Pflegealltag im Kreis EuskirchenMit viel Respekt vor der Würde des Menschen

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Roswitha Kleefuß bei einer Kundin, die durch die Chemotherapie derzeit sehr geschwächt ist.

Roswitha Kleefuß bei einer Kundin, die durch die Chemotherapie derzeit sehr geschwächt ist.

Mechernich – „Jeder Tag ist anders in der Palliativpflege, man weiß nie, wie es dem Patienten geht.“ Roswitha Kleefuß lenkt den weißen Dienst-VW mit der roten Aufschrift „Caritas Pflegedienste“ durch die Sträßchen einer Wohnsiedlung bei Mechernich. Der Morgen ist neblig und kalt, bis zum Mittag hat Kleefuß einige Kunden auf der Liste stehen, nicht alle fallen in die Kategorie Palliativpflege. „Ich werde öfter gefragt, wie ich das aushalten kann, mit sterbenskranken Menschen zu arbeiten“, erzählt die 53-Jährige. „Dabei bekommt man so viel Schönes zurück, die Menschen und ihre Angehörigen sind oft unglaublich dankbar für die Unterstützung“.

Als Erstes parkt Roswitha Kleefuß den Wagen vor dem Haus des Ehepaars Franken (alle Namen der Patienten geändert). Friedrich Franken ist 85 Jahre alt, dement und hat eine nicht heilbare Krebserkrankung. „Heute Nacht war er innerlich gar nicht gut dran“, sagt seine Frau nach der Begrüßung. Unruhig und ängstlich sei er gewesen. „Ich habe ihm eine Tablette gegeben“, sagt seine Frau. Alle Palliativpatienten sind ausgestattet mit einer Notfallbox. Darin Medikamente gegen Schmerzen, Angst und Atemnot, die schnell Linderung verschaffen.

Wahrung der Selbstständigkeit

Friedrich Franken wird heute gewaschen. Dabei achtet Roswitha Kleefuß darauf, dass der Senior so viel wie möglich alleine bewerkstelligen kann: Hände und Gesicht waschen, das Gebiss einsetzen. Geduldig sitzt sie neben dem alten Herrn und greift nur ein, wenn es nötig ist.

Die Würde der Menschen, auch oder gerade wenn sie am Ende ihre Lebens stehen, wird sehr hoch gehängt in der Palliativversorgung. „Dafür haben wir auch einen größeren zeitlichen Spielraum als bei der normalen Krankenpflege“, sagt die Pflegerin.

Möglichst viel Lebensqualität erhalten

Schwerstkranke sowie Sterbende haben einen Anspruch auf palliative Versorgung – zu Hause, im Krankenhaus, im Pflegeheim oder im Hospiz. Sie ist eine Kassenleistung und somit für den Betroffenen und seine Angehörigen kostenfrei. Ziel der Palliativmedizin ist, die Folgen der Erkrankung zu lindern, insbesondere Schmerzen, Atemnot, Übelkeit und Angst, um möglichst viel Lebensqualität zu erhalten.

Bei der ambulanten Palliativversorgung werden die Patientinnen und Patienten in ihrer häuslichen Umgebung versorgt – medizinisch wie pflegerisch. Der Ausbau ambulanter Palliativversorgung in den letzten Jahren entspricht dem wachsenden Wunsch vieler, am Ende ihres Lebens in der vertrauten Umgebung und in der Nähe der Angehörigen zu bleiben. (hn)

Im Nebenraum nutzt Hanne Franken die Gelegenheit, in Ruhe zu frühstücken. Sie ist spürbar am Rande ihrer Kräfte, kämpft mit der Frage, ob ihr Mann in einem Pflegeheim besser aufgehoben wäre. „Wir sind 52 Jahre verheiratet, ich habe versprochen, mich bis zum Ende um ihn zu kümmern“, sagt die 81-Jährige. Die Pflege durch die Caritas sei eine große Hilfe: „Freundlich und respektvoll, niemand behandelt meinen Mann wie ein hilfloses Baby.“

