Meine RegionMeine Artikel
AboAbonnieren

Lebendiger FriedhofIn Euskirchen erzählen Gräber die Lebensgeschichten der Menschen

3 min
Eine Besuchergruppe steht vor einem Grab, dessen waagerechte Steintafel mit vier an den Ecken aufgestellten Kerzen geschmückt ist. Kurt Lingscheidt liest aus einem Buch vor.

Bei einer Führung präsentierte der ehemalige Leiter der Euskirchener Friedhofsverwaltung, Kurt Lingscheidt (r.), die neun neuen Stationen des Projekts „Lebendiger Friedhof“.

Das Projekt „Lebendiger Friedhof“ ist erweitert worden. Mittels QR-Codes können nun Informationen zu Kriegsopfern abgerufen werden.

Ein Friedhof ist nicht nur ein Ort der Trauer, an dem Verwandte und Freunde sich von ihren Liebsten verabschieden, sondern vor allem auch des Gedenkens. Wie auf vielen Friedhöfen gehören in Euskirchen auch die Ehrengräber der Opfer beider Weltkriege dazu, wobei diese oft nicht einmal Namen tragen, da diese zum Zeitpunkt der Beisetzung unbekannt waren.

Dennoch erzähle jedes einzelne Grab die Geschichte eines Menschen mit all seinen Bedürfnissen, Wünschen und Hoffnungen, sagte Diakon Werner Jacobs von der katholischen Kirchengemeinde: „Wir müssen uns immer wieder in Erinnerung rufen, dass es hier um Menschen geht, die gelebt und geliebt haben wie wir.“

Im ersten Projektabschnitt ging es um die Euskirchener Tuchmacherfamilien

Seit dem Start des Projekts „Lebendiger Friedhof“ bieten zahlreiche Gräber daher auch Hintergrundinformationen über das Leben und Wirken der Verstorbenen. Im vergangenen Jahr wurde der erste Projektabschnitt mit Schwerpunkt auf den Euskirchener Tuchmacherfamilien eröffnet. Nun folgten zu den 16 vorhandenen neun weitere Stationen, die den Opfern der beiden Weltkriege gewidmet sind.

Jens Schramm spricht auf dem Friedhof in ein Mikrofon.

Projektinitiator Jens Schramm stellte den zweiten Teil des„ Lebendigen Friedhofs“ zum Thema Kriegsgräber vor.

„Wir leben heute wieder in einer Zeit voller Hass, Gewalt und massiven Bedrohungen gegenüber Menschen, die anders sind als du und ich“, erklärte der Projektinitiator, Diakon Jens Schramm von der evangelischen Kirchengemeinde, bei der Eröffnung. „Vor diesen Ereignissen dürfen und wollen wir nicht die Augen verschließen, sondern das Andenken an unsere Geschichte so lebendig wie möglich gestalten, um zu verdeutlichen, dass rechtes Gedankengut, Ausgrenzung und Gewalt in unserer Gesellschaft keinen Platz haben.“

QR-Codes an den Gräbern können mit dem Smartphone gescannt werden

In monatelanger Recherchearbeit hat der Diakon mit einem kleinen Team Stadt- und Kreisarchive durchforstet sowie mit Hinterbliebenen und Nachkommen der Kriegsopfer gesprochen, um diesen Baustein der Erinnerungskultur zu gestalten. Kleine Schilder mit QR-Codes, die übers Smartphone eingescannt werden können, geben die gesammelten Informationen mittels gesprochener Texte wieder.

Diese vermitteln sowohl die Geschichte der polnischen und russischen Kriegstoten als auch Familien- und Einzelschicksale von Personen wie dem ehemaligen Euskirchener Bürgermeister Gottfried Disse, Kaplan Theodor Kellermann und weiterer Kriegsopfer.

Auf zwei Info-Tafeln sind die Schicksale von Kaplan Theodor Kellermann, von Stanislawa Mikolajczak und der Familie Gawlowski zusammengefasst.

Im Rahmen der Recherchearbeit ist in der alten Trauerhalle eine kleine Ausstellung zu den Euskirchener Kriegsgräbern entstanden.

„Im Konfirmandenunterricht erzählte mir eine 14-jährige Konfirmandin, dass sie mit ihrer Familie jedes Jahr an Allerheiligen auf den Friedhof gehe und von ihrem Vater drei Blumen bekomme, die sie an den Gräbern niederlegen soll“, berichtete Pfarrer Frank Thönes. Mit Tränen in den Augen habe sie weiter berichtet, dass sie immer eine Blume an den Gräbern der russischen und polnischen Kriegsopfer niederlege, da diese Menschen sonst niemanden hätten, der ihre Gräber besuche und an sie denke. Thönes: „Solange solche Jugendliche unter uns aufwachsen, mit so viel Feingefühl, weiten Herzen und dem Sinn für den Wert des Lebens, wird unsere Vergangenheit nicht vergessen.“

Der Posaunenchor musiziert auf dem Friedhof.

Musikalisch begleitet wurde die Eröffnung des zweiten Projektteils durch den Posaunenchor der evangelischen Kirchengemeinde.

Die QR-Codes seien ebenfalls ein wichtiges Werkzeug gegen das Vergessen – auch mit Blick auf die besondere deutsche Verantwortung, betonte Pfarrer Frank Thönes: „Besonders die Erzählungen über Einzelpersonen können diese Geschichte emotionaler, gefühlvoller und farbiger darstellen und tragen zu der lebendigen Erinnerung bei.“

Beim dritten Projektabschnitt soll es um „Starke Frauen im Kreis“ gehen

Bürgermeister Sacha Reichelt zeigte sich bei der Eröffnungsfeier ebenfalls erfreut über die Erweiterung des Projekts „Lebendiger Friedhof“. „Ich finde es ganz toll, dass der Friedhof durch diese Arbeit zum Sprechen gebracht wird. Denn jeder Mensch ist wichtig und jeder Mensch hat es verdient, dass weiter an ihn gedacht wird.“

Schon jetzt habe daher die Recherchearbeit für den dritten Projektteil begonnen, der im kommenden Jahr eröffnet werden soll, stimmte Diakon Jens Schramm zu. „Da wollen wir uns mit dem Thema ,Starke Frauen im Kreis' befassen und auf diese Weise immer mehr Schwerpunkte setzen, die den ‚Lebendigen Friedhof‘ weiter bereichern können.“

Weitere Informationen zu dem Projekt gibt es auch auf der Homepage zum Projekt.