ProzessEuskirchener ließ Vater nach Armbruch ohne Hilfe

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Das Gebäude des Amtsgerichts Euskirchen

Das Amtsgericht in Euskirchen von außen.

Das Schöffengericht in Euskirchen hat den 55-jährigen Angeklagten schließlich wegen Misshandlung Schutzbefohlener zu einer Bewährungsstrafe verurteilt.

Den Nachbarn kam die Sache seltsam vor. Schon mehrere Tage hatten sie Manfred G. (Namen geändert) nicht mehr auf der Straße gesehen. Normalerweise war der alte Herr doch fast täglich draußen unterwegs. Weil es auch andere Hinweise auf Unregelmäßigkeiten gab, wurden die Behörden alarmiert.

Am 21. Januar 2021 ging der Sozialpsychiatrische Dienst des Kreises Euskirchen der Angelegenheit auf den Grund. Eine Mitarbeiterin und ein Mitarbeiter fanden den damals 85 Jahre alten Manfred G. in einem schlimmen Zustand vor. Er war fünf Tage zuvor schwer gestürzt und noch nicht medizinisch versorgt worden.

Angeklagter hatte seinen Vater seit fünf Jahren gepflegt

2017 hatten die Eheleute die Pflege von Manfred G. übernommen, nach dem Tod seiner Ehefrau. Sie lebten mit ihm in dessen Haus in einem Euskirchener Ortsteil. Er litt unter mehreren Krankheiten, „in den letzten Jahren kam eine Demenz hinzu“, hieß es in der Anklageschrift.

Als er am 15. Januar 2021 von einem Besuch bei seinem Bruder nach Hause kam, hatte er seinen Arm merkwürdig angewinkelt, wie es sein Sohn formulierte. Fragen zu einer möglichen Verletzung habe sein Vater unbeantwortet gelassen. Der Enkelin, die nach ihm schaute, nachdem er sich in sein Zimmer zurückgezogen hatte, habe er erzählt, er sei gefallen.

Jetzt wurde der Fall juristisch aufgearbeitet. Das Schöffengericht Euskirchen verurteilte Theo G., den Sohn des Seniors, zu neun Monaten Haftstrafe, die auf Bewährung ausgesetzt wurden, und zwar wegen der Misshandlung Schutzbefohlener durch Unterlassung. Ursprünglich sollte sich auch die Schwiegertochter vor Gericht verantworten.

Eheleute erschienen zum ersten Prozesstermin nicht

Der Prozess war eigentlich für den 17. Oktober terminiert worden, damals erschienen die Eheleute aber nicht zur Verhandlung. Der Vorsitzende Richter Wolfgang Schmitz-Jansen erließ Haftbefehle. Theo G. (55) wurde daraufhin am 27. Oktober vorläufig festgenommen. Kurz darauf kam er wieder auf freien Fuß. Das Verfahren gegen seine Ehefrau, die ihn ein Jahr zuvor verlassen hatte, ist mittlerweile abgetrennt worden.

Für mich war klar, dass es so nicht weitergehen konnte. Er blockte aber immer ab.
Angeklagter Manfred G.

„Hauptbezugsperson“ seines Vaters, so Theo G. weiter, war die Schwiegertochter. Am Tag nach dem Sturz, sonntags, habe er ihr erlaubt, sein Hemd zu öffnen. Der Oberarm war voller blauer Flecken. Hinzu kam eine offene Wunde, die seine Frau mit einem Verband versorgt habe, sagte der Angeklagte.

Seine Frau und er hätten an jenem Sonntag und an den Tagen danach versucht, seinen Vater davon zu überzeugen, einen Arzt aufzusuchen oder ins Haus kommen zu lassen. Sein Vater habe dies aber jedes Mal abgelehnt. „Mein Eindruck war, dass er denjenigen decken wollte, der für die Verletzung verantwortlich war“, sagte Theo G. Wie es zu dem Sturz gekommen war, ob tatsächlich ein Fremdverschulden vorlag, konnte bis heute nicht geklärt werden.

Tag um Tag verging – und Manfred G., dem die Schwiegertochter die Mahlzeiten ans Bett brachte, weigerte sich nach Darstellung seines Sohnes weiter, sich in medizinische Behandlung zu begeben. „Für mich war klar, dass es so nicht weitergehen konnte. Er blockte aber immer ab“, erzählte der Angeklagte. Mitte der Woche hätten er und seine Ehefrau geplant, „noch einen oder zwei Tage zu warten“ und dann den Arzt zu rufen, so der 55-Jährige.

Senior lag in einem verwahrlosten Raum

Doch dann, am 21. Januar, fünf Tage nach dem Sturz, standen die Mitarbeiter des Kreises vor der Tür. Die Schwiegertochter habe sie zunächst nicht ins Haus lassen wollen, heißt es in einem Bericht der Behörde. Manfred G., der in einem nach Urin riechenden Zimmer voller Schimmelpilz an Decke und Wänden lag, machte auf sie einen hilflosen und schmerzgeplagten Eindruck. Seine Verletzung entpuppte sich als Splitterfraktur des rechten Oberarms, mit Knochenfragmenten, die einerseits „durch die Haut drückten“, andererseits die Arterie zu beschädigen drohten, so die Staatsanwaltschaft.

Wenn ich höre, in welchen Verhältnissen der Geschädigte wohnen und leben musste, stehen mir die Haare zu Berge.
Richter Wolfgang Schmitz-Jansen

Manfred G. sei nicht in der Lage gewesen, eigenständig zur Toilette zu gehen, sich selbst zu helfen und allein zu trinken, sagte der Anklagevertreter. Die Eheleute hätten zwar „vorgehabt, ihn zum Arzt zu bringen, stattdessen haben sie ihn aber mehrere Tage liegen gelassen mit erheblichen Schmerzen und einer gefährlichen Verletzung“. Das Gericht wertete die Einlassungen des Angeklagten als Geständnis. „Käme ich noch einmal in eine solche Situation, würde ich anders handeln“, hatte er beteuert.

Das Geschehen tue ihm leid, „ich kann es aber nicht rückgängig machen“. Verteidiger Ralf Engels bezeichnete das Verhalten seines Mandanten als moralisch verwerflich. „Aber nicht jedes moralische Verhalten überschreitet die Grenze zu einem strafbaren Verhalten.“

Pflegebedürftiger Vater lebt nun woanders

Das Tatbestandsmerkmal des Quälens aus Paragraf 225 des Strafgesetzbuchs, auf den sich die Staatsanwaltschaft berief, sei nicht erfüllt: Sein Mandant habe nicht mit dem Vorsatz gehandelt, seinem Vater Schmerzen zuzufügen, die über die Verletzungsfolgen hinausgingen, sagte der Anwalt. Er plädierte auf Freispruch, während der Ankläger 15 Monate auf Bewährung forderte. Das Gericht beließ es bei neun Monaten. Theo G., dessen Vater seit dem Vorfall woanders lebt, muss außerdem 40 Stunden gemeinnützige Arbeit leisten.

„Wenn ich höre, in welchen Verhältnissen der Geschädigte wohnen und leben musste, stehen mir die Haare zu Berge“, sagte Richter Schmitz-Jansen. Der Angeklagte, dem er eine „emotionale Verflachung“ bescheinigte, und dessen Ehefrau hätten eingreifen und alles tun müssen, um Schmerz und Leid des alten Mannes zu beenden. Dass es hauptsächlich die Schwiegertochter war, die sich um den Senior kümmerte, „entlässt Sie nicht aus Ihrer Verantwortung“, schrieb er dem Angeklagten ins Stammbuch.

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