„Nicht geregelt“Flutopfer im Kreis Euskirchen stehen wegen Energiepreisbremse vor großem Problem

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Andreas Kläser steht an seiner Heizungsanlage. In der Hand hält er Rechnungen des Energieversorgers e-regio.

Versteht die Welt nicht mehr: Andreas Kläser aus Obergartzem ärgert sich über die hohe Nachzahlungsforderung, die er von seinem Gasversorger erhalten hat. Knapp 1000 Euro hat die Familie an die Euskirchener e-regio überwiesen.

Wegen des Bemessungszeitraums 2021 greift die Energiepreisbremse bei vielen Flut-Betroffenen nicht: Da waren viele Heizungen kaputt.

Andreas Kläser aus Obergartzem versteht die Welt nicht mehr. Er lebt in einem 160 Quadratmeter großen Haus mit drei weiteren Personen. Etwa 20.000 kWh Gas hat der Polizist nach eigenen Angaben jährlich verbraucht – bis die Flut kam. Der Bleibach und viel Oberflächenwasser liefen in den Keller und zerstörten unter anderem die Gastherme.

Seit August 2022 haben die Kläsers zwar wieder eine Heizung, aber auch ein Problem: Sie haben nach eigenem Bekunden nicht von der Energiepreisbremse profitiert. „Wir mussten knapp 1000 Euro nachzahlen“, sagt der 56-Jährige.

Flut-Betroffener Andreas Kläser hofft auf eine Erstattung

Weil die Obergartzemer Familie flutbedingt im Abrechnungszeitraum vom 10. Juni 2021 bis zum 30. Juni 2022 nur einen Verbrauch von 491 kWh hatte, hat die e-regio für die Energiepreisebremse eine Prognose von 486 kWh für den Gasverbrauch festgelegt – für das ganze Jahr.

Beim Vergleich der Werte aus den Vorjahren und dem jetzigen reicht das kleine Einmaleins, um festzustellen, dass das nicht stimmen kann.
Andreas Kläser, Hausbesitzer und Flut-Betroffener

„Das macht bei uns einen Unterschied zur Realität von 20.000 kWh. Beim Vergleich der Werte aus den Vorjahren und dem jetzigen reicht das kleine Einmaleins, um festzustellen, dass das nicht stimmen kann.“ Die Rechnung zweifele er nicht an, die Prognose aber schon. Er hofft, dass ihm ein Teil der nachgezahlten Gebühr zurückerstattet wird, wenn es eine Lösung für seine falsche Prognose gibt.

Laut Gesetz ist der Jahresverbrauch für die Preisbremse maßgebend, den der Gas- und Stromversorger im September 2022 für den jeweiligen Anschluss prognostiziert. Diese Berechnung richtet sich wiederum nach dem Verbrauch 2021, also dem Jahr, in dem viele Flutopfer wenig Gas und Strom im Haus brauchten, weil sie es schlicht nicht bewohnen konnten – oder wie im Fall der Kläsers keine funktionierende Heizung hatten.

Systeme der e-regio geben keine Hinweise auf Flut-Häuser 

Der Gaspreis für private Verbraucher wird bei 40 Cent pro Kilowattstunde brutto begrenzt. Das gilt für 80 Prozent des prognostizierten Verbrauchs. Der Unterschied zwischen 20.000 und 486 kWh liegt für die Kläsers also auf der Hand.

Ilona Schäfer, Pressesprecherin der e-regio, sagt, dass man im System nicht erkennen könne, warum ein Gasverbrauch anders – oder wie in diesem Fall viel niedriger – sei als im Vorjahr. „Das Haus kann auch verkauft worden sein oder es wurde schlichtweg nicht bewohnt. Oder es wurde saniert. Die Gründe können vielfältig sein. Sie sehen keinen Hinweis, dass es sich um ein Flutopfer handelt“, so Schäfer.

Die besondere Situation der von der Flut betroffenen Haushalte ist nicht geregelt.
Ilona Schäfer, Pressesprecherin e-regio

Die Preisbremsen für Gas und Strom setze die e-regio gemäß den gesetzlichen Vorgaben um. „Leider sieht das Preisbremsengesetz nicht vor, den zur Berechnung des Entlastungsbetrags verwendeten Verbrauchswert aus September 2022 rückwirkend um flutbedingte Minderverbräuche anzupassen. Die besondere Situation der von der Flut betroffenen Haushalte ist nicht geregelt“, sagt die Pressesprecherin.

