WohnprojektNach Café Insel plant Euskirchener Caritas nun eine Demenz-WG in Weilerswist

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Brunhilde Lambertz und Veronika Groothe sitzen im Demenzcafé in Euskirchen eng beieinander.

Durch die wöchentlichen Treffen im Café Insel haben sich die 93-jährige Brunhilde Lambertz (l.) und die 68-jährige Veronika von Groothe (r.) angefreundet.

Von etwa 15.000 pflegebedürftigen Menschen im Kreis sind etwa 5000 dement. Einige von ihnen tauschen sich regelmäßig im Café Insel aus.

Was Demenz bedeutet, das verstehe man erst richtig, wenn es jemanden trifft, der einem nahesteht, sagt Brunhilde Lambertz. Lambertz ist 93 Jahre alt und hat erlebt, wie eine ihr bis dahin unbekannte Krankheit ihr leise und in kleinen Schritten ihren Mann nahm.

Mit dem Begriff „Demenz“ wurde Lambertz das erste Mal auf einer Busreise durch die polnischen Berge konfrontiert. Da wurde ihr Mann plötzlich trotzig und konfrontativ. Zu viel Wald sei ihm das alles gewesen. Er habe jetzt doch keine Lust mehr auf Berge und Polen und Bus, habe er ständig wiederholt.

Und eines Abends habe er nur noch so dagesessen – mit einem „ganz schiefen Gesicht“, sagt Lambertz. Sie selbst hatte befürchtet, das sei ein Schlaganfall. Doch eine Frau, die am gleichen Tisch saß, sagte, das sei alles typisch für eine Demenzerkrankung. Was das war, das wusste sie nicht. Früher, so sagt sie, sei diese Diagnose zwar noch nicht so üblich gewesen, das Krankheitsbild aber sehr wohl bekannt: „Wir haben damals gesagt, jemand ist plemplem.“

Der Zustand des Demenzerkrankten verschlechtert sich stufenweise

Nach dem Urlaub verschlechterte sich der Zustand ihres Ehemannes weiter. Er habe neben die Toilette und in die Hose gemacht. Habe stundenlang auf der Eckbank in der Küche neben dem Fenster gesessen und aus dem Fenster geschaut. „Er hat dort Gespräche geführt – mit Gertrud, seiner ersten Ehefrau. Ich habe das einfach nicht kapiert“, sagt Lambertz.

Eines Nachmittags ist er aufgestanden, hat seinen Stock genommen und hat alle Bilder an der Wand kaputtgeschlagen. „Die Personen auf den Bildern hätten ihn so feindselig angestarrt, erklärte er mir“, sagt Lambertz. In den Nächten habe er begonnen, herumzulaufen. Regelmäßig fiel er die Treppe hinunter, verletzte sich. Manchmal, wenn sie schlief, sei er auch hinausgegangen – an die Erft.

Inzwischen ist ihr Mann gestorben. Heute lebt Brunhilde Lambertz allein – in einer Mietwohnung in Bad Münstereifel. Sie ist elegant gekleidet, trägt ein faltenfreies Hemd, eine Jacke in Leoprint-Optik und eine feine Halskette. Gute Kleidung ist ihr Steckenpferd. Ihr ganzes Leben lang hat sie Kleidung genäht – für sich und für ein paar Mark nach dem Krieg auch für fremde Leute. In ihrem Appartement steht bis heute eine Nähmaschine. 

Mit der Einsamkeit kam auch das Grübeln

Doch ansonsten sei ihre Wohnung sehr leer. Sie nähe kaum noch, und auch den Fernseher könne sie schon seit vielen Jahren nicht mehr einschalten. Brunhilde Lambertz erzählt, dass sie den Krieg im Ruhrgebiet miterlebt hat. Sie erinnert sich an die Bomben, daran wie ihr Herz stolperte und für immer aus dem Rhythmus kam. Und an die Stunden in den Bunkern.

„Wenn heute etwas im Fernsehen brennt, oder ich in den Nachrichten die Raketen fliegen sehe, dann ertrage ich das nicht.“ Es sei auch völlig egal, ob es sich dabei um Nachrichten, Dokumentationen oder Filme handle. „Der Krieg bleibt in einem, den kriegt man nicht mehr raus“, sagt sie.

Selbst wenn der Fernseher ausbleibe, kreisten bei ihr im Kopf nachts noch manchmal die Flieger. Weil Lambertz viel alleine ist, sitzt sie häufig in ihrem Zimmer und hängt Gedanken nach. Morgens und abends bekommt sie Besuch von einer Pflegeschwester. „Sogar die hat gesagt, Frau Lambertz, Sie grübeln zu viel.“ In diesem Kontext sei auch das Wort „Demenz“ gefallen. „Da habe ich mich richtig erschrocken“, sagt sie.

