Projekt in EuskirchenMit Theater wollen junge Leute das eigene Leben in den Griff bekommen

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Sechs junge Erwachsene in Kostümen spielen Theater.

Mit Spaß und wachsendem Selbstbewusstsein spielen die jungen Leute ihre Rollen.

Ein Theaterprojekt soll jungen Erwachsenen helfen, sich besser im Leben und vor allem auf dem Arbeitsmarkt zurechtzufinden. 

Bin ich meines Glückes Schmied? Gute Frage. Die meisten der zehn jungen Leute, die derzeit für ihren großen Auftritt proben, hätten sie bis vor Kurzem noch mit einem klaren Nein beantwortet. Kein Job, kein Ausbildungsplatz, der eine oder andere fast ohne soziale Kontakte: Da ist es schwer, sein Glück zu schmieden. Wer die Gruppe jetzt erlebt, kann sich diese Probleme kaum vorstellen angesichts der guten Laune, die in dem Probenraum im Keller an der Euskirchener Rudolf-Diesel-Straße herrscht.

So klein die provisorische Bühne ist, so groß ist die Begeisterung, mit der das Ensemble an seinem Theaterstück feilt. Das Theaterspiel ist Teil einer neun Monate dauernden Maßnahme, die Frauen und Männer fit machen soll für einen Neustart auf dem Arbeitsmarkt.

Die Theaterproben in Euskirchen geben dem Tag Struktur

Namen möchten die Teilnehmerinnen und Teilnehmer, zwischen 19 und 34 Jahren alt, nicht in der Zeitung lesen. Doch sie erzählen freimütig, wie ihnen das Projekt hilft, ihr Leben in den Griff zu bekommen. Allein schon, weil der Tag eine Struktur bekommt. Weil man pünktlich da sein muss. Weil jeder Teil eines Teams ist, das ein gemeinsames Ziel hat.

Theatercoach Josef Hofmann hat dieses Ziel vorgegeben. Es soll ein Theaterstück entstehen, für das das Märchen „Der Teufel mit den drei goldenen Haaren“ den Titel liefert. „Das Thema ist mir wichtiger als die Geschichte“, sagt der Regisseur. Es geht, siehe oben, um die Frage, ob jeder seines Glückes Schmied ist. Hofmann würde sie vermutlich mit Ja beantworten: „Ich glaube an euch!“

Ein Umhang liegt auf dem Tisch, davor eine Garnrolle und ein Nadelkissen.

Faden und Nadelkissen liegen bereit: So können die letzten Arbeiten an den Kostümen noch erledigt werden.

Auch daran, dass das Ensemble aus wenig viel machen kann. Die Ausstattung mit Requisiten ist spartanisch: zwei Kisten und ein Brett. Daraus wird alles gebaut, auch der Thron für den König, der gar keiner sein wollte. „Mein erster Gedanke war, dass ich mich um die Technik kümmern möchte“, sagt der Mann, der eben noch die Krone getragen hat: „Und jetzt stehe ich auf der Bühne.“

Am Anfang herrschte eine Menge Skepsis

Dem „Erzähler“ geht es ähnlich: „Ich wollte auf gar keinen Fall eine Rolle, in der ich sprechen muss.“ Denn gerade das falle ihm schwer, erzählt er, vor allem vor Leuten, am schlimmsten: vor fremden Leuten. Er habe immer Angst vor Bewerbungsgesprächen gehabt, weil dort Menschen säßen, die er nicht kenne und die rasch ein Urteil über ihn fällten. Er sei lange arbeitslos, habe nur noch wenig Kontakt zu Menschen gehabt.

Ich wollte gern alle Rollen spielen, jetzt habe ich nur fünf.
Der Darsteller des Teufels

Entsprechend skeptisch sei er in das Projekt gestartet, zumal er auch keinen Berührungspunkt mit Theater gehabt habe. Er sei ganz sicher gewesen: „Auf die Bühne gehe ich bestimmt nicht.“ Es geht auch andersherum. Der Teufel, der vor allem ein teuflisches Lachen draufhat, bringt Rollenspielerfahrung mit. „Ich wollte gern alle Rollen spielen, jetzt habe ich nur fünf“, sagt er und lacht – ausnahmsweise nicht teuflisch.

Auch das gehört zu den Lehren aus dem Theaterprojekt. Man bekommt nicht immer, was man will, und muss dann doch das Beste draus machen. Und fast jeder kann Dinge, die er sich niemals zugetraut hätte. Eine allerdings hat bekommen, was sie wollte: Sie steht nicht auf der Bühne, sondern näht die Kostüme.

