NeujahrsbabyAuf die Silvesterböller folgte bei Euskirchenerin der Blasensprung

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Das Euskirchener Neujahrsbaby Thilo Liam Okon im Arm seiner Familie: David Okon (l.), Susanne Okon mit den Kindern Lilli Alisa und Anni Mailin auf ihrer Couch.

Neujahrsbaby Thilo Liam Okon und Mutter Susanne Okon (r.) konnten dank Beleghebammenbetreuung das Marienhospital Euskirchen schon nach wenigen Stunden verlassen. Vater David Okon und die Schwestern Lisa Alisa (v.l.) und Anni Mailien freuen sich über die ganz besondere Überraschung der vergangenen Neujahrsnacht.

Nach dem Feuerwerk hielt die Neujahrsnacht für Susanne und David Okon in Euskirchen einen weiteren Kracher bereit: die Geburt ihres Sohnes Thilo Liam Okon. Dabei half die einzige Beleghebamme in Euskirchen.

Der Silvesterabend war zunächst ganz ruhig. Die Familie Okon war lang wach, um das Feuerwerk zu sehen. Die Hunde waren wegen der Raketen in Aufruhr und bellten bis spät in die Nacht. Erst gegen halb drei schliefen David und Susanne Okon ein.

Nur eine Stunde später wachte Susanne Okon wieder auf. „Weil alles nass war“, sagt die junge Mutter. Die Fruchtblase war geplatzt. „David musste mir ein Handtuch holen.“ Wehen habe sie da aber noch nicht gehabt. David Okon: „Sie ist sogar noch duschen gegangen.“ Danach hat das Paar die Kinder zu den Großeltern gebracht.

Der erste Eintrag im Geburtenbuch 2023 im Kreis Euskirchen

Eine Stunde nach dem Platzen der Fruchtblase kamen die beiden im Marienhospital in Euskirchen an. „Plötzlich ging alles einfach wahnsinnig schnell“, sagt Susanne Okon. Die Wehen waren intensiv. Nicht einmal drei Stunden später, um 6.40 Uhr, kam Thilo Liam Okon zur Welt. Ein Neujahrsbaby. Der erste Eintrag im Geburtenbuch 2023 im Kreis Euskirchen.

Dass Thilo am Neujahrstag geboren wurde, findet Susanne Okon toll. Sein Geburtstag sei jetzt immer ein Feiertag. Es gebe jedes Jahr ein ordentliches Feuerwerk und die ganze Welt feiere mit ihm.

Noch mehr als die Mutter selbst, freut sich Hebamme Simone Bungenberg-Decker über das besondere Geburtsdatum. Ein Neujahrsbaby habe sie in all ihren Berufsjahren noch nie zur Welt gebracht. „Solche Momente geben mir alles“, sagt Bungenberg-Decker.

Hebammen zu finden ist generell schwierig
Susanne Okon

Kennengelernt haben sich Bungenberg-Decker und Susanne Okon bereits vor einigen Jahren. Sie sind beinahe Nachbarn. Haben sich beim Spazieren mit den Hunden gegrüßt. Doch so richtig nah gekommen sind sie sich erst bei der Geburt von Okons sechsjähriger Tochter Lilli Alisa.

Bungenberg-Decker wurde Okon als Hebamme von einer gemeinsamen Bekannten empfohlen. „Und Hebammen zu finden, ist generell schwierig“, sagt Susanne Okon. Sobald man einen positiven Schwangerschaftstest habe, müsse man sich eigentlich schon um die Hebamme kümmern – selbst dann, wenn sonst noch niemand von der Schwangerschaft wisse.

Eine Beleghebamme wie Bungenberg-Decker zu finden, also eine Hebamme, die die Geburt von Anfang bis Ende eng begleitet, sei sogar doppelt schwierig, sogar beinahe unmöglich. Das liege daran, dass es immer weniger Beleghebammen gebe, erklärt Bungenberg-Decker. Eigentlich gebe es generell zu wenig Hebammen.

Hebamme Simone Bungenberg-Decker vor ihrem Haus und ihrer Praxis

Beleghebamme Bungenberg-Decker betreut das Neujahrsbaby.

„In Euskirchen bin ich aktuell die einzige Beleghebamme“, sagt sie. Vor einigen Jahren habe es im Marienhospital noch acht Beleghebammen gebeben. Dann waren es nur noch zwei. „Und seit vergangenen Juni bin ich alleine.“ Bungenberg-Decker findet das schade, weil sie weiß, dass viele Frauen gezielt nach einer Beleghebamme suchen. So wie Susanne Okon.

„Simone ist eine Hebamme, die mich wirklich kennt“, sagt Okon. Es sei wichtig, dass man dem Menschen, der die Geburt begleite, vertrauen könne – im fachlichen wie im menschlichen Umgang. Eine Hebamme sei eben keine Apothekerin, so Okon. Vertrauen und Nähe sei wichtig: „Vor allem, weil man während der Geburt ja teilweise doch eine ganz andere Person ist“, sagt die junge Mutter, sieht die Hebamme an und lacht. Dass Okon Bungenberg-Decker gefunden hat, hält Okon für einen Glücksfall.