Das Demenzcafé in Euskirchen bietet „Auszeit“ für pflegende Angehörige

An einem weihnachtlich geschmücktem Tisch sitzen die Besucherinnen des Demenzcafés in Euskirchen.

Wenn Veronika von Groothe (l.) eine Anekdote erzählt, dann lachen die anderen Besucherinnen.

Um weniger zu grübeln, und mehr unter Leute zu kommen, besucht Lambertz einmal wöchentlich für ein paar Stunden die Begegnungsstätte Café Insel der Caritas in Euskirchen. Dort wird zweimal wöchentlich ein lockeres Zusammensein für demenziell Erkrankte ermöglicht. Für pflegende Angehörige ist das Café eine Möglichkeit, ein paar Stunden Zeit „für sich“ zu bekommen. Für die Besucher der Begegnungsstätte bedeutet das Angebot: Abwechslung vom Alltag.

Eine Demenzerkrankung ist nicht selten. Im Jahr 2021 waren im Kreis Euskirchen 15.486 Menschen pflegebedürftig, informiert Martin Jost, Vorstandsvorsitzender der Caritas in Euskirchen. 4329 davon hatten eine Demenzerkrankung.

Manche von Ihnen würden noch zu Hause betreut, bei anderen sei die Krankheit schon so weit fortgeschritten, dass ein vollstationärer Aufenthalt erforderlich sei. Doch gebe es auch eine große Gruppe dazwischen. Menschen, die zwar bereits stark erkrankt seien, aber dennoch Kontakt zur Außenwelt brauchten und einen Willen zur Mitgestaltung zeigten.

Demenz-WG in Weilerswist soll Alternative zu stationärem Aufenthalt bieten

Für diese Menschen wird es laut Jost zusätzlich zu dem bestehenden Betreuungsangebot eine Demenz-WG in Weilerswist Süd geben:  „Eine Alternative zur stationären Einrichtung – aber mit dem Vorteil, dass die Bewohner ihren Alltag mitbestimmen.“ In großen Gemeinschaftsräumen könne dann miteinander gesungen und gekocht werden. Die Demenzkranken würden zudem dadurch, dass alle Veranstaltungen in ihrem Wohnbereich stattfänden, dazu animiert, an allem teilzunehmen.

„Ich glaube, so eine WG fände ich gut“, sagt Brunhilde Lambertz. „So lange jeder sein eigenes Zimmer bekommt“, ergänzt sie. Bei ihren Besuchen im Café Insel gehe es auch ihr hauptsächlich darum, sich mit anderen Leuten auszutauschen und ihren Tag zu gestalten.  Das sei ihr das Wichtigste. 

Eine ältere Frau trägt Tracht und spielt auf dem Akkordeon.

Zu besonderen Anlässen gibt es im Café Livemusik.

Das Einzige, was die 93-Jährige stört, ist, dass die Treffen nach zwei Stunden schon wieder vorbei sind. „Ich bin gerade mit den Menschen warm geworden, dann werde ich schon wieder abgeholt.“ Ihre Tischnachbarin Veronika von Groothe nickt. 

Mit dem Eintritt in die Rente tut sich ein großes Loch im Alltag auf

Veronika von Groothe ist 68 und lebt mit ihren zwei Katzen Tiger und Trixie in einer Euskirchener Dachgeschosswohnung. Von 1977 bis 2021 hat sie in der Verwaltung in Zülpich gearbeitet. Als von Groothe plötzlich nicht mehr jeden Morgen aufstehen musste, um zur Arbeit zu fahren, fiel sie in ein tiefes Loch. Sie habe angefangen, alle möglichen Dinge zu sammeln, habe ihre Wohnung vernachlässigt: „Ich gebe es zu, ich war ein Messi“, sagt sie. 

In ihrem Alltag war von einem auf den anderen Tag niemand mehr da, mit dem die quirlige Frau mit den kurzen Haaren und dem pinken Pullover sprechen konnte. Dabei hat sie viele Geschichten auf Lager. Zum Beispiel die, dass sie ohne Schilddrüse zur Welt kam, was sie zu einem beliebten Studien-Objekt an Unikliniken gemacht habe. Veronika von Groothe lacht – und immer wenn sie lacht, dann lachen die anderen auch. Es gehe ihr heute besser. Weil sie ab und zu „rauskommt“. Bleibe sie zu viel zu Hause, werde ihre Sammelsucht aber wieder schlimmer.

Die Besucherinnen des Demenzcafés sitzen gemeinsam an einem weihnachtlich geschmücktem Tisch.

