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ZeitzeugenberichteEuskirchener beschreibt die letzten Kriegsmonate und die Nachkriegszeit

Lesezeit 4 Minuten
Dr. Günther Rüther, ein älterer Herr mit Brille, sitzt im Garten. Vor sich auf dem Tisch liegt das Buch, das er geschrieben hat.

Dr. Günther Rüther und sein neues Buch, das sich mit dem Ende des Zweiten Weltkriegs und dem Neuanfang in Deutschland befasst, und zwar aus dem Blickwinkel von Zeitzeugen.

Auf 365 Seiten finden sich Berichte und Selbstzeugnisse von Menschen, die die Zeit 1954/46 erlebt haben. Dr. Günther Rüther hat sie sorgsam zusammengestellt und kommentiert.

Der 8. Mai 1945 war der Tag, an dem die bedingungslose Kapitulation der deutschen Wehrmacht in Kraft trat und der Zweite Weltkrieg beendete wurde. Das ist nun exakt 80 Jahre her, und „die Zeitzeugen, die uns etwas über das Ende des Zweiten Weltkriegs und den Neubeginn in Deutschland erzählen könnten, sterben aus“, sagt Autor Dr. Günther Rüther bedauernd. Diese Tatsache erleichtert jenen das Handwerk, die sich auf die Verdrehung der Geschichte spezialisiert haben.

Günther Rüther, der in Euskirchen zu Hause ist, hat deshalb ein Buch geschrieben, in dem die richtungsweisenden Entwicklungen von 1945/46 nachgezeichnet werden. Das Lesebuch erzählt auf 356 Seiten „Geschichte mit Geschichten der letzten Kriegsmonate“ und der unmittelbaren Nachkriegszeit in Deutschland, und zwar aus Sicht von Menschen, deren Gedanken und Handeln in Selbstzeugnissen und Berichten überliefert sind.

„In dem Buch entfaltet sich ein Panorama der Erwartungen und Hoffnungen, in denen sich die Schrecken der jüngsten Vergangenheit spiegeln, aber auch der politische und kulturelle Aufbruch“, schreibt die Bundeszentrale für politische Bildung, die Rüthers Werk in ihrer Schriftenreihe herausgegeben hat.

Menschen speichern Erfahrungen und Erinnerungen, individuell und kollektiv

„Lasst uns das Leben leise wieder lernen“ – Befreiung – Deutschland 1945/46“ lautet der Titel des Buches, dass politische, soziologische und kulturelle Entwicklungen gleichermaßen erfasst. Jüngst referierte der Autor über sein Buch in der Karl-Rahner-Akademie in Köln. Dabei erklärte er, warum der gängige Begriff der „Stunde Null“ für das Kriegsende keineswegs treffend sei: „Der Begriff suggeriert, man hätte alles wieder auf Null gestellt. Aber Menschen speichern Erfahrungen, Erlebnisse und Erinnerungen, individuell und kollektiv. Die entstehenden Muster gehen mit und wirken im Leben weiter. Bis heute ist dieser Prozess nicht völlig abgeschlossen.“

Vielleicht ist das der Grund, weshalb das Buch von Günther Rüther so wichtig ist. Es erinnert und macht bewusst, was Deutschland bis heute mitprägt. Der ehemalige Honorarprofessor am Institut für Politische Wissenschaft und Soziologie der Rheinischen Friedrich-Wilhelms-Universität Bonn, der auch Leiter der Begabtenförderung und Kultur der Konrad-Adenauer-Stiftung war, leistete regelrechte Fleißarbeit. Er durchforstete Archive und sammelte die originalen Schilderungen von Menschen, die Kapitulation und Neuanfang miterlebt haben. Rüther stellt mit seinen begleitenden Kommentaren wichtige Bezüge her und erlaubt sich aus seiner Expertise als Politikwissenschaftler auch kritische Stellungnahmen.

Mir ist es wichtig, in diesem Buch die Entwicklung von Personen und den Fluss der Geschichte aufzuzeigen.
Autor Dr. Günther Rüther

Beim Lesen des Buches begegnen einem viele bekannte Namen: wichtige Politiker der damaligen Zeit wie Konrad Adenauer, Gustav Heinemann, Kurt Schumacher und Walter Ulbricht, aber auch Literaten und Philosophen wie Hannah Arendt, Thomas und Heinrich Mann, Luise Rinser, Wolfgang Borchert oder Günter Grass. Und auch aus dem Bereich von Kunst und Kultur finden sich Persönlichkeiten: der Maler Otto Dix, der Komponist Richard Strauss oder der Dirigent Wilhelm Furtwängler.

In ihren jeweiligen kleinen und größeren Lebensdramen spiegeln sich die Schrecken einer unfreien Zeit und der holprige Start in eine ungewisse Zukunft. Der Anfang war für die meisten Menschen in Deutschland mühselig, und nicht alle Personen im Buch sind mit einer weißen Weste aus den Jahren des Naziregimes hervorgekommen.

Jeder der Zeitzeugen fand auf seine Weise in eine neue Normalität

Jeder dieser Zeitzeugen findet auf seine Weise einen Weg in eine neue Normalität. Manche plagt das Gewissen, andere das Unrecht, das ihnen angetan wurde. Rüther: „Mir ist es wichtig, in diesem Buch die Entwicklung von Personen und den Fluss der Geschichte aufzuzeigen.“ Das gelingt ihm, indem er auch die Schwierigkeiten erkennbar werden lässt, nach dem gescheiterten Nazi-Regime in einem zerstörten Land die Ärmel hochzukrempeln für ein besseres Leben in Freiheit. Dabei waren sich die alliierten Siegermächte keineswegs einig, wohin die Reise für die Deutschen gehen sollte.

„Mir war es auch ein Anliegen, nicht einseitig auf die westlichen Regionen zu schauen, sondern auch den Osten in das Buch mit einzubeziehen“, erklärt der Wissenschaftler. Dementsprechend ist Rüther eine gesamtdeutsche Schau gelungen. Anschaulich und nachvollziehbar erklärt er auch, wie es zur Bildung zweier deutscher Staaten kommen konnte.

Besonders bewegt hat Günther Rüther die Entdeckung des gleitenden Übergangs. Gestern noch diente man unter den Nazis, heute schon ist man Teil alliierter Kontrolle: „In dieser Zeit war Überleben und das Können, sich zu arrangieren, wichtig. Schuldfragen wurden nur zögerlich gestellt, Reue nur selten gezeigt.“ Das Buch schafft keine Synthese, sondern stellt dar, wie unterschiedlich und vielfältig Menschen gedacht und gehandelt haben, als der Krieg vorbei war. Es gibt Einblick in damalige Wirklichkeiten und zeigt auf, mit welchen Hoffnungen die Deutschen auf eine bessere Zukunft hingelebt haben.

„Lasst uns das Leben leise wieder lernen“, Bundeszentrale für politische Bildung, ISBN 978-3-7425-0945-1, zu bestellen für 5 Euro inkl. Porto per E-Mail.