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Schule in KrisenzeitenWas am Mechernicher GAT auch ohne Schüler alles läuft

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Sekretärin Karla Langer hält am GAT die Stellung – und zig mal pro Tag die Tür auf. Am laufenden Band kommen Schüler und Eltern vorbei, um Bücher und Hefte abzuholen, damit zuhause gearbeitet werden kann.

  • Das Mechernicher Gymnasium am Turmhof ist längst von der Corona-Krise betroffen.
  • Schülerinnen und Lehrer sind zuhause, der Unterricht findet nicht mehr im Gebäude statt.
  • Doch Sekretärinnen und der Hausmeister halten die Stellung – und es ist alles andere als ruhig am GAT:

Mechernich – Mittwoch, zehn Uhr zwei. Pausenzeit am Gymnasium am Turmhof. Der Mofa-Parkplatz ist leer, ebenso die Kurzpark-Zone und die Fahrradständer. Wo normalerweise der Verkaufswagen eines örtlichen Bäckers steht, mit einer meterlangen Schülerschlange davor, parkt ein roter Kleinwagen. „Kiss-and-Ride“? – riskant in diesen Tagen. Auch die gläserne Haupteingangstür ist aus Sicherheitsgründen verschlossen.

„Bitte Klingeln!“, steht auf einem Schild am Nebeneingang. „Hereinmarschiert!“, seufzt die Schulsekretärin beim Tür-Aufhalten. Es klingt ergeben. Zum wievielten Mal Karla Langer an diesem Tag ihren Griffel fallengelassen hat, um Schülern oder Eltern Einlass zu gewähren: „Keine Ahnung. Ziemlich oft!“ Es folgt ein genervtes Augenrollen.

Mundschutz und Handschuhe mit Schulbüchern in der Ausgabe

„Englischklausur, Q2“, bittet eine Schülerin, die schnell noch mit hineingehuscht ist und nun hinter dem niedrigen Holz-Tresen wartet, der über Nacht zu einem Bollwerk gegen Viren geworden ist. Karla Langer muss nicht lange überlegen. „Hier, bitte!“ Mundschutz und Handschuhe trägt die Schulsekretärin noch nicht, bittet aber energisch um Sicherheitsabstand, sobald ihr jemand zu nahe kommt.

Nach einiger Zeit im Ausnahmezustand fällt es ihr schwer, Verständnis für die Gelassenheit mancher Mitmenschen aufzubringen. „Corona-Panik?“ Davon seien Eltern und Kinder meilenweit entfernt. „Kaum einer hat den Ernst der Lage so richtig begriffen“, findet sie: „Im Gegenteil.“ Es sei schon paradox: „Die Schule wird geschlossen, alle werden sicherheitshalber nach Hause geschickt und dann spazieren die Schüler hier noch tagelang fröhlich ein und aus.“ Fröhlich wirkt Carolin Schilles nicht wirklich.

Die Neuntklässlerin ist mit ihrer Mutter zum GAT gekommen, um wichtige Bücher und Hefte aus dem Klassenraum zu holen. Weil sämtliche Klassentüren aufgeschlossen wurden, ist das kein Problem. Von ihren Lehrern hat Carolin per E-Mail Aufgaben zugesandt bekommen, die es bis nach den Osterferien zu erledigen gilt.

„Bislang betrifft das nur die Hauptfächer“, sagt die 15-Jährige: „Aber ich denke, die anderen Lehrer melden sich auch noch und dann ist es sinnvoll, wenn ich die nötigen Bücher und Hefte zuhause habe und loslegen kann.“ Die Schülerin der Mittelstufe ist ehrlich: Über die überraschende Auszeit vom Schulalltag habe sie sich zunächst gefreut, genau wie viele ihrer Schulkameradinnen und Kameraden. Mittlerweile wisse sie aber über Ausmaß und Risiken der Pandemie Bescheid und sei extrem beunruhigt: „Zum Freuen ist das überhaupt nicht.“ Carolin deutet auf die ausgestorbenen Gänge, in denen beim Sprechen das Echo hallt und schüttelt den Kopf: „Das ist eher unheimlich.“

Schüler haben Ernst der Lage längst erkannt

Dass seine Schülerinnen und Schüler verunsichert sind, kann Micha Kreitz bestätigen. Als der Direktor des Gymnasiums am Turmhof kurz nach Armin Laschets Pressekonferenz alle Anwesenden ins Foyer rief, um ihnen die Nachricht von der vorläufigen Schließung zu verkünden, blickte er in überwiegend ernste Gesichter.