Die Gruppe singt gemeinsam, bastelt, isst Kuchen, feiert Weihnachten und Karneval.

Neben Veronika von Groothen und Brunhilde Lambertz sitzen noch drei weitere Frauen im Café. Eine der Frauen erzählt ein paar Witze und spricht dann eine Weile gar nicht mehr. Eine andere verliert beim gemeinsamen Singen ab und zu die Zeile auf dem Liederblatt und schaut dann einfach freundlich in die Runde.

Pflegebereitschaft ist in Familien mit Migrationshintergrund höher

Die Frauen, die ins Café Insel gehen, tragen alle deutsche Nachnamen. „Wir hatten hier in dem Demenzcafé noch nie eine Anfrage einer Person einer anderen Religion oder eines anderen Kulturkreises“, sagt Koordinatorin Martina Michalek. Dabei sei jeder willkommen.

Martin Joost sagt, das liege daran, dass die Pflegebereitschaft in Familien mit Migrationshintergrund häufig viel größer sei als in deutschen Familien. Das zeige sich auch in anderen Bereichen, etwa der Sozialpsychiatrie. In Deutschland habe es sich dahin entwickelt, dass die Menschen eher bereit sind, Pflegeverantwortung abzugeben.

Häufig holen Angehörige sich erst Hilfe, wenn sie ausgebrannt sind

Weil das aber nicht bedeute, dass andere Familien keine Hilfe bei der Pflege bräuchten, gebe es inzwischen spezielle Berater, die gemeinsam mit der Caritas überlegten, wie man auch an diese Gruppen herankomme. Das sehe dann zum Beispiel so aus, dass man zunächst einmal eine bestimmte Aktivität für eine bestimmte Personengruppe in den Vordergrund rücke. Zum Beispiel: eine Nähgruppe für türkische Frauen.

Denn die Belastung aller Angehörigen ist groß, weiß Martina Michalek. „Menschen, die sich Hilfe bei uns holen, sind häufig völlig am Ende.“ Oft würden Angehörige denken, sie schafften die Betreuung ganz alleine. Und das in einer kleinen Wohnung. Neben Vollzeitjob und Familienalltag. „Aber diese Menschen machen sich nicht klar, was aus dem Erkrankten werden kann.“

Der Mensch, den man liebt, verschwindet.
Brunhilde Lambertz

Brunhilde Lambertz weiß genau, was mit dem Demenzpatienten passiert: „Der Mensch, den man liebt, verschwindet“, sagt sie. Und an die Stelle, an der sich einmal gemeinsame Erinnerungen befanden, rücke Leere und Wirrnis. „Irgendwann wacht man auf, und man wird nicht mehr erkannt.“

Lambertz fürchtet sich davor. Fürchtet, auch selbst durch die Erkrankung eine andere zu werden. Doch die regelmäßigen Treffen im Café Insel stoppen das Grübeln. Und inzwischen telefonieren Veronika von Groothe und Brunhilde Lambert auch einmal außerhalb der Café-Zeiten. Für Lambertz steht fest: „Wir wollen unter Menschen bleiben.“


Demenz-WG in Weilerswist-Süd

Ab Sommer 2024 soll es in Weilerswist-Süd zusätzlich eine Demenz-WG geben, informiert Martin Jost, Vorstandsvorsitzender des Caritas-Verbandes Euskirchen. Der Mietvertrag ist jetzt schon unterschrieben. Im Neubaugebiet entsteht aktuell ein großer Wohnkomplex mit insgesamt 60 Wohnungen. Die Zielgruppe sind Senioren. 

Hintergrund für den Neubau ist, dass in Weilerswist viele junge Familien leben, deren Eltern perspektivisch nachziehen werden. Deswegen soll es dort ein großes Senioren-Wohnangebot geben, bestehend aus einer Senioren-Tagespflege, einer Demenz-WG und einem Quartiersbüro. Für die hinzuziehenden Senioren wird es verschiedene Angebote geben. 

Die Demenz-WG zielt darauf ab, ältere Menschen, die nicht mehr allein zu Hause leben können, zu versorgen. Die WG wird aus insgesamt zehn Bewohnerzimmern und vielen Gemeinschaftsräumen bestehen. Zudem wird es eine große Küche für das gemeinsame Essen geben.

Die Mitarbeiter der Caritas werden dort zu jeder Zeit vor Ort sein. Je nach Bedarf wird auch ein Pflegedienst vor Ort sein. Anmelden könne man sich jetzt aber noch nicht, sagt Jost. Wenn es keine weitere Bauverzögerung gebe, sei es im Frühjahr aber soweit.  

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