Nach der FlutZweites Traumazentrum in Gemünd eingerichtet

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Die Räume, die mit Werken von Jürgen A. Röder gestaltet sind, nahmen Julia Blank (v.l.), Hermann-Josef Esser, Ingo Pfennings und Björn Hoff in Augenschein.

Schleiden-Gemünd – Die Aussicht über die Urft und das abendliche Gemünd ist von dem kleinen Wintergarten aus bezaubernd. „Wir haben uns hier sehr wohl gefühlt“, sagt Jakob Schwingenheuer. Bis zu dem Abend, über den er nicht sprechen will, um nicht wieder alte Wunden aufzureißen. Der Abend des 14. Juli 2021. Jetzt wollen er und seine Frau nicht mehr zurück in ihr Haus an der Bergstraße, das sie so geliebt haben. Stattdessen ist dort nun ein Traumazentrum für Kinder und Jugendliche eingerichtet.

Wer auf die Wände des Hauses blickt, sieht die tiefen Spuren, die das Wasser hinterlassen hat. Hier, am Anstieg zum Kermeter, stand das Wasser im Erdgeschoss etwa einen Meter hoch. Die Schäden sind beseitigt, strahlend weiß und makellos die Wände.

Bilder von Jürgen A. Röder an den Wänden

Es sind Fotos der Zerstörungen und die Bilder der Ausstellung von Jürgen A. Roder, die bei der Flut im Kunstforum Eifel zerstört wurde. Sie schmücken die Flure und Räume des neuen Traumazentrums, das nun im „Atelier Gemünd“ an der Bergstraße 3 eröffnet wurde.

Konkurrenz in Gemünd?

Unterschiedlicher Ansatz

Zwei Traumazentren arbeiten nun in Gemünd. Das bedeute keine Konkurrenz, betonen beide Seiten. „Das Hilfszentrum betreut Eltern und Erwachsene, wir hier Kinder und Jugendliche“, so Björn Hoff.

Viele Gespräche

„Der Ansatz, mit dem im Atelier Gemünd gearbeitet wird, ist ein anderer“, erläutert auch Axel Rottländer, Koordinator der Fluthilfe beim Malteser Hilfsdienst. Im Hilfszentrum werde ausschließlich mit flutbetroffenen Erwachsenen gearbeitet. „Die Kooperation hat bis jetzt funktioniert, wir tauschen uns gegenseitig aus und vermitteln auch Betroffene“, fährt er fort. „Das Konzept, mit dem im Atelier Gemünd gearbeitet wird, geht nur so, wie die das gemacht haben“, sagt Frank C. Waldschmidt, Leiter der psychologischen Unterstützungsangebote für Flutbetroffene und Einsatzkräfte des Malteser Hilfsdienstes. Im Vorfeld seien viele Gespräche geführt worden.  

Ein Verbund

Auch wenn die beiden Organisationen Malteser Werke und Hilfsdienst streng genommen getrennt seien, so sei das doch ein Verbund, betont Rottländer. „Aus unserer Sicht sind wir alle Malteser“, sagt er. (sev)

Damit ist neben dem Hilfszentrum Schleidener Tal, das rund 200 Meter weiter in Richtung Kall residiert, eine weitere Stätte entstanden, die sich den Traumata der Flutopfer widmet. Träger der neuen Einrichtung sind die Malteser Werke, ein anderer Teil der großen Malteser-Familie als der Hilfsdienst, der sich im Interkommunalen Traumazentrum engagiert.

Im Atelier wird mit Kindern und Jugendlichen gearbeitet

Konzentrieren werden sich die Mitarbeiter in der neuen Einrichtung auf Kinder und Jugendliche. „Wir bieten Räume, in denen man sich Dinge traut“, beschreibt es Traumatherapeutin Julia Blank. Wichtig sei, Sicherheit zu schaffen – etwa mit Musikmachen und Malen.

Mit sieben Jugendlichen aus der Jugendhilfeeinrichtung „Villa Vida“ aus Nideggen waren Blank und Einrichtungsleiter Björn Hoff direkt nach der Flut in Gemünd, um anzupacken und Schlamm zu schippen. Dabei halfen sie auch in dem Haus, in dem sie nun ihr Zentrum eröffnen. „Bereits zwei oder drei Tage nach der Flut hat der Besitzer uns das Haus zur Miete angeboten“, berichtet Hoff. Für die Jugendlichen sei die Aufräumhilfe eine wertvolle Erfahrung gewesen. „Einer hat gesagt, er habe noch nie so viel gelernt, wie in dieser Zeit“, erinnert sich Blank.

Mittel aus Aktion „Deutschland hilft“ finanzieren die Arbeit

Schon kurz nach der Flut seien sie gebeten worden, sich um traumatisierte Kinder zu kümmern, die teils völlig verängstigt nur noch unter dem Schreibtisch saßen. „Ich habe das als Therapeutin noch nie so offen erlebt, das ging von psychologischer Ersthilfe bis zu langfristiger Therapie“, so Blank.

Die Kinder seien ängstlicher, verschlossener und achteten wegen der erlittenen Verluste stärker auf die Eltern. Albträume, Schlafstörungen, Panikattacken und Dissoziationsstörungen seien immer noch zu beobachten. Rund 20 Gemünder Kinder und Jugendliche werden derzeit von der Einrichtung betreut. Finanziert wird die Arbeit durch Mittel der Aktion „Deutschland hilft“, die für drei Jahre bewilligt sind.

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Das Interesse an der Eröffnung des Zentrums war groß.

Unter Beteiligung vieler Interessierter und der Bürgermeister von Kall und Schleiden, Hermann-Josef Esser und Ingo Pfennings, wurde das „Atelier“ feierlich seiner Bestimmung übergeben und von Pfarrer Dirk Voos eingesegnet. Die Eröffnungsrede hielt Prof. Dr. Marcel Marburger von der FH Dortmund, dem es gelang, keinmal die Worte Trauma, Flut oder Gemünd zu verwenden.

Pläne für die Mastertmühle bei Anstois

Im Zuge der Eröffnung präsentierte Jakob Schwingenheuer, von Beruf Architekt, Pläne für eine neue Jugendhilfeeinrichtung. „Ich habe bereits oft an der Revitalisierung von Häusern gearbeitet“, sagte er. Für die Malteser Werke sei er auf die Suche nach passenden Immobilien gegangen. Eine ist die Mastertmühle in Anstois, für die schon eine konkrete Planung vorliegt.

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Das Konzept für die Mastertmühle zeigte Jakob Schwingenheuer. 

In Anwesenheit der Besitzer der Mastertmühle führte Schwingenheuer mittels Zeichnungen und Modell vor, wie in der Anlage Wohnräume für Jugendliche, für Betreuer, aber auch die notwendigen Nebeneinrichtungen untergebracht werden könnten. Diese Planungen seien durchaus konkret, bestätigte Hoff: „Bisher gibt es nichts, was der Realisierung entgegensteht.“

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Das Team des „Atelier Gemünd“ beantwortet Fragen per E-Mail. Geöffnet ist das neue Traumazentrum, Bergstraße 3, dienstags, mittwochs und donnerstags von 14 bis 19 Uhr. Dienstags von 16 bis 19 Uhr wird eine Beratung angeboten, donnerstags von 16 bis 19 Uhr ein Kickertreff. Kurse, Projekte und Gruppenarbeiten werden angekündigt. Geplant ist ein Kickerturnier am 26. November in Gemünd an mehreren Orten. 

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