Als Cannabis-Patient am SteuerKölner Tourette-Erkrankter bangt um Fahrerlaubnis

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Seit zwei Jahren als Medizin legalisiert: Die Cannabis-Zigarette kann Patienten mit schweren Erkrankungen zur Linderung der Symptome verschrieben werden.

Seit zwei Jahren als Medizin legalisiert: Die Cannabis-Zigarette kann Patienten mit schweren Erkrankungen zur Linderung der Symptome verschrieben werden.

  • Der 26-jährige Frederic U. ist am Tourette-Syndrom erkrankt und konsumiert Cannabis als Medizin.
  • Nach einer Polizeikontrolle und einem positiven Drogentest, wurde ihm der Führerschein entzogen.
  • Und das bis heute – denn Ordnungsamt geht von einem „langjährigen Drogenmissbrauch“ aus.

Köln – Am 25. Mai 2013 gerät der Kölner Frederic U. in Viersen in eine Verkehrskontrolle. Ein Drogentest schlägt an, bei einer Blutkontrolle werden Cannabisabbauprodukte festgestellt. U. gibt zu, wenige Tage zuvor Marihuana geraucht zu haben. Er muss ein Bußgeld von 500 Euro zahlen und seinen Führerschein für einen Monat abgeben. Soweit, so normal, wenn jemand bekifft am Steuer erwischt wird.

Doch U., der seinen vollständigen Namen nicht in der Zeitung lesen möchte, ist kein herkömmlicher Kiffer. Der 26-Jährige ist am Tourette-Syndrom erkrankt. Dabei handelt es sich um eine Nervenerkrankung, bei der die Betroffenen unter Tics leiden. Wenn U. kein Cannabis konsumiert, blinzelt er zwanghaft, schlägt mit dem Kopf, grunzt oder knurrt. Von Kindesbeinen an leidet U. an der Krankheit, in der Schule wurde er oft gemobbt. Seit 2017 bekommt er Cannabis als Medizin verschrieben.

Ordnungsamt geht von einem „langjährigen Drogenmissbrauch“ aus

Obwohl die Gründe für U.’s Cannabiskonsum hinlänglich bekannt sind, bekommt er seinen Führerschein nicht zurück. Die Führerscheinstelle beim Ordnungsamt der Stadt Köln geht von einem „langjährigen Drogenmissbrauch“ aus. Frederic U. sagt: „Hier geht es um meine berufliche Existenz.“ In vier Monaten beendet er eine Umschulung zum Immobilienkaufmann. „Mein Arbeitgeber hat deutlich gemacht, dass er mich nur weiterbeschäftigen kann, wenn ich mobil bin.“

Die Rechtslage

Bis 2017 konnte Cannabis nur in Ausnahmefällen und nach einem Antrag bei der Opiumstelle des Bundesinstituts für Arzneimittel und Medizinprodukte als Arznei verschrieben werden. Seither gilt: Patienten mit einer schwerwiegenden Erkrankung können Cannabis als Medizin bekommen, wenn der behandelnde Arzt bestehende Alternativen nicht für therapeutisch sinnvoll hält – und wenn angenommen werden darf, dass die Krankheit für den Patienten besser verläuft und schwerwiegende Symptome gelindert werden.

Das Verwaltungsgericht Düsseldorf stellte in einem Urteil fest, dass ein Medizinal-Cannabis-Patient einen Anspruch auf Neuerteilung der Fahrerlaubnis hat. Anders als bei illegalem Cannabiskonsum können Patienten Medizinal-Cannabis einnehmen und zum Führen von Kraftfahrzeugen geeignet sein. Der Patient müsse nach Einnahme des Medizinal-Cannabis nur ausreichend leistungsfähig sein, ein Kraftfahrzeug sicher zu führen. Der Betroffene müsse die Medizin verantwortlich einnehmen und seine Grunderkrankung dürfe der sicheren Verkehrsteilnahme nicht im Wege stehen. Um mögliche schädliche Langzeitwirkungen dauerhafter Cannabiseinnahme auszuschließen, könne der Patient aber in einiger Zeit aufgefordert werden, seine fortbestehende Fahreignung nachzuweisen. (bks)

Die Führerscheinstelle besteht aber auf einer Medizinisch-Psychiatrischen Untersuchung – kurz „MPU“, im Volksmund auch „Idiotentest“ genannt. U. soll über ein Jahr lang seine Abstinenz von Opiaten, Amphetaminen, Kokain, Ecstasy, Methadon und Benzodiazepinen nachweisen. „Mein Mandant hat noch nie eine dieser Drogen konsumiert“, sagt U.’s Rechtsanwalt Robert Lorenz. Nicht getestet werden soll hingegen auf Cannabis, also jene Droge, derentwegen ihm der Führerschein abgenommen worden war. Für die Stadt liegt weiterhin ein „langjähriger Drogenmissbrauch“ vor. „Alleine hieran erkennt man schon, dass die bei der Führerscheinstelle zuständige Dame die für ihre Tätigkeit notwendige Objektivität und Sachkunde missen lässt“, sagt Rechtsanwalt Lorenz.

