Die politischen FolgenDie Flut und das monumentale System-Versagen

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Angela Merkel in Schuld

 Angela Merkel stützt die an MS erkrankte Ministerpräsidentin Malu Dreyer im Flutort Schuld. 

Ein Jahr nach der größten Naturkatastrophe mit 49 Toten in Nordrhein-Westfalen und 135 Toten in Rheinland-Pfalz dauert die strafrechtliche und politische Aufarbeitung an. Einigkeit besteht, dass der Katastrophenschutz reformiert und der Wiederaufbau an den Klimawandel angepasst werden muss. Zudem soll der Bund bis zum Jahresende einen Vorschlag für die Einführung einer Pflicht-Elementarschadenversicherung machen.

Seit fast einem Jahr ermittelt die Staatsanwaltschaft Koblenz nun schon gegen den früheren Landrat des Kreises Ahrweiler Jürgen Pföhler (CDU) und ein ehrenamtliches Mitglied seiner Einsatzleitung wegen des Anfangsverdachts der fahrlässigen Tötung und der fahrlässigen Körperverletzung im Amt – jeweils begangen durch Unterlassen, weil sie nicht rechtzeitig gewarnt und evakuiert hätten.

Steinmeier an der Ahr

Frank-Walter Steinmeier macht sich ein Bild von der Lage an der Ahr. 

Erst vergangenen Freitag hatten Beamte des Landeskriminalamtes als Zeugen im Parlamentarischen Untersuchungsausschuss in Mainz diesen Vorwurf erhärtet. Pföhler habe fast keine eigenen Bemühungen unternommen, die Flutkatastrophe abzuwenden. „Er hat sich in Sicherheit gebracht und wenige Nachbarn in seinem unmittelbaren Umfeld gewarnt“, sagte ein Beamter aus. Spätestens um 20 Uhr habe Pföhler gewusst, dass man davon ausgehen musste, dass die Hochwassergefahr an der Ahr „generell sehr groß“ und mit Sturzfluten und Überschwemmungen zu rechnen sei, sagte der Ermittler. Nach 23 Uhr seien in Bad Neuenahr und Sinzig noch 87 Menschen gestorben. Die Einsatzleitung sei personell völlig unterbesetzt und ab einem gewissen Zeitpunkt auch völlig überfordert gewesen, sagte der LKA-Beamte. Der ehrenamtliche Brand- und Katastrophenschutzinspekteur (BKI) habe keine Zeit gehabt, die Lage in Ruhe zu bewerten und sei Teil der Sachbearbeitung, aber kein Einsatzleiter gewesen. Pföhler habe erklärt, er habe an dem Tag keine Einsatzleitung gehabt, weil er diese Funktion bereits 2018 dem BKI „auf Dauer und generell“ übertragen habe.

Überfordert, überlastet und personell unterbesetzt

Zu den strafrechtlichen Ermittlungen gegen den CDU-Politiker und den damaligen BKI sagte der Beamte, es bleibe die Frage offen, was gewesen wäre, wenn Pföhler die Leitung übernommen hätte, welche Maßnahmen er hätte treffen können und wie diese gewirkt hätten.

Nach wie vor ungeklärt sind auch die Umstände des Einsturzes der Kiesgrube in Erftstadt-Blessem, bei der mehrere Häuser mitgerissen wurden. Die Staatsanwaltschaft Köln ermittelt gegen insgesamt zehn Beschuldigte wegen des Verdachts des fahrlässigen Herbeiführens einer Überschwemmung durch Unterlassen, der Baugefährdung sowie Verstoßes gegen das Bundesberggesetz. Beschuldigt sind der Eigentümer und Verpächter des Tagebaus, fünf Mitarbeitende des Betreibers sowie vier Mitarbeitende der Bezirksregierung Arnsberg als Aufsichts- und Genehmigungsbehörde. Die Grube ist inzwischen geschlossen und wird nicht weiter betrieben.

Armin Laschet in Odendorf

Swisttal: Armin Laschet (M, CDU), Ministerpräsident von Nordrhein-Westfalen, geht durch den Ortsteil Odendorf 

Zudem laufen sowohl bei der Staatsanwaltschaft Bonn als auch in Köln Prüfungen hinsichtlich etwaiger Versäumnisse zuständiger Stellen im Zusammenhang mit der Flut.

Viele Mängel und Fehler haben auch schon die Parlamentarischen Untersuchungsausschüsse in Rheinland-Pfalz und Nordrhein-Westfalen bei der Befragung von Zeugen aufgedeckt. Von einem „monumentalen Systemversagen“ sprach die britische Hochwasser-Forscherin Hannah Cloke. Spätestens in der Nacht vom 12. auf den 13. Juli habe sich für Teile NRWs auf Prognosekarten ein „sehr schwerwiegendes Hochwasser“ abgezeichnet, hatte die Hydrologie-Professorin des Europäischen Hochwasser-Warnsystem (EFAS) in Reading im Ausschuss ausgesagt. Hinweise an deutsche Behörden am 10. Juli verpufften allerdings. Und obwohl auch der Deutsche Wetterdienst frühzeitig vor einem extremen Unwetter der höchsten Stufe vier warnte, wurden Menschen im Schlaf von den Wassermassen überrascht, weil sie nicht gewarnt und rechtzeitig evakuiert wurden. Unter anderem weil die vom Landesamt für Natur-, Umwelt- und Verbraucherschutz (Lanuv) in hydrologische Lageberichte übersetzten konkreten Hochwassergefahren von den Bezirksregierungen nicht an die kommunalen Katastrophenschützer weitergeleitet wurden.

