Kaller Chefarzt über seine Corona-Erkrankung„Bei mir schmeckte alles nach Pfeffer“

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Ein Krankenhaus-Mitarbeiter behandelt einen Covid-19-Patienten. (Symbolbild)

  • Karl Vermöhlen ist Facharzt für Physikalische und Rehabilitative Medizin und seit 12 Jahren Chefarzt einer 20-Betten-Abteilung in der Klinik Sankt Josef VoG im ostbelgischen St. Vith.
  • Seit dem Frühjahr leitet er die Corona-Isolierstation.
  • Er vermutet, dass er sich beim Umgang mit Kolleginnen und Kollegen mit Covid-19 ansteckte. Zwischendurch bekam er Sauerstoff – bei gleichzeitig hohem Fieber. „Da habe ich schon Angst bekommen“, sagt der 61-Jährige in unserem Interview.

Herr Vermöhlen, wie geht es Ihnen?  Karl Vermöhlen: Inzwischen wieder ganz gut.  Das war in den letzten Wochen nicht immer so. Sie waren an Covid-19 erkrankt.

Ja, ich bin am 4. November positiv getestet worden. Ich bin dann eine Woche lang zuhause geblieben. Dann musste ich aber donnerstags ins Marien-Hospital nach Euskirchen. Da blieb ich bis Mittwoch und kam dann, inzwischen negativ getestet, wieder nach Hause und erhole mich jetzt ganz gut.

Interview per Video-Anruf: Karl Vermöhlen im Gespräch mit der Redaktion.

Interview per Video-Anruf: Karl Vermöhlen im Gespräch mit der Redaktion.

Sind Sie durch Symptome auf die Erkrankung aufmerksam geworden?

In der Nacht zum 4. November hatte ich Fieber. Ich habe mich dann sofort testen lassen, weil ich davon ausgehen musste, dass ich mich infiziert hatte. Wir hatten ja in Ostbelgien örtlich über 6000 Fälle pro 100.000 Einwohner in sieben Tagen.

Wissen Sie, wo Sie sich angesteckt haben?

Sicherlich nicht bei den Patientinnen und Patienten, da sind wir geschützt. Es war wohl eher beim Umgang mit den Kolleginnen und Kollegen – obwohl wir Abstand halten. Aber diese hohen Inzidenzen bedeuten auch eine hohe Durchseuchung – und die ist nicht immer symptomatisch, aber dann doch infektiös.

Wie war der Krankheitsverlauf bei Ihnen?

Ich hatte dann weiter Fieber, relativ hoch, bis 39,5 Grad, und Geschmacksstörungen. Bei mir schmeckte alles nach Pfeffer. Dann wurde es immer schlimmer: Ich wurde immer schlapper, bin ausgetrocknet, obwohl ich viel getrunken habe. Mit Herzrhythmusstörungen bin ich dann ins Krankenhaus gekommen.

Mussten Sie beatmet werden?

Nein, ich habe aber Sauerstoff bekommen und musste am Monitor bleiben. Die Intensivstation ist mir erspart geblieben. An einem Tag hatte ich aber dauerhaft einen sehr schnellen Herzschlag mit über 120 Schlägen in der Minute. Gleichzeitig blieb das Fieber hoch, obwohl ich da schon sechs Tage lang Dexamethason, ein Kortisonpräparat, das man seit einiger Zeit bei schwereren Covid-19-Verläufen einsetzt, eingenommen hatte. Das Präparat gibt man maximal zehn Tage. Da habe ich Angst bekommen.

Es musste sich also langsam etwas tun...

Das ist ein Gefühl, als hättest du einen Revolver, in dem zehn Schuss sind, und du hast schon sechs Schuss abgegeben und nicht getroffen. Nein, das ist kein gutes Gefühl.

Hatten Sie Angst, andere angesteckt zu haben, etwa Ihre Frau?

Meine Frau ist gleich mit mir in Quarantäne gegangen. Sie ist mit mir und dann noch einmal zwölf Tage später getestet worden, zum Glück jeweils negativ.

Da war es ja gut, dass Sie in der Zeit vor dem Ausbruch Ihrer Krankheit so viel arbeiten mussten.

Ja, das waren mitunter 14 bis 16 Stunden am Tag. Ich kam dann nach Hause, um schnell zu essen, etwas zu schlafen – und dann gleich wieder in die Klinik zu fahren. Da waren die zwischenmenschlichen Kontakte auf ein Minimum reduziert.

Sie sind 61 Jahre alt, nicht übergewichtig und fit. Es kann also jeden treffen.

