Der Hilfs- und Beratungsbedarf der Flutbetroffenen im Schleidener Tal ist deutlich gesunken. Daher schließt das Hilfszentrum in Gemünd.
Mehr als vier Jahre nach der FlutDas Hilfszentrum Schleidener Tal schließt zum Jahresende

Nach den Zerstörungen durch die Flut standen viele Menschen vor einem Berg schier unlösbarer Probleme. Im HIZ haben zahlreiche Organisationen ihre Kräfte gebündelt, um den Betroffenen unter einem Dach verschiedene Hilfen geben zu können.
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Dem Schrecken der Nacht folgt im Morgengrauen die Erkenntnis, dass die Heimat zerstört ist. Das Zuhause, das gewohnte und sichere Umfeld – alles liegt in Schlamm und Trümmern. Nach der Flutkatastrophe ist schnell klar, dass die Menschen auf ganz verschiedenen Ebenen Hilfe benötigen und sie wohl kaum die Zeit und Nerven haben, dafür von Pontius zu Pilatus zu laufen. Es entsteht die Idee, die Kräfte und Kompetenzen an einem Ort zu bündeln. Mit dem Hilfszentrum Schleidener Tal (HIZ) gelingt der große Wurf.
Gut vier Jahre arbeiten verschiedene Institutionen seit Anfang Dezember 2021 an der Kölner Straße in Gemünd Hand in Hand unter einem Dach: Malteser, Caritas und Diakonie, Awo und DRK, Stadt und Kreis. Nun schließt das Zentrum zum Jahresende seine Pforten. „Was bleibt, sind Freunde im Leben“ heißt es im Song, der in den Nach-Flut-Wochen in Gemünd und seitdem bei allen Helfertreffen rauf und runter läuft. So weit würden die HIZ-Protagonisten nicht gehen. Doch sie alle werden nicht müde zu betonen, dass jetzt keinesfalls jeder wieder nur sein Ding machen wolle. Vom Leuchtturmprojekt ist oft die Rede. Von einem Musterbeispiel. Immer wieder von Vertrauen.
Alleine die Psychologen haben in Gemünd fast 5000 Gespräche geführt
Das Vertrauen ineinander, das die Akteure gewonnen haben, ist wohl der entscheidende Faktor für den Erfolg. Denn in Zahlen aufrechnen lässt er sich nicht. Was auch daran liegt, dass man keine Strichlisten geführt hat. Wie viele Gespräche im HIZ geführt worden sind, ist nicht bekannt. Alleine in der Interkommunalen Psychosozialen Unterstützung (IPSU) sind es laut Schleidens Bürgermeister Ingo Pfennings fast 5000 gewesen, was ihn zu dem Schluss kommen lässt: „Aus dem Bauch sind es weit mehr als 10.000 Gespräche gewesen.“
Gerade in der Psychosozialen Unterstützung berichtet Wolfgang Heidinger (Malteser) von einem enormen Bedarf. Durch finanzielle Förderung des Landes wurde der Einsatz von fünf Psychologen gedeckt. Die Folgefinanzierung in diesem Jahr ermöglicht zwei Psychologen an drei Tagen pro Woche vor Ort. Sie betreuen laut Heidinger 157 Menschen in 450 Einzelgesprächen. In dem Haus gibt es aber mehr als Hilfe für die Seele. Durch Angebote wie das Café Lichtblick und den Spielenachmittag ist es eine Anlaufstelle für viele geworden, deren angestammte Treffpunkte das Wasser zerstört hat.

Vom Hilfszentrum Schleidener Tal in Gemünd verabschieden sich die Verantwortlichen.
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Beratung und Unterstützung zu den Hilfsangeboten sowie deren Vernetzung ist eine wesentliche Säule des HIZ, ebenso der Umgang mit Versicherungen. Vielfach in Anspruch genommen wird die Antragsberatung zur Fluthilfe. Hierzu gewinnt der Kreis auch „alte Recken“, die eigentlich im Ruhestand sind. Karl-Georg Hardy wird so zu einem der Berater im HIZ. Deren Wert ist laut Pfennings nicht hoch genug zu werten: „Das Vertrauen muss da sein. Man macht sich ja blank beim Antrag. Für viele ist das auch die Vorstufe der Therapie, weil sie zum ersten Mal alles erzählen.“
Auch jetzt werden noch Erstanträge auf Fluthilfe gestellt
Seit Juli ist der Kreis nicht mehr vor Ort vertreten, bietet die Beratungen nach Terminabsprache an, wie Heike Schneider berichtet: „Der Bedarf ist nicht mehr groß – Gott sei Dank.“ Auf Null ist er indes nicht. Elisabeth Frauenkron (Awo) und Dorothee Meidling (Diakonie) schildern Fälle, in denen erst jetzt Erstanträge auf Fluthilfe des Landes gestellt werden. „Sie haben den Wiederaufbau in Eigenregie versucht. Doch es hat nicht funktioniert, jetzt kommt der Schimmel wieder durch“, nennt Meidling Beispiele für Menschen, die nun doch Mittel aus dem Fluthilfefonds beantragen und für die ein bis zwei Fälle pro Woche sorgen, die aktuell bearbeitet werden. Bis zum 30. Juli 2026 können noch Erstanträge gestellt werden.