Teure Haftpflichtversicherung für freiberufliche Geburtshelferinnen

Doch dafür, dass es immer weniger Hebammen gibt, gibt es Gründe, weiß Bungenberg-Decker: die steigende Haftpflichtversicherung. Die sei für Geburtshelferinnen nämlich bereits im Juli des vergangenen Jahres auf 11.500 Euro pro Jahr erhöht worden. Dieses Jahr im Juli werde sie wieder steigen: auf 12.600 Euro pro Jahr. Und das sei die reine Haftpflichtversicherung, sagt Bungenberg-Decker. Hinzu kämen für sie auch weiterhin Rentenversicherung und Krankenkasse, weil sie schließlich selbstständig sei.

Der Fairness halber, sagt die Hebamme, müsse man erwähnen, dass es mittlerweile Unterstützung gebe. Der GKV-Spitzenverband unterstütze nämlich bereits die freiberuflichen Hebammen in der Beleg- oder Hausgeburtshilfe mit einem Sicherstellungszuschlag. Die Höhe des Zuschlags sei prozentual festgelegt. Aber, sagt Bungenberg-Decker, man könne sich schon knapp zwei Drittel der bezahlten Haftpflicht zurückholen.

Zahl der Beleghebammen in Deutschland ist stark geschrumpft

Nichtsdestotrotz – und nach allen Abzügen – werde die freiberufliche Geburtshelferin mit Haftpflichtkosten von 4000 bis 5000 Euro belastet. Diese horrenden Haftpflichtbeträge betreffen aber nur freie, geburtshelfende Hebammen. Angestellte Hebammen bezahlten 450 Euro Haftpflicht. Das erklärt für Bungenberg-Decker auch, warum es nach einer Studie aus 2019 zufolge deutschlandweit nur noch 1428 Beleghebammen gab, warum ihre Kolleginnenzahl in den letzten Jahren so stark geschrumpft ist, und warum sie nun die einzige Beleghebamme in Euskirchen ist.

Probleme gebe es aber längst nicht nur im Belegsystem, sagt Bungenberg-Decker. Es mangele eben nicht nur an freiberuflichen, sondern auch an angestellten Hebammen. Die Krankenhäuser fänden einfach keine mehr.

Die Mütter und ich, wir sehen uns noch Monate nach der Geburt.
Simone Bungenberg-Decker, Hebamme

Dadurch komme es zu Schließungen. Es bleibe einfach nichts anderes übrig, wenn keine Hebamme mehr im Dienst sei. Zwischen den Jahren sei das in Mechernich der Fall gewesen. Als die Geburtshelferinnen krankheitsbedingt ausfielen, sei die Station bis 15 Uhr geschlossen gewesen. In Euskirchen sei das nun auch schon ein paar mal passiert.

Sie selbst, sagt Bungenberg-Decker, habe Glück. Glück nämlich, den Rückhalt einer Familie zu haben. Deswegen könne sie den Beruf auch noch ausüben. Ohne diesen Rückhalt und ohne den Sicherheitszuschlag wäre es auch für Bungenberg-Decker schwierig, ihren Beruf weiter auszuüben – schwierig wie für so viele andere.

Die Hebamme: „Ich arbeite jetzt seit 17 Jahren im Belegsystem und ich kann mir nichts anderes mehr vorstellen.“ Für sie gibt es kein Zurück mehr ins Angestelltenverhältnis. Für sie geht die Tür zum Kreißsaal nicht mehr auf, ohne das Gegenüber zu kennen. Stattdessen: Eins-zu-eins-Betreuung, neunmonatiges Kennenlernen, Wochenbettbetreuung und Rückbildung.

„Die Mütter und ich, wir sehen uns noch Monate nach der Geburt.“   Es sei etwas Persönliches, es sei ein Ganzes – wie die Betreuung von Thilo Liam Okron und seiner Mutter.


Sicherheitszuschlag als Hebammenhilfe

Seit Sommer 2015 zahlt der GKV-Spitzenverband den sogenannten Sicherstellungszuschlag, informiert Beleghebamme Simone Bungenberg-Decker. Dieser soll dazu dienen, die stark angestiegenen Kosten der Berufshaftpflichtversicherung auszugleichen. Diesen Direktzuschuss zahlt der GKV auf Antrag an freiberufliche Hebammen aus.

Die ausgezahlten Gelder werden durch eine Umlage von den Krankenkassen finanziert. Steigt die Haftpflichtprämie des privaten Versicherers für geburtshilflich tätige Hebammen, erhöht sich automatisch der Auszahlungsbetrag für die Hebamme mit Geburtshilfe.

Um den Sicherstellungszuschlag ausgezahlt zu bekommen, muss die freiberufliche Hebamme gegenüber dem GKV-Spitzenverband nachweisen, dass sie mindestens vier Geburten im Jahr betreut und abgerechnet hat. (kkr)

Weitere Informationen zur Hebammenhilfe des GKV-Spitzenverbands gibt es online.

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