Eindeutig ja. Ich habe einen jungen Mann im Krankenhaus behandelt, der 31 Jahre alt war. Weil sich sein Zustand rasend schnell verschlechterte, musste er von St. Vith nach Köln-Merheim verlegt werden, wo er an der ECMO – der „künstlichen Lunge“ – behandelt werden musste. Zu sagen, diesen jungen Menschen kann nichts passieren, ist einfach falsch. Ja, das Risiko steigt mit zunehmendem Alter und bei Vorerkrankungen. Aber zu sagen, bei den anderen ist alles gut – das ist nicht der Fall. Man muss diese Krankheit sehr ernst nehmen.

Haben Sie Angst vor eventuellen Folgeschäden?

Nein, ich fühle mich jeden Tag besser. Ich bin ja Reha-Mediziner und mache mein kleines Reha-Programm zu Hause: Ich unternehme kleine Spaziergänge mit Steigerungen, gehe aufs Rudergerät und mache meine Atemgymnastik. Anfangs hatte ich Gedächtnisprobleme, Konzentrations- und Wortfindungsstörungen, aber das hat sich wieder gelegt. Telefonieren für mehr als zwei Minuten ging wegen der Luft und einem quälenden Husten nicht.

Als Arzt kennen Sie die Krankheit in der Theorie und aus der Beobachtung Ihrer Patientinnen und Patienten. Was haben Sie durch Ihre eigene Erkrankung darüber hinaus erfahren?

Ich habe etwas mehr über die Angst der Betroffenen gelernt und darüber, wie wichtig Zuwendung ist. Wenn Besuche nicht möglich sind, sind die Pflegenden der einzige Kontakt und diejenigen, die begleiten und Zuwendung schenken. Vielen, vielen Dank an dieser Stelle an die Station 4A des Marienhospitals – Ihr seid super! Ich habe auch gesehen, wie sehr die Familie betroffen war, als es mir immer schlechter ging und ich mich nicht melden konnte.

Was mir aber extrem geholfen hat, war die Ermutigung durch meine Kolleginnen und Kollegen von unserer Isolierstation in St. Vith. Alle 40 Pflegerinnen, Logistiker und Reinigungspersonal haben eine Genesungskarte unterschrieben. Da kriege ich jetzt noch feuchte Augen, wenn ich dran denke.

Für wann dürfen die Kollegen denn wieder mit ihrem Chef rechnen?

Ab Montag kann ich wieder einsteigen. Unser „Krankenhäuschen“ hat 120 Betten, davon waren zeitweise 35 mit Corona-Patienten belegt. Das zeigt, wie sehr Ostbelgien betroffen war. Wir waren ja der heißeste Hotspot Europas. Ich habe die Personalplanung so gemacht, dass Ausfälle im ärztlichen Bereich kompensiert werden können, denn man darf sich auch selbst nicht unersetzlich machen. Das hat geklappt.

Zum Glück entspannt sich die Situation jetzt etwas. Es hat aber viele Todesopfer gekostet. Und noch eins möchte ich sagen: Die Hilfe, die uns die Krankenhäuser in Euskirchen und Mechernich geleistet haben, war klasse. Die haben Patienten von uns übernommen, als wir nicht mehr konnten. Wir sollten diese innereuropäische Zusammenarbeit unbedingt ausbauen.

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Nachdem Sie die Krankheit am eigenen Leib erlebt haben – wie denken Sie über die Corona-Leugner oder „Querdenker“?

Die machen mich einfach nur rasend. Vor allem, wenn man sieht, wie Leute, die zunächst einmal gutwillig, aber uninformiert sind, von Teilen der AfD aber auch von Reichsbürgern politisch instrumentalisiert werden. Ich glaube aber auch, dass die Maßnahmen zur Eindämmung der Krankheit nicht gut kommuniziert werden.

Was meinen Sie konkret?

Dieses Klein-Klein können viele nicht mehr nachvollziehen. Es ergibt zum Beispiel keinen Sinn, wenn Fußpfleger öffnen dürfen, aber Nagelstudios nicht. Viele Menschen verstehen auch nicht, dass Restaurants, die mit viel Geld eine Infrastruktur geschaffen haben, um Ansteckungen zu vermeiden, schließen müssen. Das Wichtigste ist, dass wir die Köpfe der Menschen erreichen.

Die erreichen wir nicht durch komplizierte Regeln, sondern durch Maßnahmen, die für sie nachvollziehbar sind. Man hat den Eindruck, dass manche Politiker denken: „Oh, heute ist Donnerstag, und ich habe diese Woche noch keine neue Regel gemacht.“ So geht das nicht!

Vielen Dank für das Gespräch und weiterhin gute Besserung.

Danke. Bleiben Sie gesund! Diese Krankheit sollten Sie besser nicht bekommen. Das ist kein Vergnügen.

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