Seit zehn Jahren arbeitet Roswitha Kleefuß, examinierte Krankenschwester mit der Zusatzqualifikation „Palliativpflege“, für die Caritas Eifel. „Und ich habe immer noch Spaß an dieser Arbeit“, versichert sie. Die Nähe zu den Menschen, das Eingebundenwerden in die Familien – all das gefalle ihr gut. Nur manchmal komme auch sie an ihre Grenzen. „Wenn es einem selber nicht gutgeht, packen einen die Geschichten der Menschen doch mehr an als im Normalfall.“ Vor allem jüngere Kunden, die nur noch wenig Lebenszeit hätten. „Ich habe im Laufe der Jahre gelernt, anders mit dem Tod und dem Sterben umzugehen. Und wenn es dann doch mal zu sehr in einem knabbert, bekommen wir Supervisionsstunden.“

„Die letzten Tage streichen wir besser aus dem Kalender“

Und was hilft ihr sonst, nach Feierabend auszuspannen und das Leid nicht mit sich herumzutragen? „Freunde und Familie sind die größten Stützen, aber auch Zeit mit dem Hund in der Natur. Das ist Auszeit, die ich auch brauche.“

Am Ende der heutigen Tour steht der Besuch bei Kathi Soller auf dem Plan. Die Mittsiebzigerin hat erst vor wenigen Wochen die Diagnose Bauchspeicheldrüsenkrebs erhalten. „Die letzten Tage streichen wir besser aus dem Kalender“, antwortet sie auf die Frage, wie es ihr denn nach der ersten Chemotherapie ergangen sei.

Medikamente für eine Woche

Mit Hilfe von Roswitha Kleefuß geht es heute unter die Dusche – für die alleinlebende Frau ein Kraftakt. Erschöpft legt sie sich im Anschluss wieder in ihr Bett. Für die Pflegekraft heißt es jetzt noch, Medikamente für die nächsten sieben Tage stellen. Kleefuß drückt eine Pille nach der anderen aus den Blisterverpackungen, vergleicht die Gaben mit den Angaben des betreuenden Arztes und sorgt auch mit einem Anruf in der Praxis für den nötigen Nachschub. „Bei neuen Kunden wie Frau Soller müssen wir uns langsam herantasten, nicht einfach etwas überstülpen. Was braucht dieser Mensch? Was lässt er zu? Das findet man erst mit der Zeit heraus.“

Die Pflege-Serie

Im Zuge der Corona-Pandemie erfahren Pflegekräfte mehr Aufmerksamkeit als gewöhnlich. Dennoch: Die Arbeit ist anstrengend, belastend und leider auch nicht gut bezahlt. Manche Beschäftigte geben ihren Beruf deshalb auf und verstärken so die Personalnot der Branche.

Einigen der Protagonisten, die sich dennoch für einen Beruf in der Pflege entscheiden oder aber als pflegende Angehörige im Einsatz sind, schauen wir in unserer Serie, die in loser Folge erscheint, über die Schulter. Wie meistern sie ihre Aufgaben? Was sind die besonderen Herausforderungen in ihrem Alltag? Und welche Verbesserungen würden sie sich wünschen?

Und wir fragen Experten, wie sie die Situation der Pflege im Kreis Euskirchen jetzt und in der Zukunft einschätzen, was sie bemängeln oder gutheißen.

Respekt vor der Eigenständigkeit und Selbstverantwortung eines jeden Menschen gehört unabdingbar dazu, wenn man in der Pflege arbeitet. „Man muss alles, was man da tut, vor sich selber ethisch-moralisch vertreten können“, meint Kleefuß, die im Laufe der Jahre viele Menschen hat gehen sehen. „Es ist bemerkenswert, wie unterschiedlich Menschen sterben. Die einen gehen fast gerne, weil es ihnen reicht, die anderen wehren sich bis zum letzten Atemzug.“

Empathie und Geduld sind Grundvoraussetzung

Was Voraussetzung sei, um den Beruf als Pflegerin und insbesondere als Palliativ-Pflegerin gut ausfüllen zu können? Kleefuß muss nicht lange überlegen: „Eine Menge Empathie und Geduld, aber auch eine wertschätzende Haltung“, sagt sie. „Und zwar gegenüber den Patienten genauso wie gegenüber sich selber.“

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Und dann heißt es für die 53-Jährige ab in den Feierabend. „Meist gehe ich mit dem schönen Gefühl nach Hause, etwas Gutes und Sinnvolles getan zu haben“, sagt Roswitha Kleefuß und lacht. „Ich finde, ich habe einen tollen Beruf.“

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