Interview zu 20 Jahren Babyklappe in Köln„Das Fenster kann eine Lösung sein“

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Tag und Nacht können Mütter ihre neugeborenen Kinder im Babyfenster ablegen und dabei anonym bleiben.

Tag und Nacht können Mütter ihre neugeborenen Kinder im Babyfenster ablegen und dabei anonym bleiben.

Köln – Vor 20  Jahren wurde die Einrichtung des Moses-Baby-Fensters   beschlossen. Seitdem wurden dort 29 Neugeborene anonym abgelegt. Mit Monika Kleine, Geschäftsführerin des Sozialdienstes katholischer Frauen, sprach Gabi Bossler über das kontrovers diskutierte  Angebot und  seine aktuelle Bedeutung.

Das Moses-Baby-Fenster war die erste Einrichtung seiner Art in NRW, im Laufe des Jahres 2000 wurden in ganz Deutschland viele anonyme Abgabestellen für Neugeborene geschaffen. Was war der Auslöser?

Es gab damals eine Häufung von Meldungen über Kindesaussetzungen und, als Folge davon, Kindstötungen. Unser Gedanke war, dass es doch möglich sein muss, diesen Frauen, die vor der Frage stehen, das Kind auszusetzen, ein unmittelbares Hilfsangebot zu machen. Uns war klar, dass wir uns damit auf ein juristisches Feld begeben, bei dem es auch um die Grundrechte des Menschen geht.

Was musste geklärt werden ?

Wir haben gemeinsam mit Polizei, Staatsanwaltschaft und Jugendamt versucht zu klären, ob wir das Fenster eröffnen und uns trotzdem rechtssicher bewegen können. Die Straftatbestände Kindesaussetzung, Unterhaltspflichtverletzung und Personenstandsfälschung wurden davon berührt. Schnell war klar, dass der Vorwurf der Kindesaussetzung nicht zutraf, weil die Mutter das Kind ja bewusst in unsere Obhut gibt. Die Verletzung der Unterhaltspflicht galt als vernachlässigbar. Blieb die Personenstandsfälschung, denn die abgegebenen Kinder haben ja keinen Zugang zu ihren Herkunftsdaten. Doch damals, vor 20 Jahren, wertet man das Recht auf Leben höher als das auf Wissen um die eigene Herkunft.

Gab es bei dem Prozess Unterstützung durch die Politik?

Ja, die Politiker aller Fraktionen haben sich für die Eröffnung ausgesprochen, allen voran die FDP. Am 23. Mai 2000 wurde die Einrichtung des Babyfensters vom Rat der Stadt beschlossen.

Während immer mehr Abgabestellen entstanden, wurde über eine mögliche Verletzung der Grundrechte der Kinder weiter intensiv und sehr emotional diskutiert...

Ein Vorwurf war, dass Frauen ihre Kinder anonym und deshalb leichtfertig abgeben würden. Das glaube ich nicht. Alle Frauen, die wir im Nachhinein kennengelernt haben, haben ihr Kind unter hochproblematischen Verhältnissen zur Welt gebracht, allein im Keller, im Gartenhäuschen, es waren immer Situationen, in denen die Frauen sich einer ganz großen Gefährdung ausgesetzt haben. Das macht man nicht, wenn man eine Alternative hat. Im Laufe der Zeit wurden dann zahlreiche Untersuchungen durchgeführt – mit dem Ergebnis, dass es keinen Beleg dafür gibt, dass Frauen ihr Kind anstelle es zu töten in ein Babyfenster legen. Frauen in emotionalen Ausnahmesituationen würden durch die Fenster nicht erreicht.

Eine Vermutung, die dadurch gestützt wurde, dass die Zahl der getöteten Neugeborenen nach Öffnung der Babyfenster nicht gesunken ist?

Das stimmt. Aber der Frage, ob Babyfenster wirklich helfen, konnte ja auch erst nachgegangen werden, nachdem sie in größerer Zahl da waren. Wir haben entschieden, wenn es das nicht ist, muss es etwas anderes geben, mit dem wir die Frauen in extremen Notlagen erreichen können. Wir haben uns dann für das Angebot der vertraulichen Geburt eingesetzt.

Das Moses-Fenster befindet sich am Mutter-Kind-Haus Adelheid, das rund um die Uhr besetzt ist. Geschah das aus der Hoffnung heraus, dass sich so ein Kontakt der abgebenden Mütter zur Einrichtung ergeben könnte?

Mit der Anbindung an das Mutter-Kind-Haus sollte klar signalisiert werden, dass es Hilfsangebote gibt. Deshalb haben wir auch alle Aktivitäten unterstützt, die vertrauliche Geburt auf den Weg zu bringen, um damit Frauen vor unzumutbaren Bedingungen bei der Geburt zu schützen. Und um Kindern zu ermöglichen, etwas über ihre Herkunft zu erfahren. Im Mai 2014 wurde das Gesetz zur vertraulichen Geburt verabschiedet; unsere Beratungsstelle „esperanza“ war von Anfang an dabei.

Warum gibt es das Babyfenster noch, obwohl es bis heute nicht verfassungsrechtlich abgesichert ist ?

Da bin ich sehr ambivalent. Wenn wir eine inflationäre Nutzung des Fensters hätten, würde ich es schließen. Aber es sind ja im Jahr ein bis zwei Frauen, die es nutzen. Manche merken erst spät, dass sie schwanger sind, können nicht mehr klar denken. Für sie kann das Fenster vielleicht eine Lösung sein. Das sind Frauen, die sagen, ich kann mit dem Kind zwar nicht leben, aber ich will, dass es ihm gut geht.

Sie sind mit 18 Jahren sehr jung Mutter geworden. Ist Ihnen das Babyfenster auch ein persönliches Anliegen?

Ich bin schon als Schülerin Mutter geworden, aber das spielt dabei keine Rolle. Ich habe lange in der Schwangerschaftskonfliktberatung gearbeitet und die existenzielle Not von Frauen erlebt, die ein Kind erwarten und dafür in ihrem Leben, aus welchen Gründen auch immer, keinen Platz haben. Diese existenzielle Not ist mir sehr gegenwärtig.

Das Moses-Baby-Fenster befindet sich am Haus Adelheid, Escher Straße 158. Es ist 24 Stunden an jedem Tag des Jahres geöffnet.

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