19 Jahre war der Reifferscheider Regionaldirektor. Warum er vor 43 Jahren zur AOK kam? Seine langen Haare spielten eine maßgebliche Rolle.
Nach 43 JahrenEuskirchener AOK-Chef Helmut Schneider geht in den Ruhestand und zieht Bilanz

Nach 43 Jahren bei der AOK geht Helmut Schneider in den Ruhestand.
Copyright: Michael Schwarz
Hin und wieder fragt sich Helmut Schneider schon, ob alles auch so gut gelaufen wäre, wenn er vor 43 Jahren wie geplant bei einer Bank gelandet wäre. Wer weiß, womöglich ist auch der Finanzwelt ein Talent verloren gegangen. Doch heute ist es für Schneider klar: So, wie es gelaufen ist, ist es gut. „Ich bin froh, diesen Weg gegangen zu sein“, sagt er.
Ein beruflicher Weg, der den jungen Mann von damals zur AOK in Euskirchen führte – und der nun nach 43 Jahren endet. In dieser Woche geht Schneider, der die Karriereleiter bis zum Posten des Regionaldirektors erklommen hat, in den Ruhestand.
Ausbildungsplatz bei Bank war ihm sicher, doch es kam anders
Das mit der Banker-Laufbahn war wirklich haarscharf damals nach dem Realschulbesuch in Schleiden und der Höheren Handelsschule. Das Vorstellungsgespräch bei der Bank hatte er auch bestanden – die Bank aber nicht bei ihm. „Der Personalchef sagte: ,Herr Schneider, Sie können den Ausbildungsplatz haben, aber an Ihrer Frisur müssen wir noch etwas ändern'“, erzählt Schneider.
Er habe die Haare damals etwas länger getragen, gesteht er. Vielleicht auch etwas zu lang. Nach unzähligen Bewerbungsgesprächen, die er inzwischen von der anderen Seite des Tisches aus geführt hat, begegnet Schneider seinem damaligen Gesprächspartner heute durchaus mit mehr Verständnis als damals.
Natürlich spiele die äußere Erscheinung eine Rolle. Selbst jüngere Kunden, das hätten Zielgruppentests ergeben, gingen lieber zu den Beratern, die Hemd und Sakko trügen statt eines durchlöcherten Shirts.
Ich war immer fasziniert von Menschen, die ein großes Wissen haben. Das fand ich immer klasse.
War es nun ein Hauch jugendlicher Rebellion oder einfach nur die bekannte Eifeler Sturheit? Schneider entschied sich damals zugunsten der Frisur und gegen das Kreditinstitut.
So ging er 1982 auf den Rat eines Freundes hin zur AOK in Euskirchen. Der Bundeswehr und der erfolgreichen Fortbildung zum gehobenen Dienst folgte ein Abendstudium, das er 1993 als Diplom-Verwaltungswirt Sozialwissenschaftliche Fachrichtung abschloss – „aber nicht mit dem Fokus, Karriere zu machen“, stellt der Reifferscheider klar: „Ich war immer fasziniert von Menschen, die ein großes Wissen haben. Das fand ich immer klasse.“
Seiner Laufbahn war das Studium aber keineswegs abträglich. Nachdem 1994 eine Serie von Reformen bei der AOK gestartet war, stieg Schneider rasch in der AOK Euskirchen/Schleiden auf, zunächst zum Leiter der Stabstelle Controlling. „Da kam mir mein Studium natürlich zugute.“
AOK Rheinland-Chef drückte ein Auge zu – und das nicht nur einmal
Fünf Jahre später wurde er Geschäftsbereichsleiter und gehörte fortan der Führung des Hauses an. Doch wie sollte es nun weitergehen? Und wo? In Euskirchen eher nicht.
Der damalige AOK-Rheinland-Vorstandschef Wilfried Jacobs, Fußballfans auch als ehemaliger Präsident von Borussia Mönchengladbach bekannt, hatte nämlich eine Maxime: Zwecks Erfahrungstransfers sollten Regionaldirektoren und deren Stellvertreter bei Amtsantritt immer aus einer anderen Direktion kommen.
