FlutprotokolleDie Katastrophe ist für die Menschen im Kreis Euskirchen nicht vorbei

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Ein Mann steht in einem Hof an einer Säge, die durch vieles Arbeiten eingestaubt ist.

Dass er einfach nicht mehr konnte, merkte Karl-Hubert Bonz aus Arloff spät. Sein Arzt diagnostizierte Burn-out.

In den Flutprotokollen erzählen Menschen aus dem Kreis Euskirchen, wie es ihnen geht, wie ihr Stand des Wiederaufbaus ist – und wo der Schuh drückt.

„Die meisten Fassaden sind frisch verputzt und sehen wieder hübsch aus“, sagt Carlos Emunds am mobilen Kaffeebüdchen in Gemünd. Aber hinter vielen dieser Fassaden bröckle es noch, hinter manchen modre es. Inmitten von sanierten Häusern und Neubauten stehen immer noch die, in denen der Wiederaufbau nicht begonnen hat. Und Emunds ist sicher: „Der Lärm der Baustellen wird uns noch einige Jahre begleiten.“

Wie in Gemünd seien die Zustände zwei Jahre nach der Flut auch in Metternich durchwachsen, urteilt Ortsbürgermeister Michael Freiherr Spies von Büllesheim. Manche Metternicher hätten den Ort verlassen.

In Metternich herrscht zuweilen Frust über die Vertröstungen

Viele von ihnen ärgerten sich über den Zustand der Infrastruktur – viel zu langsam laufe etwa die Instandsetzung zweier Brücken. Seit der Flut habe sich dort außer fortwährenden Vertröstungen nichts getan. Aber es gibt auch jeden Tag glückliche Menschen, die wieder zurück in ihr Zuhause ziehen. Oder solche, die gerade die letzten Bauarbeiten beenden.

Die Probleme der Menschen, sagt Carlos Emunds, haben sich ins Private verlagert. Direkt nach der Flut sei der Zusammenhalt groß gewesen. Inzwischen konzentrierten sich die Menschen seiner Beobachtung nach wieder mehr auf sich. Mit den wieder angebrachten Türen sei auch die Privatsphäre zurück in das Leben der Menschen gekehrt. Hinter jeder von diesen kümmere man sich heute einzeln und leise um die Bewältigung der Probleme, die noch da sind – und um die, die jetzt erst auftreten.

In Arloff ist ein Haus nach dem Wiederaufbau wieder nass

„Spätfolgen“ nennen Rosemaria Schmitz und Bernhard Franz aus Arloff-Kirspenich diese Art von Problemen. Eigentlich hatten die beiden mit der Flut schon so gut wie abgeschlossen. Der Wiederaufbau ihres Kellers war abgeschlossen. Vor Kurzem erst hatten sie Urlaub an der Ostsee gemacht. Doch als sie zurückkehrten, merkten sie, dass etwas am Haus nicht stimmte.

An den Außenwänden zeichnete sich Feuchtigkeit ab, um das Haus herum war das Pflaster bis zu 20 Zentimeter abgesackt. Bei einer Kanalbefahrung wurde klar: In einem Rohr ist ein Loch. Von einem Flutschaden sei auszugehen. Um das Haus herum stehe das Wasser nun und sickere in die Hauswand rein. „Unser Haus hat immer noch nasse Füße“, sagt Franz und lacht trotz all der Bauarbeiten, die in den kommenden Monaten noch auf ihn zukommen.

Die Versicherung verlangt von Kaller Familie nun Preissteigerungs-Belege

Damit ihr Haus keine „nassen Füße“ mehr bekommt, hat Birgit Junctorius beim Neubau ihres Hauses in Kall direkt den Keller weggelassen. Nach der Flut musste ihr Heim abgerissen werden. Am 15. Juli 2022 wurde die Bodenplatte für den Neubau gegossen. In vier Wochen finden die gröbsten Bauarbeiten ein Ende und Familie Junctorius kann erst einmal einziehen. Doch so richtig fertig ist das Haus dann noch nicht. Der Balkon fehlt, die Terrasse, die Garage. Auch die Treppe ist noch nicht fertig.