„Es war eine seltsame Atmosphäre“, erinnert sich Kreitz: „Irgendwo zwischen betretenem Schweigen und aufgeregtem Tuscheln. Absolut kein Vergleich zu der Stimmung, die bei uns am letzten Schultag vor den Ferien herrscht.“ Die ganze Situation habe irreal auf ihn gewirkt und tue dies noch immer: „Tja. Und nun müssen wir jeden Tag aufs Neue sehen, wie es weitergeht.“

Der Direx deutet zum Schreibtisch, auf dem sein PC steht. Die Arbeit dort wird nicht weniger werden, ganz im Gegenteil. Eltern, Schüler, Lehrer, Vorgesetzte – alle wollten täglich Antworten von ihm, und das möglichst rasch. Dazu kommen Online- oder Telefon-Konferenzen mit den Direktoren-Kollegen seines Verwaltungsbezirks. „Jede noch so kleine Entscheidung bedarf stets der Genehmigung durch die übergeordnete Behörde, sprich Düsseldorf“, sagt der Schulleiter. Umständlich, um nicht zu sagen lästig, sei dieser Mailverkehr bisweilen: „Weil man immer erst auf Antwort warten muss.“

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Micha Kreitz wünscht sich in Krisenzeiten mehr Entscheidungsfreiheit: „Wir haben ja alle noch unseren gesunden Menschenverstand.“ Neben dem Bürokratie-Stress habe natürlich auch er stets die Sorge im Nacken: „Was, wenn einer von uns an Covid-19 erkrankt?“ Der Schuldirektor macht ein ernstes Gesicht.

Außer ihm ist nicht nur seine Stellvertreterin Rosemarie Antwerpen weiterhin im Dienst, auch die jeweiligen Stufen-Koordinatoren stehen ihm vor Ort bei, aber: „Selbst das ist eine absolute Gratwanderung, denn auch wir, die hier die Stellung halten, könnten uns jederzeit mit dem Coronavirus anstecken und andere unwissentlich infizieren.“

Einer, der ebenfalls am GAT die Stellung hält, ist Albert Esser – und völlig gegen den Trend ist seine Laune blendend. In Raum 202 steht er am Waschbecken und misst mit dem Zollstock Bohrpunkte aus. Angst vor Corona? „Och...“ Der Hausmeister zuckt die Achseln. Statt Sorge steht ihm Arbeitsfreude ins Gesicht geschrieben. Wann hatte er auch schon mal so viel Zeit, überfällige Reparaturen zu erledigen? Bohren, Hämmern, Stemmen – plötzlich ist alles erlaubt, und zwar jederzeit. „Arbeiten, die Lärm machen, musste ich bislang auf den Nachmittag verschieben“, berichtet Esser und setzt die Bohrmaschine an: „Jetzt habe ich auch morgens schon freie Bahn.“ Auf einem Schülertisch steht sein Werkzeugkasten, daneben liegt ein weißer Kunststoffbehälter. 62 Seifenspender warten auf Montage, ebenso 62 Handtuchhalter. Trotz 47-Stunden-Woche hätte er dafür sicher einen Monat gebraucht, schätzt Esser: „Ohne Unterricht werde ich es wohl in einer Woche schaffen.“ Fensterbauer und Elektriker hätten sich ebenfalls angesagt. Arbeiten, die eigentlich erst im Sommer dran gewesen wären, werden jetzt erledigt.

Vorarbeiten müssen auch die Abiturienten. Nachdem die reguläre Schulzeit um drei Wochen verkürzt wurde, bleibt ihnen nichts anderes übrig, als den fehlenden Stoff zuhause zu pauken. Am GAT betrifft das knapp 70 Schüler der Q2. Stufensprecher Lukas Krüger schildert, dass in der gemeinsamen Whatsapp-Gruppe anfangs Panik geherrscht habe: „Mittlerweile hatten wir aber schon viele Gespräche mit unseren Lehrern und einen Termin bei Herrn Kreitz. Die wichtigsten Fragen haben sich dabei geklärt. Beim Rest können wir nur abwarten.“

Fatal sei die derzeitige Situation vor allem für diejenigen Mitschüler, die noch um ihre Zulassung bangen müssten. „Wer auf der Kippe stand, dem fehlen die drei Wochen im letzten Quartal, um die Endnote zu verbessern. Ob es gereicht hat, werden wir frühestens am 3. April erfahren“, sagt Krüger. Der Tag, an dem eigentlich der Abi-Streich hätte stattfinden sollen. Ob der wohl nachgeholt wird? „Das hoffen wir sehr“, meint der Stufensprecher. Dass ihre Schulzeit einfach so sang- und klanglos vorbei sein soll, können sich die Schüler der Q2 nicht vorstellen: „Unseren letzten Schultag hatten wir schon. Bloß hat das niemand vorher geahnt.“ Dass kann es doch jetzt nicht gewesen sein, hätten im Nachhinein alle gedacht. Auch was die geplanten Feierlichkeiten angeht, tappt die zukünftige Abiturientia im Dunkeln: „Noch hoffen wir, dass der Abiball am 19. Juni stattfinden kann. Veranstalter und Caterer sind total nett und haben uns beruhigt, dass wir eine Lösung finden werden, selbst wenn der Termin sich weiter verschiebt.“

30 000 Euro habe die Stufengemeinschaft für den großen Tag angespart, sag Lukas Krüger. Bedauerlich finden er und seine Mitschüler vor allem, dass die Mottowoche vor den Osterferien ins Wasser fiel: „Das ist schon Mist. Darauf freut man sich die ganze Schulzeit.“ Unverhofft kommt in Corona-Tagen oft, diese Lektion müssen die jungen Leute am Ende der Schullaufbahn nun unfreiwillig lernen. Krüger gibt sich optimistisch. Als tröstlich hätten er und die Mitschüler besonders folgende Worte einer Lehrerin empfunden: „Acht Jahre haben wir nun prima zusammen hinbekommen. Da schaffen wir die letzten acht Wochen auch noch.“

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