Die jungen Leute sind selbstbewusst und schlagfertig

Im Nebenraum liegen Nadelkissen und Garnrolle neben einem Umhang, an dem noch die letzten Nähte fehlen. „Schneidern ist mein Hobby“, erzählt die Frau, die sich aus gesundheitlichen Gründen beruflich neu orientieren muss. Eine andere hat die Technik übernommen – eher widerwillig. Jetzt sorgt sie für die richtige Musik an den richtigen Stellen und für Babygeschrei, das sie selbst „produziert“.

Gesundheitscoachin Stephanie Heckmann beobachtet staunend, wie wortgewandt, selbstbewusst und schlagfertig die jungen Leute sind. „Vor sechs Monaten hätten Sie kein Wort aus ihnen herausbekommen“, sagt sie. Die Entwicklung jedes Einzelnen sei beeindruckend. Und das klingt nicht nur ein bisschen stolz.

Wir haben etwas geschaffen, worauf wir stolz sein können.
Eine der Teilnehmerinnen

Kritische Kommentare aus ihrem Umfeld haben die Schauspieler reichlich zu hören bekommen, wie sie erzählen. Nach dem Motto „Ihr sollt doch auf einen Job vorbereitet werden, und jetzt spielt ihr Theater?“. Anfangs habe er auch geglaubt, das sei eher Beschäftigungstherapie, gibt der König zu. „Jetzt weiß ich, dass es zielführend ist.“ Und das nicht nur, weil die Teilnehmer von 9 bis 14 Uhr einen klar strukturierten Tagesablauf mit festen Regeln haben.

Theater ist in diesem Fall eben sehr viel mehr als nur ein Spiel

Theater ist in diesem Fall eben sehr viel mehr als nur ein Spiel. „Das Projekt gibt mir die Chance, über meinen eigenen Schatten zu springen“, sagt der Erzähler. Einfach weitermachen, wenn etwas schiefgegangen ist, das nennt ein anderer als wichtige Erfahrung. Und auch: alte Gewohnheiten loslassen, Mut haben, offen für Neues sein.

Es gibt nur kleine Wermutstropfen. Dass es nur eine Aufführung geben wird, ist einer davon. Sie würden das Stück gern noch ein paarmal zeigen, sind sich alle einig. Da sei das letzte Wort noch nicht gesprochen, macht Hofmann ihnen Mut. Es habe schon Gruppen gegeben, die ihr Stück zwei- oder dreimal auf die Bühne gebracht hätten.

Der zweite Wermutstropfen: dass die neun Monate bald um sind – das Projekt endet Anfang August. Es seien Freundschaften entstanden. Und die Gruppe habe gemeinsam viel erreicht. „Wir haben etwas geschaffen, worauf wir stolz sein können“, meint eine junge Frau.

Bleibt immer noch die Frage, ob jeder seines Glückes Schmied ist. „Das muss jeder für sich beantworten“, meint der König. Der Teufel wird zumindest ein bisschen konkreter: „Jeder ist seines Glückes Schmied. Zumindest bis zu einem gewissen Grad.“


Die Maßnahme ist auf neun Monate angelegt

Träger des Projektes ist die Defakto GmbH, 2013 als Bildungsunternehmen für arbeitsintegrative Projekte in Bochum gegründet. ART nennt sie ihr Programm, das steht für „Arbeit, Rat und Tat“. Es soll Menschen helfen, ihre Fähigkeiten zu entdecken und zu entwickeln und letztlich eine Ausbildungs- oder Arbeitsstelle zu finden. Auftraggeber ist das Jobcenter. Am aktuellen Euskirchener Projekt mach:ART nehmen junge Erwachsene teil.

Das Programm richtet sich aber auch an Menschen mit gesundheitlichen Einschränkungen, Migranten oder Alleinerziehende. „Die Grundüberzeugung besteht darin, dass jeder Mensch weitreichende Potenziale mit sich bringt“, heißt es auf der Homepage von Defakto. Die würden durch künstlerische Arbeit sichtbar gemacht, gestärkt und weiterentwickelt.

Das Theaterspiel ist nur ein Baustein in der Maßnahme, die auf neun Monate angelegt ist. Dazu kommen Jobcoaching, um die entdeckten Fähigkeiten auch beruflich nutzen zu können, Gesundheitsförderung und bei Bedarf sozialpädagogische Begleitung.

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