappentext heißt, sondern demaskiert zugleich das „Wegdrücken der Verantwortung auf allen Ebenen“ als politisch motivierte Legendenbildung. Darüber hinaus hat er sogar ganz konkrete Vorschläge, was aus der Katastrophe für die Zukunft gelernt werden könnte.

Beruflich zuständig für Terrorbekämpfung

Diese kommen aus durchaus berufenem Munde, ist Neumann (46) doch im Hauptberuf beim Bundeskriminalamt in leitender Position für die Terrorbekämpfung zuständig und war sogar einige Jahre Vorsitzender des Bundes Deutscher Kriminalbeamter. Er kennt sich also aus mit gefährlichen Situationen und Großschadenslagen. Doch als die Flutkatastrophe ihn in seinem Haus in Bad Neuenahr-Ahrweiler überraschte, war auch er als „Profi in Krisensituationen“ absolut nicht vorbereitet. „Man sollte sich nie für vollkommen angstfrei halten, weil man bisher alles meistern konnte“, warnte er seine Zuhörer. „Der Geist funktioniert nicht immer, wie wir ihn uns wünschen, und so sehr wir auch meinen, ihn lenken zu können, am Ende macht er mit uns, was er will. So auch meiner“, weiß er. Und erinnert sich zurück in jene Nacht: „Ich bin nicht mehr panisch. Ich habe Angst. Todesangst. Nicht einmal groß um mich selbst. Aber um eine Familie.“ Niemals in seinem Leben will er auch nur eine Sekunde lang wieder solch ein Gefühl haben.

Schockiert von der verlogenen Kommunikation

So unvorstellbar die Erlebnisse in der Katastrophennacht auch waren, treibt ihn heute, drei Monate danach, vor allem die Chuzpe um, mit der die Verantwortlichen ihre Fehler und Versäumnisse wegdiskutieren wollen und dabei auch vor handfesten Lügen nicht zurückschrecken. Zitat: „Es gab im Nachgang der Katastrophe Menschen in gehobener Position, die unter anderem mit der Behauptung antraten, die Kommunikation sei nicht mehr möglich gewesen. Das ist nicht nur vollkommener Blödsinn, sondern zeigt auch, dass manche Menschen offenbar noch denken, sie könnten alle um sich herum verschaukeln, wenn ihnen die Lüge schon aus dem Gesicht schreit.“ Angeblich sei ab 19.30 Uhr keine Kommunikation mehr möglich gewesen, dabei habe er selbst noch zwischen 1.30 und 2 Uhr in der Nacht problemlos mit der Feuerwehr und sogar um 3 Uhr noch mit dem Lagezentrum des Innenministeriums in Mainz telefonieren können. Um 4 Uhr habe er seinen ersten Facebook-Post abgesetzt, dem noch viele folgten und die auch die Basis für das Buch gebildet haben.

Unzufriedenheit mit der Politik wächst weiter

Mittlerweile habe er die Kollegen im Landeskriminalamt in Mainz gefragt, warum sie nicht gegen den rheinland-pfälzischen Innenminister Roger Lewentz ermitteln. Die Unzufriedenheit mit den politischen Entscheidungsträgern werde immer größer, was aber auch damit zusammenhänge, dass der Katastrophenschutz in Deutschland in kommunaler Zuständigkeit sei. Wenn dann im Nachhinein die Entscheidungsträger äußerten, die Katastrophenschutzstrukturen seien in Ordnung, „dann kriege ich einen Hass.“ Seiner Meinung nach müsse der Katastrophenschutz so schnell wie möglich auf Bundesebene angesiedelt werden, wie es etwa auch bei der Terrorismusbekämpfung der Fall sei. „Ich bin fassungslos, dass eine solche Katastrophe nicht von einer Bundesbehörde koordiniert wird.“ Denn letztlich könne von überforderten „Profi-Händeschüttlern“ auf kommunaler Ebene kaum erwartet werden, dass sie in einer Extremsituation stets die richtige Entscheidung treffen.

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Hinzu komme, dass sich die Opfer der Flutkatastrophe auch noch von ihren Versicherungen alleingelassen fühlten, falls sie überhaupt eine hätten. Er selbst habe sogar Wochen nach der Katastrophe noch keinen Anruf von seiner Versicherung bekommen. „Wir müssen uns einmal Gedanken machen über das Geschäftsgebaren von Versicherungen.“ Der Staat tue trotzdem so, als könne er entspannt bleiben. Er vermisse Transparenz bei der Vergabe der Spendengelder, die in dreistelliger Millionenhöhe eingegangen seien.

Das Buch habe er eigentlich weniger für die Betroffenen im Ahrtal geschrieben, schloss er seinen Vortrag, sondern damit die Katastrophe den Menschen im ganzen Land möglichst lange im Bewusstsein bleibe. Dazu wolle er auch beitragen, denn der Verkaufserlös des Buches komme komplett den Opfern der Flutkatastrophe zugute. Dennoch freue er sich über die zahlreichen Reaktionen von Betroffenen, die alles genauso erlebt hätten wie er selbst und ihm immer wieder sagten, wie gut es tue, so etwas zu lesen. „Das ist besser als zehn Therapiesitzungen“, habe einer sogar gemeint. „Wenn das der einzige Wert des Buches sein sollte, ist mir alles andere egal.“ (jst)