Kölner Dirigent im Interview„Vieles geht den Bach runter“

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Dirk Joeres

Dirigent Dirk Joeres 

  • In unserer Serie „Alles auf neu“ stellen wir Kölner vor, für die sich 2022 vieles verändert, die neu beginnen.
  • Mit Dirk Joeres (74), Dirigent der Westdeutschen Sinfonia, hat zum Abschluss der Serie Jan Sting gesprochen.

Jahrzehnte haben Sie mit Ihrem Orchester vor vollen Häusern gespielt. Nun gehen Sie ins Kloster. Was machen Sie da?

Ich mache da etwas, das vom Ansatz her dem gleicht, was ich mit der Westdeutschen Sinfonia in Leverkusen schon des längeren praktiziere, nämlich den „KlassikSonntag!“. Dieses ganztätige Konzertformat besteht aus einer Matinee im Schloß Morsbroich, einer öffentlichen Probe und dem abendlichen Konzert im Forum Leverkusen. Die Matinée, immer auch verbunden mit Livemusik, ist eine ausführliche Einführung ins Programm des Konzertes am Abend. Bei den Musikwochenenden im Kloster Steinfeld ist es ähnlich: es gibt Vorträge mit vielen Klangbeispielen, Livemusik und roundtable-Gespräche.

Sie sind Mitte siebzig. Auch wenn das für einen Dirigenten kein Alter ist – was treibt Sie an? Warum wollen Sie nun in Zeiten von Corona verstärkt die Musik erklären?

Der Impuls, das zu machen, liegt schon weit zurück. Ich sehe, dass die musikalische Bildung rapide abnimmt. Ganz konkret: Es fehlen Musiklehrer, in NRW fallen 80 Prozent der Unterrichtsstunden aus oder werden fachfremd gegeben. Als „weiches“ Fach wird Musik hintangestellt, das finde ich fatal. So ist mittlerweile eine Generation herangewachsen, die in der Schule nur sehr wenig über klassische Musik erfahren hat.

Was bedeutet das für den klassischen Konzertbetrieb?

Zu wenige Jüngere im Publikum! Die klassische Musik stellt zweifellos besondere Ansprüche an den Hörer. Mit meiner Initiative möchte ich Brücken bauen. Denn jeder Mensch sollte die Chance haben, die Klassik als Bereicherung seines Lebens zu entdecken und zu erkunden – und das setzt aktives Hörern mit Herz und Kopf voraus.

Zur Person

35 Jahre ist Dirk Joeres Künstlerischer Leiter der Westdeutschen Sinfonia. Das Orchester setzt sich aus führenden Streichern und Bläsern großer Orchester der Region zusammen.

2000 wurde er zum Associate Conductor des Royal Philharmonic Orchestra London ernannt, von 2007 bis 2013 war er Ständiger Gastdirigent. Neu ist die „Klassik im Kloster Steinfeld“. (jan)

Die Pandemie ist zumal für freischaffende Künstler eine Katastrophe. Wie geht es den Musikern, denen Sie begegnen?

Die Stimmung ist depressiv, könnte aber durchaus aggressiv sein angesichts der Tatsache, dass die Künste von den Politikern den Freizeitparks und Ähnlichem zugeordnet wurden.

Gibt es im Konzertbetrieb nicht auch so etwas wie die Krise als Chance?

Meine Reihe „Klassik im Kloster“ sehe ich durchaus auch als ein Zukunftsmodell, da sie eben nicht ein großformatiges Event anstrebt sondern eine intimere, persönlichere Situation schafft. Das ist, glaube ich, eine der Lehren, die wir aus der Krise ziehen können.

Nun erklären Sie also Musik. Was macht das mit dem Zuhörer?

Er erfährt etwas zum jeweiligen Werk und im Idealfall auch zu allgemeinen musikalischen Prinzipien. Bei Beethovens Fünfter, zum Beispiel, ginge es dann nicht nur um das tatatataa des Beginns, sondern allgemein um die Idee des Symphonischen bei Beethoven und anderen.

Aber schreckt die Didaktik nicht auch einige ab? Sie nehmen ja auch CDs im Studio auf und erklären im Projekt „Beethoven today“ alles am Klavier. Wie bringen Sie eine Dramaturgie hinein?

Der Zuhörer ist immer die entscheidende Instanz. Ich möchte ihm, ohne Fachsimpelei natürlich, Musik als eine Art klingenden Organismus näherbringen, ausgehend von der Frage: Wie nehmen wir Musik wahr? Wie entwickeln sich Themen in einer Sinfonie, was passiert zum Beispiel beim Eintritt einer Reprise?

Es geht mir also darum, die Freude am aktiven Hörer zu wecken – nach dem Motto: Wer mehr weiß, hört mehr.

Für Ihre Idee der Musikvermittlung brechen Sie zu neuen Ufern auf, organisieren Tagungshäuser und müssen Seminarteilnehmer erreichen. Oft dürften es ja Amateure sein. Was treibt Sie dabei an?

Ich spreche keine feste Gruppe an, jeder ist willkommen, ob als „Novize“ oder Musikkenner. Und vielleicht wird auch er etwas Neues erfahren, zum Beispiel, dass Beethoven eine große Menge Skizzen zu seinen Werken hinterlassen hat. An diesen Entwürfen lässt sich zeigen, dass Musik einen zuweilen langen Entwicklungsprozess im Kopf des Komponisten durchläuft. Und diesen Prozess kann man dann mit entsprechenden Klangbeispielen am Klavier gut demonstrieren.

Die Liebe zu Musik beflügelt Sie, aber es kann doch auch traurig machen, wenn man erfährt, wie viele Lehrer fehlen.

Ja, vieles geht den Bach hinunter. Meine Arbeit ist da vielleicht ein Tropfen auf den heißen Stein. Aber sie macht mir Freude – und das auch bei coronabedingt eingeschränkten Zuhörerzahlen. Es geht darum, sich ganz auf die Musik einzulassen.

Was bereitet Ihnen gegenwärtig besonders Bauchschmerzen?

Die Leute fahren an berühmte Festspielorte, sitzen auf einem 500 Euro-Platz, und alles scheint ganz toll und schick. Aber Musik wird dabei nur „konsumiert“, und das Wichtigste ist das Drumherum.

Wenn Sie ins Kloster gehen, worüber sprechen Sie dann? Über Brahms?

Um ihn wird es im Herbst gehen. Dabei werde ich auch weniger bekannte Musik von Brahms vorstellen, die er als Zwanzigjähriger geschrieben hat. Darin gibt es Erstaunliches zu entdecken. Aber die Frage, die im Mittelpunkt des Wochenendes steht, wird natürlich sein: welche Stellung nahm Brahms in seiner Zeit ein, und was bedeutet er für uns heute? Er wird zurecht als Vollender einer großen Tradition gesehen, aber seine Musik strahlt auch aus auf Komponisten-Generationen nach ihm.

Und wenn Sie ein Konzert vor einem großes Haus geben könnten, was würden Sie derzeit spielen? Was wäre Ihr Traumprogramm?

Ein Programm soll meiner Meinung nach entweder einen roten Faden erkennen lassen oder aber durch Kontrast wirken. Für letzteres würde ich zum Beispiel mit der „Fledermaus“-Ouvertüre von Strauss beginnen und mit der Vierten Sinfonie von Brahms abschließen.

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