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Völlig überfordert, überlastet und zudem unterbesetzt war die Technische Einsatzleitung des Landkreises Ahrweiler in der Flutnacht. In einem fensterlosen Raum mit ohnehin schlechtem Handyempfang fehlte es im wahrsten Sinne des Wortes an einem Überblick über die Lage, auch weil Mobilfunknetze zusammengebrochen waren. Es fehlte auch an Handlungsanweisungen, weil es weder einen unter den Kommunen abgestimmten Katastrophen- und Alarmplan noch feste Warn- und Meldeketten gab. Es sei kaum möglich gewesen, von den Feuerwehren aus den verschiedenen Orten etwas über die Situation zu erfahren, da die Verbindungen weitgehend zusammengebrochen gewesen seien, sagte ein ehrenamtlicher Mitarbeiter des Technischen Hilfswerks (THW), der am Abend Dienst in der Einsatzleitung hatte: „Ich kann keine Lage führen, wenn ich keine Rückmeldungen habe“.

Bevölkerungsschutz erhält höheren Stellenwert

Auch in den Flutgebieten in Nordrhein-Westfalen unterblieben Warnungen. Nicht nur das: Ein neues Modellsystem zur Hochwasservorhersage konnte nicht genutzt werden, weil die einzige Person, die das Modell betreute, im Urlaub war, sagte der zuständige Fachbereichsleiter im Landesumweltamt während seiner Befragung im Untersuchungsausschuss. Auch NRW-Innenminister Herbert Reul (CDU) hatte im März bei seiner Befragung im Ausschuss Fehler eingeräumt, beispielsweise dass er keinen Landeskrisenstab einberufen habe.

Bund und Länder haben im Juni 2022 bei der Innenministerkonferenz vereinbart, ein Gemeinsames Kompetenzzentrum Bevölkerungsschutz beim Bundesamt für Bevölkerungsschutz und Katastrophenhilfe (BBK) einzurichten, damit soll eine bessere Verzahnung aller Akteure im Katastrophenschutz erreicht werden. Erste Pilotprojekte im Bereich von Lagebildern laufen hierzu bereits. Um die Bevölkerung effektiv warnen zu können, sollen das Modulare Warnsystem und neue Sirenenstandorte ausgebaut werden. Außerdem soll es mit der Einführung von Cell Broadcast als Warnkanal künftig möglich sein, Warnungen als Textnachricht auch an Mobiltelefone, die keine Smartphones sind, zu senden.

Urlaubsaffären im Zusammenhang der Flut-Katastrophe

Zwei Ministerinnen kostete die Flutkatastrophe den Job. Während viele Menschen in den Katastrophengebieten im Juli 2021 alles verloren hatten, weilten die Umweltministerinnen Ursula Heinen-Esser (CDU) in NRW und Anne Spiegel (Grüne) in Rheinland-Pfalz im Urlaub.

Versuche, das unter der Decke zu halten, misslangen. Als nach und nach ans Licht kam, dass Heinen-Esser im Juli 2021 ihren Ferien-Aufenthalt auf der Baleareninsel Mallorca nur für einen Tag wegen der Flutkatastrophe unterbrochen hatte und nach dem Rückflug nach Palma nicht, wie zuvor angenommen, vier, sondern neun weitere Tage mit ihrer Familie dort verbrachte, musste sie im April zurücktreten. Keine Konsequenzen hatte die Mallorca-Affäre für NRW-Bauministerin Ina Scharrenbach, den damaligen Europaminister Stephan Holthoff-Pförtner und die frühere Integrations-Staatssekretärin Serap Güler (alle CDU), sie alle hatten am 23. Juli auf Mallorca den Geburtstag von Heinen-Essers Ehemann gefeiert.

Gleich vier Wochen Urlaub gönnte sich die damalige rheinland-pfälzische Umweltministerin Anne Spiegel nur zehn Tage nach der Flut. Lediglich für einen Ortstermin im Ahrtal unterbrach sie die Auszeit. Die 41-Jährige, die inzwischen Bundesfamilienministerin war, musste dann im Frühjahr 2022 einräumen, dass sie sich, anders als ursprünglich mitgeteilt, nicht aus den Ferien zu den Kabinettssitzungen zugeschaltet hatte.

Strafrechtliche Versäumnisse der Landesregierung in Mainz konnte die Staatsanwaltschaft Koblenz nicht feststellen: Es gebe keine Hinweise, dass etwa Minister hätten annehmen müssen, „dass die für den Katastrophenschutz zuständigen Stellen nicht in der gebotenen Weise tätig werden würden“. (kmü)

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