Aber für all diese kleineren Arbeiten fehlt jetzt das Geld. „Wir haben das Ganze nur geschafft, weil wir eine Hausrat- und zwei Lebensversicherungen hatten, die wir uns haben ausbezahlen lassen“, sagt Junctorius. Doch nun ist die Familie am Ende ihrer finanziellen Möglichkeiten angelangt. Und das, obwohl sie gespart hat, wo sie konnte. Mit der Hilfe von Youtube-Videos wurden die Junctorius' selbst zu Handwerkern, den Taschenrechner hatten sie immer im Anschlag. „Zwei Jahre haben wir permanent hin- und hergerechnet“, sagt sie.

Und das tun sie immer noch: „Gerade sind wir mit der Versicherung dran wegen der Preissteigerung unseres Hauses.“ Die sei eigentlich mitversichert gewesen, wurde aber bislang nicht berücksichtigt. Die Versicherung verlange nun, dass Birgit Junctorius die Preissteigerung belege – in jeder einzelnen Position solle sie die Preise von heute mit denen 2021 vergleichen. Junctorius: „Ich kann nicht mehr. Ich habe das jetzt an einen Anwalt gegeben.“ Und: „Alles, was ich mein Leben lang erarbeitet habe, habe ich in dieses Haus gesteckt – und zwar nicht nur ein-, sondern gleich zweimal.

Gemünder Metzger verlor den Betrieb und das Wohnhaus

An zwei Baustellen gleichzeitig arbeitete nach der Flut auch Udo Heck aus Gemünd. Nicht nur seine Metzgerei war von dem Hochwasser betroffen, sondern auch sein Wohnhaus. Das Geld für das Haus zahlte die Versicherung schnell. Doch das Geld für die Metzgerei zu bekommen, das sei ein „Grande Chaos“ gewesen. Heck musste schnell Prioritäten setzen. Deswegen steckte er das Geld für sein Haus in seinen unversicherten Laden, die Lebensgrundlage seiner Familie. Dort ist auch mittlerweile beinahe alles fertig. „Der Laden brummt wieder“, sagt Heck.

Jetzt beginnt der Aufbau seines Privathauses. Für die Bauarbeiten an diesem ist er dann im Umkehrschluss auf die Hilfsgelder angewiesen, die er für die Metzgerei erhält. Doch die fließen nicht. Ständig werde er vertröstet, in den Ämtern würden aus vier Wochen auch schnell einmal zehn. Und immer dann, wenn er gerade dachte, man habe jetzt alles zusammen, dann fehle doch eine Zahl, ein Formular, ein weiteres Gutachten. „Demnächst werden die dicken Rechnungen aus dem Wiederaufbau unseres Privathauses kommen. Und wenn es soweit ist, dann werden wir die so nicht zahlen können“, sagt Heck.

Viel zu kompliziert fand auch Ricarda Hilbich aus Euskirchen die Beantragung der Hilfsgelder. Um die Formulare alle korrekt auszufüllen, sagt sie, brauche man Zeit. Und Zeit war für die Ergotherapeutin in der Wiederaufbauphase grundsätzlich knapp. Überhaupt fühlten sich die vergangenen zwei Jahre an, als habe es sie gar nicht gegeben. Nie sei sie zur Ruhe gekommen. Keine Zeit habe es gegeben zum Nachdenken. „Ich habe nur funktioniert“, sagt sie. Ein Satz, den so viele Betroffene heute äußern.