Beratung ist derzeit vor allem nach abgeschlossenem Wiederaufbau bei der Erstellung der Verwendungsnachweise erforderlich. Oder finanzielle Hilfe, wenn die Eigenmittel von 20 Prozent nicht aufgebracht werden können. Und einige Fälle sind so komplex und schwierig, dass sie schlicht ein Fall für Rechtsanwälte und Gerichte sind, nicht jedoch für die Berater im HIZ. Insgesamt ist der Bedarf also deutlich rückläufig, wodurch es zu dem Entschluss gekommen ist, das HIZ dicht zu machen. „Irgendwann muss der Sprung in die Normalität sein und jeder in seine Strukturen zurückfinden“, formuliert es Pfennings.
Die Hilfe der Organisationen im Schleidener Tal endet nicht
Die Hilfe der einzelnen Organisationen endet deswegen nicht, jedoch ist der große Vorteil des „alles unter einem Dach“ ab dem kommenden Jahr weg. An der Aachener Straße 13 in Gemünd bietet die Awo auch in den kommenden zwei Jahren Fluthilfeberatungen an für Betroffene aus dem Kreis Euskirchen, dem Rhein-Erft-Kreis und aus Stolberg. Ebenso werden Projekte initiiert.
„Wir machen weiter und sind mit 1,5 Vollzeitstellen am Start“, sagt Ute Stolz für die Caritas. Neben Beratungen werden Psychosoziale Unterstützungen angeboten und Projekte initiiert, in denen die Menschen zusammenkommen können. Für die Diakonie ist der Quartiersmanager bis zum Sommer in Gemünd aktiv, um Angebote zu bündeln und zu gestalten – in Kooperation mit Caritas und Awo, wie Malte Duisberg (Stiftung evangelisches Altenheim / Diakonie) berichtet: „Wir versuchen, wieder ein normales soziales Leben zu gestalten.“
Nicht zu unterschätzen dürfte der Lerneffekt sein, gerade vor dem Hintergrund, dass eine Zusammenarbeit wie im HIZ vor der Katastrophe wohl nicht denkbar gewesen wäre. „Die Flut hat unser Denken verändert“, sagt Duisberg: „Vorher haben wir nur in Projekten gedacht. Jetzt fragen wir, mit wem wir sie zusammen machen.“ Er schaut auf die personelle und finanzielle Entwicklung und schlägt vor, die Gunst der Stunde zu nutzen: „Wir werden zusammenarbeiten müssen. Jetzt haben wir die Chance, etwas einzustielen, was in fünf oder zehn Jahren vielleicht ohnehin kommt.“
Lehren aus der Katastrophe werden vielfältig genutzt
Lehren aus der Katastrophe werden auf unterschiedlichsten Ebenen gezogen. Die Erfahrungen der Menschen in den Flutgebieten fließen nicht nur lokal, sondern auch überregional in neue Konzepte ein. Auch wenn alle hoffen, dass sich derartige Katastrophen nicht wiederholen und schon gar nicht der Fall eintrifft, dass die Konzepte der zivil-militärischen Zusammenarbeit greifen müssen, sind alle bemüht, bestmöglich vorbereitet zu sein.
Klassischer Katastrophenschutz ist dabei nicht das Einzige. Wie Wolfgang Heidinger von den Maltesern berichtet, werden die Konzepte zum Krisenmanagement deutlich langfristiger gedacht. Nach der Akuthilfe etwa in den ersten drei Wochen, in der vor allem die Blaulichtorganisationen gefordert sind, wird auch konzipiert, was nach Monaten und Jahren erforderlich sein kann.
Auch die Bevölkerung spielt eine wichtige Rolle. „Die Bürger müssen sich darauf vorbereiten, dass der Staat mal drei Tage nicht helfen kann“, sagt Heidinger. Hier will die Stadt Schleiden ihre Bürger ganz praktisch mit einer Broschüre zur Krisenvorsorge unterstützen, in der etwa Tipps zur Bevorratung enthalten sind. Die verteilt sie mit Post, die keiner mag: den Gebühren- und Abgabenbescheiden Anfang des Jahres.
Zivile Verteidigung ist im Stellenplan der Stadt erstmals mit einer halben Stelle zu finden – zur Vorbereitung auf etwas, das hoffentlich nie kommt, so Bürgermeister Pfennings. Zudem ist aus den Erkenntnissen der Flut ein Leitfaden erstellt worden, was im Falle eines Falles zu tun ist.
Tipps zur Vorsorge hat auch das Bundesamt für Bevölkerungsschutz und Katastrophenhilfe online zusammengestellt.

