August SanderBehütet von der jungen Mutter

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Walter Steinrücke (88) entdeckte „sein“ Foto zufällig in einer Ausstellung im Museum of Modern Art in New York. (Foto: Belibasakis)

Walter Steinrücke (88) entdeckte „sein“ Foto zufällig in einer Ausstellung im Museum of Modern Art in New York. (Foto: Belibasakis)

Köln – Die großen, dunklen Augen erinnern an die Mutter. Ein zartes Lächeln, in den kleinen Händen ruht ein Apfel. Vermutlich eine Idee des Fotografen, ebenso wie der Teddybär, der wie achtlos beiseite geräumt auf dem Rasen liegt. Walter Steinrücke war ein Jahr alt, als er 1926 im Garten der Großeltern an der Bachemer Straße neben seiner Mutter Hildegard fotografiert worden ist. Von einem gewissen August Sander, aber das dürfte ihm damals herzlich schnuppe gewesen sein. Er ist einer der letzten von Sander fotografierten Menschen, die heute noch leben.

Steinrücke ist heute 88 Jahre alt und hält das Foto in seiner Wohnung im Kölner Süden in den Händen. In einer weißen Fotomappe bewahrt er die Bilder auf, auf Fotokarton geklebt, mit Pergaminpapier geschützt. Einige tragen Sanders Stempel oder Aufkleber aus dem Atelier an der Dürener Straße. Den Rehpinscher, der wie eine stumme Statue auf dem Bild thront, hat Steinrücke noch in Erinnerung. Wenn auch nicht in guter. „Er ist uns später weggelaufen“, sagt er, „was waren mein Vater und ich froh. Wir fanden ihn schrecklich.“

Steinrücke ist gebürtiger Kölner, hat aber mit der Familie auch in Hamburg und später in Frankfurt und Berlin gelebt. Das Bild des berühmten Fotografen hat er lange Zeit gar nicht gekannt. Darauf gestoßen ist er ganz zufällig und zwar an einem prominenten Ort: im Museum of Modern Art in New York. In den 70er oder 80er Jahren war der studierte Jurist regelmäßig in New York, die Aufnahme entdeckte er in einer Ausstellung der ständigen Sammlung. War er sicher? „Aber natürlich, ich habe doch meine Mutter sofort erkannt.“

Puzzleteile im Sander-Kosmos

In den 50er Jahren hatte Sander 52 seiner Bilder an das Museum of Modern Art verkauft. Ende der 60er Jahre, nach Sanders Tod, war die erste kleine Ausstellung mit Bildern des Kölner Fotografen in New York zu sehen. Das Bild „Junge Mutter“ war dabei. Heute hält das MoMa nach weiteren Ankäufen rund 150 Bilder von August Sander.

Erst nach der Entdeckung in den USA nahm Steinrücke Kontakt auf zu Gerd Sander, der den Nachlass seines Großvaters verwaltete. Andere Bilder von Walter Steinrücke im Kleinkindalter sind im Atelier auf der Dürener Straße entstanden. Auf einer großen Holztruhe etwa, wieder mit einem Apfel in der Hand. Es gibt ein Porträt des Vaters im Nadelstreifenanzug und eines der Mutter mit ihren beiden Schwestern.

„Vielen Familien war Sander über Jahrzehnte verbunden gewesen“, sagt Gabriele Conrath-Scholl, Leiterin der Photographischen Sammlung mit dem Sander-Archiv. Sie ist mit zu dem Termin gekommen und erfährt, dass Steinrückes Mutter eine Gymnastikschule unterhielt. Gymnastisch betätigte sich auch der Notar Dr. Quinke, von Sander in den Menschen des 20. Jahrhunderts porträtiert. „Dr. Quinke war bei meiner Mutter“, sagt Steinrücke. Wieder ein Puzzleteil im Sander’schen Kosmos.

Durch die persönlichen Treffen ergibt sich viel zur Entstehungsgeschichte der Bilder, sagt Conrath-Scholl. Den Originalabzug des Bildes „Junge Mutter“ sieht sie an diesem Tag zum ersten Mal. Mit weißem, gezacktem Rahmen, das ist untypisch für Sander. In der Eifel und im Westerwald leben noch einige wenige alte Damen, die auf Familienbildern von Sander festgehalten worden sind. „Einige Familien hat er vor dem Ersten Weltkrieg das erste Mal fotografiert und bis in die 50er Jahre begleitet.“

Bei den Steinrückes bestand der Kontakt rund vier Jahre lang. Danach zog die Familie nach Hamburg. Walter Steinrücke ist selbst passionierter Hobby-Fotograf. In seiner Wohnung hängen Schwarz-Weiß-Bilder aus den Rocky Mountains. Das Bild von ihm und der jungen Mutter liegt gut geschützt in einem Metallschrank. „Da ist es sicher.“

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