Doch keine Regel ohne Ausnahme. Jacobs drückte ein Auge zu, als Jürgen Sauer, der damalige Euskirchener Regionaldirektor, 2004 Schneider als seinen Stellvertreter vorschlug. Schneider hat die Worte des Vorstandschefs noch im Ohr: „Jacobs sagte zu mir: ,Schneider, wir machen das jetzt. Aber wenn der Sauer in den Ruhestand geht, werden Sie in Euskirchen nicht Regionaldirektor.'“
Reifferscheider zieht nach 19 Jahren an der Spitze positive Bilanz
Gesagt, jedoch nicht getan. 2006, so erinnert sich Schneider, trat Sauer erneut in sein Büro: „Jürgen sagte: ,Ich war bei Jacobs, ich gehe im Herbst in den Ruhestand und habe dich als meinen Nachfolger vorgeschlagen.'“ Da drückte Jacobs auch das andere Auge zu.
„Die fast 19 Jahre als Regionaldirektor waren sehr erfüllend und abwechslungsreich für mich – und ich habe mit vielen tollen Menschen zusammenarbeiten dürfen“, bilanziert Schneider heute die Zeit, die nun folgte. Sein Tätigkeitsgebiet wurde im Zuge mehrerer Organisationsreformen öfters durcheinandergewürfelt, der Kreis Euskirchen jedoch blieb immer die Konstante.
2014 wurde er ergänzt durch den Rhein-Erft-Kreis, 2021 durch Bonn und Siegburg, während Rhein-Erft der Regionaldirektion Köln zugeschlagen wurde. Schneiders Arbeitswege von Reifferscheid aus gingen zunächst nach Euskirchen, dann nach Hürth und zuletzt nach Bonn.
Schneiders „Revier“ waren Euskirchen, Bonn und Siegburg
Unter Schneiders Führung betreuen zum Ende seiner beruflichen Laufbahn 98 AOK-Beschäftigte rund 220.000 Versicherte, 64.000 davon im Kreis Euskirchen, also gut ein Drittel aller Einwohner des Kreises. Schneider spricht von ihnen als „Kunden“, denn so will er sie auch behandelt sehen. Wohlwissend, dass der Spagat zwischen der Hilfsbereitschaft erkrankten Menschen gegenüber auf der einen und zumutbaren Kassenbeiträgen auf der anderen Seite nicht immer einfach ist.
„Ich habe meinen Mitarbeitern immer gesagt: ,Wir sind zwar keine Wünsch-dir-was-Institution, aber wenn wir einen Wunsch nicht erfüllen können, müssen die Menschen verstehen können, warum wir ihn nicht erfüllen können.'“ Zumeist liege es ja nicht an den vermeintlich bösen Krankenkassen, sondern daran, dass nicht alle gewünschten Leistungen im gesetzlichen Leistungskatalog stehen.
Eins geht für Schneider gar nicht: den Kunden falsche Hoffnungen machen
„Eine Krankenkasse darf Therapien oder Arzneien nur übernehmen, wenn deren Wirkung wissenschaftlich nachgewiesen ist“, erläutert der Regionaldirektor. Dass ein Kunde, dem eine gewünschte Leistung nicht gewährt werde, nicht in Jubelgesänge ausbreche, sei normal, so Schneider: „Wenn er aber verstanden hat, warum er die Leistung von uns nicht bekommt, dann haben wir einen guten Job gemacht.“ Nur eines dürfe auf keinen Fall passieren: den Kunden mit falschen Versprechen abzuspeisen. „Das fällt uns hinterher garantiert auf die Füße.“
Dieser Grundsatz dürfte auch künftig gelten in einem Gesundheitswesen, das sich rasant entwickelt – und das, so Schneider, effizienter werden müsse. „Deutschland gibt innerhalb der WHO das drittmeiste Geld für Gesundheit aus, ist aber in der Lebenserwartung unter den EU-Schnitt gerutscht“, macht er den Handlungsbedarf deutlich.
Das alles wird er sich künftig von außen anschauen, wenn er nicht gerade joggt, das Enkelkind in Köln besucht oder kocht. Gutem Essen und einem Gläschen Wein sei er nämlich auch nicht abgeneigt, sagt der Reifferscheider: „Ich bemühe mich, gesund zu leben, aber dazu gehört es auch zu genießen.“