Euskirchener Energieversorger wartet auf Antwort von Minister Habeck

Da nahezu das komplette e-regio-Versorgungsgebiet von der Flut betroffen gewesen sei, liege es auch im Interesse des Unternehmens, eine Klärung von rechtlichen Unschärfen in Bezug auf die Bemessungsgrundlagen bei flutbetroffenen Lieferstellen herbeizuführen, sagt Schäfer weiter: „Wir haben dazu eigens eine externe juristische Fachkanzlei beauftragt. Das Ergebnis des Gutachtens war, dass die aktuellen Preisbremsengesetze für uns als Energielieferant keine rechtssichere Grundlage darstellen, um rückwirkend die für die Berechnung heranzuziehende Verbrauchsprognosen um flutbedingte Minderverbräuche zu korrigieren.“

Deshalb habe man den Sachverhalt an das Bundesministerium für Wirtschaft und Klimaschutz adressiert. Eine Antwort gebe es aber noch nicht. Man hoffe aber inständig auf eine Klärung.

Abgeordneter Markus Herbrand: „Das Gesetz hat Unschärfen“

Andreas Kläser hatte auch an den Bundestagsabgeordneten Markus Herbrand (FDP) aus Gemünd geschrieben. „Die Unsicherheiten der Energielieferanten bei der Umsetzung der Strompreisbremse ist auch der notwendigen Schnelligkeit in den Krisenzeiten des vergangenen Jahres geschuldet. Das von Bundeswirtschaftsminister Habeck zwangsläufig mit der heißen Nadel gestrickte Gesetz hat offenkundig Unschärfen, die zu offenen Fragen und unterschiedlichen Interpretationen führen“, sagt er.

Als Mittel zum Zweck sei die Preisbremse zwar ohne Zweifel erfolgreich und habe zur finanziellen Entlastung von Millionen Haushalten beigetragen, dennoch müssten Fehler korrigiert werden, so Herbrand: „Wenn das Ministerium davon ausgeht, dass die Stromlieferanten oder Netzbetreiber Sondereffekte wie die Flut in ihren für die Berechnung des Entlastungsbetrags notwendigen Verbrauchsprognosen ausgleichen, muss es diese Erwartungshaltung auch eindeutig gegenüber den Unternehmen benennen.“

Kommt eine Welle von Beschwerden wegen der „falschen Preisbremse“? 

Gleichzeitig sei aber auch gerade von regional tief verwurzelten Energielieferanten mehr Fingerspitzengefühl bei der Rechnungslegung zu erwarten, sagt Herbrand. Die e-regio kenne die Flutfolgen ganz genau.

Durch das Hochwasser zerstörte Stromzähler sowie monate- oder gar jahrelang nicht nutzbare Wohnungen und Häuser führen Herbrand zufolge zwangsläufig zu Schieflagen bei den Verbrauchswerten. „Das hätte auch im vorliegenden Fall unbedingt auffallen müssen, da der Jahresverbrauch plötzlich nur noch knapp 2,5 Prozent früherer Verbrauchswerte entspricht.“

Aus Sicht von Herbrand hätte das Unternehmen „besser mit den besonderen Herausforderungen für Flutopfer umgehen können.“ Er habe das Bundeswirtschaftsministerium um Stellungnahme zum vorliegenden Fall und Handlungsempfehlungen zur Besserstellung der Flutopfer gebeten.

„Möglicherweise lohnt die Prüfung, ob mit der Jahresendabrechnung Versäumnisse ausgeglichen werden können. Alternativ steht der Beschwerdeweg über die Verbraucherzentralen oder Schlichtungsstellen offen, so dass ich zuversichtlich bin, dass für die falschen Preisbremsenberechnungen nachträgliche Kompensationsmöglichkeiten gefunden werden“, so Herbrand.


Ministerium macht wenig Hoffnung

Wirtschaftsminister Robert Habeck hat in dieser Sache auch Post aus dem Kreishaus erhalten – aber bislang nicht geantwortet. Jedoch weist Kreis-Sprecher Wolfgang Andres darauf hin, dass man sich im Vorfeld mit der e-regio und den Nachbarkreisen abgestimmt habe, um gemeinsam vorzugehen. Das Ministerium sei daher von mehreren Stellen angeschrieben worden. Der Kreis Ahrweiler hat im Juni eine Antwort erhalten. Das Ergebnis ist laut Andres unbefriedigend. Unter anderem heißt es in diesem Schreiben, dass im Sinne der „Administrierbarkeit und der raschen, unbürokratischen Entlastung“ keine Einzelfallbetrachtungen möglich seien.

Landrat Markus Ramers ist darüber sauer: „Es ist völlig unverständlich, dass die berechtigten Belange der Menschen in der Flutregion nicht berücksichtigt werden. Die Flut-Katastrophe ist die größte Naturkatastrophe, die die Region je erlebt hat. Insofern hätte man dies bei den Regelungen zur Energiepreisbremse berücksichtigen müssen.“ (tom)

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