Psychopharmaka hat zu hohe Nebenwirkungen

Ursprünglich wurde U.’s Krankheit mit Psychopharmaka behandelt. Doch statt die Tics zu vermindern, machten ihm Nebenwirkungen zu schaffen: Kopfschmerzen, Müdigkeit, Antriebslosigkeit, Konzentrationsschwäche. „Ich habe mich oft total schlapp gefühlt. Die Tics wurden zwar ein bisschen unterdrückt, darunter litt aber auch meine sonstige Energie“, sagt U.

Cannabis-Konsum bringt Frederic U. Erleichterung.

Cannabis-Konsum bringt Frederic U. Erleichterung.

Als er das erste Mal kiffte, machte U. es wie viele junge Menschen aus Abenteuerlust. Doch schnell merkt er, dass die Wirkstoffe im Cannabis ihm Erleichterung bringen und die Tics bis zu 90 Prozent reduzieren. Seine behandelnde Ärztin, Prof. Kerstin Müller-Vahl, eine international anerkannte Tourette-Expertin von der Medizinischen Hochschule Hannover, rät ihm sogar, Cannabis zu konsumieren. Bereits 1997 hatte sie in einer Studie nachgewiesen, dass 85 Prozent der Cannabiskonsumenten unter ihren Patienten über eine deutliche Reduzierung der Tics berichteten, wenn sie gekifft hatten. Cannabis verschreiben konnte Müller-Vahl ihrem Patienten bis zur Gesetzesänderung 2017 nicht (siehe Kasten.) Also konsumierte U. Cannabis in Selbsttherapie, 2013 wurde er dann bei der Verkehrskontrolle erwischt.

Verwaltung will sich nicht äußern

„Völlig absurd wird es aber beim zweiten Gutachtenauftrag in der MPU“, erklärt Anwalt Lorenz. Denn die Führerscheinstelle fordert neben dem Drogenscreening auf alle Substanzen außer Cannabis, dass zusätzlich geklärt werden solle, ob bei U. überhaupt „eine Krankheit oder Gesundheitsstörung (Tourette-Syndrom)“ vorliegt. Dass das der Fall ist, ergibt sich hinlänglich aus zahlreichen Arztbriefen Müller-Vahls, die der Führerscheinstelle vorliegen. Als sich Frederic U. 2011 zur Führerscheinprüfung anmeldete, legte er dem TÜV ein Attest seiner Ärztin vor. Darin heißt es, dass „Tourette-Betroffene in gleichem Maße in der Lage sind, ein Moped, Motorrad oder KFZ zu führen wie gesunde Personen auch“. 2011 war die Krankheit jedenfalls kein Grund, ihm das Ablegen der Führerscheinprüfung zu verwehren. In dem Attest weist Müller-Vahl darauf hin, dass es keine Hinweise gebe, dass Betroffene häufiger an Unfällen beteiligt seien.

Fragt man Lorenz, was hinter dem Ansinnen der Führerscheinstelle stecken könne, wird er deutlich: „Das dient der Demütigung meines Mandanten, indem seine Erkrankung überhaupt in Frage gestellt wird.“ Eine Dienstaufsichtsbeschwerde gegen die Mitarbeiterin hatte keinen Erfolg. Im Gegenteil: In der Stellungnahme des Vorgesetzten ist plötzlich in Bezug auf Cannabis wieder die Rede von „langjährigem Drogenmissbrauch“. Und auch die Fahreignung U.’s aufgrund seiner Erkrankung wird in Frage gestellt. Ansonsten heißt es in der Antwort nur, dass es sich um eine „kompetente und zuverlässige Mitarbeiterin“ handle, „die gerade im Umgang mit den Bürgerinnen und Bürgern dieser Stadt eine besondere Sorgfalt zeigt“. Lorenz: „Typisches Behörden-Bla-Bla. Mit unseren Argumenten hat sich niemand auseinandergesetzt. So wie es aussieht, werden wir vor dem Verwaltungsgericht klagen müssen. Das kostet Zeit, die mein Mandant aber nicht hat.“

Gegenüber der Rundschau will sich die Verwaltung unter Verweis auf das laufende Verfahren erst nicht zu dem Fall äußern. Doch dann kommt plötzlich Bewegung in die Sache. Durch die Anfrage unserer Zeitung zu dem Fall erlangt die Stadt Kenntnis von einem Urteil des Verwaltungsgerichts Düsseldorf vom 24. Oktober 2019. Darin urteilt das Gericht, dass der Rhein-Kreis Neuss einem an starken Rückenschmerzen leidenden Fliesenleger das Autofahren unter Einfluss von Medizinal-Cannabis nicht verwehren darf (siehe Kasten). In einer knappen E-Mail der Führerscheinstelle an Lorenz heißt es Anfang November, dass die bisherige Entscheidung noch mal überdacht werden müsse.

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