Die Zeit, in der sie nur funktioniert habe, sagt Birgit Junctorius, habe auch ihre Familie belastet. Man habe aufgehört, miteinander zu reden. Wenn man die Familie zwei Jahre lang hinten anstellt, dann komme Sand ins Getriebe: „Wir wollen in den Urlaub fahren, raus aus dem Ort hier. Und uns um nichts mehr kümmern müssen.“

Karl-Hubert Bonz lebte nach der Flut  im Hamsterrad - bis zum Burn-out

Karl-Hubert Bonz aus Arloff-Kirspenich ist im vergangenen Jahr im Urlaub gewesen, in Griechenland. Aber als er aus dem Urlaub zurückkehrte, merkte er, dass etwas nicht mehr stimmte. Er war müde, lustlos, abgeschlagen. Konnte sich nicht mehr aufraffen: „Ich hatte an nichts mehr Freude.“

Nach der Flut, erinnert er sich ähnlich wie Ricarda Hilbich, sei die Zeit nur so davongeflossen. „Ich lebte wie in einem Hamsterrad“, sagt er: Hohes Anspannungslevel bei der Arbeit bei der Feuerwehr, hohes Anspannungslevel zuhause. Alle Tage seien gleich gewesen. Entspannt habe er sich nie. Und dann, nach dem Urlaub, in dem er endlich zur Ruhe kam, stellte er fest, dass der Modus, in dem er die vergangenen Monate verbracht hatte, nicht gesund war.

Das Reden hat viel geholfen

„Es hat lange gedauert, bis ich mir das eingestehen konnte.“ Er ging zum Arzt. Die Diagnose: Burn-out. Der Arzt habe eine Reihe an Symptomen vorgelesen. Bonz nickte bei den meisten. Der Arzt sagte, das sei ganz normal. Der Feuerwehrmann sei nach der Flut nun in seichteres Gewässer gekommen, der Stress der vergangenen Zeit äußere sich nun auf diese Weise. „Ich habe dann Tablettchen bekommen“, sagt Bonz – Antidepressiva, die den Serotoninspiegel normalisierten. Und er hat angefangen zu reden. Mit der Familie und mit den Kollegen. „Das haben wir bei der Feuerwehr eigentlich ohnehin immer so gemacht, dass wir nach einem Einsatz noch mit einem Bierchen im Geräteraum zusammenkamen.“

Aber vor allem Männer denken ja häufig, man müsse alles mit sich selbst ausmachen. Dabei hilft das Reden ungemein, sagt Bonz. Bei kleinen Spaziergängen mit seinem Hund und bei Gesprächen kam die Freude zurück, sagt er. Es gebe immer noch Tage, an denen er in ein Loch falle. Das seien meistens die Tage, an denen es sowieso etwas dunkler wäre. Dann komme er nur schlecht von der Couch. Aber das komme immer seltener vor.

Die Gemünder Karnevalisten haben trotz allem gefeiert

Wie wichtig miteinander reden, feiern und lachen ist, weiß auch Andreas Mertens von der Karnevalsgesellschaft Rot-Weiß Gemünd. Nachdem das Vereinsheim der Karnevalisten 2021 wegschwamm und mit ihm auch das Vereinsleben zunächst den Bach runter ging, hat sich der Verein mittlerweile neu organisiert.

Trainings finden überall statt: in Kindergärten, Schulen oder Sporthallen. Dass der Karneval in diesem Jahr so trotzdem gefeiert werden konnte, das sei nach Flut und Corona ein großer Trost für die Gemünder Karnevalisten.

Ein verschlammtes Kinderbuch hat Mut und Kraft gegeben

Katja Piontek aus Metternich hat bei den Wiederaufbauarbeiten nach der Flut ein Kinderbuch gefunden: „Mama Muh räumt auf“ heißt es. Es war voll von Flutschlamm, und als sie es durchblätterte, konnte sie nicht aufhören zu lachen. „Ich bin Mama Muh“, sagt sie. „Ich räume bis heute meinen eigenen Stall auf“, ergänzt sie und lacht. Eine Hälfte ihres Gartens ist eine Oase mit Liegestühlen und Brunnen.

In der anderen Hälfte wachsen wilde Blumen um den Schutt. „Diese Hälfte gucke ich einfach gerade nicht an“, sagt Piontek. „Ich hangel mich gerade so durch die Zeit und sage mir oft: Das kriege ich hin.“ Von einer Problemlösung hangle sie sich zur nächsten, erklärt sie. So lebe sie gerade. Piontek: „Wir sind alle noch nicht fertig. Es ist noch was zu tun.“

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