Euskirchener HistorieFilmagentur sucht Zeitzeugen für Doku über Tuchfabrik

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Wollen eine Doku drehen: Philipp Klietz und Michelle Aßenmacher.

Wollen eine Doku drehen: Philipp Klietz und Michelle Aßenmacher.

  • Vor 37 Jahren wurde die Tuchfabrik geschlossen. Doch das Gebäude versprüht noch immer Charme
  • Der Kuchenheimer Philipp Klietz will deshalb eine Dokumentation über die Fabrik drehen.
  • Nun sucht er Zeitzeugen, die Einblick in das Fabrikleben geben können.

Euskirchen – Dem Charme, den die ehemalige Tuchfabrik Ruhr-Lückerath auch 37 Jahre nach ihrer Schließung versprüht, kann sich der Besucher nur schwer entziehen. Auch wenn die Backsteinwände eigentlich nur noch eine Hülle sind und hinter der Fassade nichts mehr an Webstühle, laute Maschinen und feinen Zwirn erinnert.

Trotzdem ist die Geschichte, die die großen Wasserbehälter, der Schornstein oder die Feuerhalle verkörpern, förmlich greifbar. „Die Tuchindustrie ist aus Euskirchens Historie nicht wegzudenken. Wir wollen sie, speziell die Geschichte der Fabrik Ruhr-Lückerath, ins Bewusstsein der heutigen Generation zurückholen“, sagt Philipp Klietz.

Filagentur im September 2018 in Tuchfabrik eingezogen

Der Kuchenheimer ist Chef der Filmagentur „AV22 Medien“ und mit seinen sechs festangestellten Mitarbeitern seit September 2018 Teil der Tuchfabrik Ruhr-Lückerath. Vor zehn Monaten zog es Klietz mit seiner Firma zurück in die Heimat; er mietete in der ehemaligen Industrieanlage ein etwa 330 Quadratmeter großes Büro. „Wir identifizieren uns total mit dem Gebäude und fühlen uns hier sehr wohl“, sagt der 39-Jährige.

Die Tuchfabrik Ruhr-Lückerath in Euskirchen wurde 1982 geschlossen. Heute wird das Areal vielseitig genutzt.

Die Tuchfabrik Ruhr-Lückerath in Euskirchen wurde 1982 geschlossen. Heute wird das Areal vielseitig genutzt.

Doch was passierte bis 1982 an der Stelle, an der jetzt Filme geschnitten und vertont werden? „Das wissen wir leider nicht“, sagt AV22-Mitarbeiterin Michelle Aßenmacher. Aus diesem Nichtwissen ist die Idee entstanden, eine Dokumentation über die Geschichte der Tuchfabrik Ruhr-Lückerath zu produzieren. „Wir möchten einen Blick hinter die Kulissen erhalten und den damaligen Zeitgeist ins Hier und Jetzt transportieren“, erklärt Klietz das Projekt, das noch in den Kinderschuhen steckt.

Filmemacher in Euskirchen suchen noch mehr Zeitzeugen

Seine Mitarbeiterin ergänzt: „Viel mehr als ein paar Fotos und Zeitungsartikel haben wir noch nicht.“ Doch das ist nur die halbe Wahrheit. Immerhin hat Journalistin Aßenmacher bereits mit einer Zeitzeugin gesprochen. „Die Dame hat damals in der Spinnerei gearbeitet“, erzählt sie. Dank der Erzählungen der heute 90-Jährigen habe das AV22-Team zumindest schon mal einen kleinen Einblick in das Fabrikleben erhalten.

So habe die Frau für die damalige Zeit sehr viel Geld verdient. „Sogar mehr als ihr Mann“, berichtet Aßenmacher. Durch den guten Lohn hätte sich das Paar tolle Möbel leisten können, sagt die junge Journalistin, die auch bereits mit Detlev Stender, Leiter des LVR-Industriemuseums Tuchfabrik Müller in Kuchenheim, und Gabriele Rünger, Leiterin des Euskirchener Stadtarchivs, gesprochen hat.

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„Wir hoffen, dass wir mehr Zeitzeugenberichte erhalten. Wir sind gespannt, was hinter den Mauern für Geschichten stecken“, sagt Klietz. Wie lang die Dokumentation werden soll, wo sie gezeigt wird – all das stehe noch nicht fest. „Zunächst einmal hoffen wir, dass sich Menschen bei uns melden, die uns den damaligen Zeitgeist vermitteln und uns von ihrem Alltag in der Tuchfabrik berichten“, so Klietz: „Wir haben unheimlich Bock auf das Projekt.“

Wer seinen Teil zur Dokumentation über die alte Tuchfabrik beisteuern möchte, kann sich bei Michelle Aßenmacher telefonisch unter 0 22 51/14 84 903 melden. Mehr Informationen finden Sie unter www.av22.de.

Die Geschichte der Tuchfabrik

Das waren noch Zeiten: Um 1900 beherrschten die Schornsteine von rund 20 Tuchfabriken die Silhouette der Kreisstadt. Euskirchen und die Umgebung waren damals eine Hochburg der Streichgarn- und Uniformproduktion. Die Öffnung der Zollgrenzen, die die Europäische Wirtschaftsgemeinschaft in den 1950er-Jahren mit sich brachte, führte zu starker Konkurrenz, vor allem aus Italien.

Zwischen 1952 und 1982 mussten aufgrund dieser Konkurrenzsituation alle Tuchfabriken in der Region schließen. Die Fabrik Ruhr-Lückerath zwischen Euskirchen und Euenheim schloss als letzte ihre Tore. Das Areal am Veybach zwischen Euskirchen und Euenheim wurde, nach Schließung der Produktion und damit einhergehendem Verfall zur Industriebrache, restauriert und umgestaltet. Die Alte Tuchfabrik wird seit 1998 als Büro- und Gewerbestandort, als Veranstaltungslocation sowie als Ausstellungs- und Verkaufsfläche genutzt.

1884 existierten in Euskirchen 16 Tuchfabriken, 1896 waren es 18 und vor Ausbruch des Ersten Weltkrieges 21. 1919 wurde der Betrieb der Tuchfabriken Ruhr und Lückerath vereinigt. 1926 gab es nur noch 14 Tuchfabriken in Euskirchen. Obwohl die heutige Kreisstadt im Zweiten Weltkrieg stark bombardiert wurde, überstanden die Gebäude der Tuchfabrik Ruhr-Lückerath den Krieg fast unbeschadet. Anfang der 1960er-Jahre waren in der Tuchfabrik knapp 460 Menschen beschäftigt. Als die Firma 1982 schließen musste, waren es 180 Beschäftigte, die ihre Arbeit verloren.

In der Folgezeit verfiel das Areal, bis 1998 die Veybach Liegenschaften GmbH die Tuchfabrik übernahm und die 20 000 Quadratmeter an Gebäudefläche für Ausstellungen, Ateliers, Büros, Wohn-Lofts und Werkstätten herrichtete. 2004 kamen die Veranstaltungsräume Feuerhalle und Erdhalle hinzu, wo seitdem regelmäßig Veranstaltungen, Preisverleihungen, Ehrungen und kulturelle Events stattfinden. Die architektonische Gestaltung unter Beibehaltung der historischen Substanz fand in der internationalen Architektur- und Design-Presse Resonanz.

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