Kölner Künstler in den 20er JahrenWilde Welt ohne Schein

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Tanz auf dem Vulkan: August Sander hielt den Lumpenball um 1930 fest.

Tanz auf dem Vulkan: August Sander hielt den Lumpenball um 1930 fest.

Das letzte Fest im "Decke Tommes" war das wildeste. Niemals zuvor soll es so voll gewesen sein in dem Lokal wie in dieser Nacht, in der in Berlin der Reichstag brannte. Es war der 27. Februar 1933. "Draußen strichen die Rollkommandos der SA durch das Viertel", schrieb der Kölner Künstler Hans Schmitt-Rost. "Der ganze Reichstag steht in Flammen, hipp, hipp, hurrah", habe eine Gruppe gesungen. "Der Kapellmeister war nicht zu beruhigen." Und schon 14 Tage später wollten einige Leute nicht mehr dabei gewesen sein.

Das zumindest vorläufige Ende der Kölner Künstlerfeste beschreibt eindrucksvoll, wie anarchisch und wild die Kunstschaffenden in den 20er Jahren Karneval gefeiert haben. "Paradiesvogel" und "Lumpenball", das waren die großen Feste, die rund um die "Kölner Progressiven" entstanden. Dabei war im Kölner Karneval bis 1925 eine Kostümierung auf der Straße ebenso wenig vorgesehen wie öffentliche Bälle. Selbst das Werfen von Luftschlangen in öffentlichen Lokalen wurde per polizeilicher Verordnung und bei Androhung von Geldstrafen verboten. "Die Künstler haben sich abgespalten", sagt Michael Cornelius Zepter. "Sich lustig zu machen über die Strenge und Grenzen zu überschreiten, das war ein wesentlicher Zweck der Feste."

Der Kölner Künstler und Kunstpädagoge hat sich eingehend mit dem Künstlerkarneval in der Moderne beschäftigt und ein fast 600 Seiten starkes Buch darüber geschrieben. Bei der Langen Nacht der Museen wird der 74-Jährige in der "Kleinen Glocke" in der Glockengasse über diese Zeit berichten (siehe Kasten). Das Lokal nahe der Oper gilt als Köln ältestes Künstlerlokal. Hier trafen sich in den 20er Jahren die Progressiven um Heinrich Hoerle, Anton Räderscheidt und Franz Wilhelm Seiwert, hier feierten sie und beglichen schon mal den Deckel mit einem ihrer Kunstwerke.

Im Künstlerlokal "Kleine Glocke", Glockengasse 58, sind am 3. November Bilder der Kölner Progressiven und Porträts der Künstler von August Sander zu sehen.

Es gibt ab 19.30 Uhr bis 1.30 Uhr Erläuterungen zu den Werken. Michael Cornelius Zepter wird um 21 und 23 Uhr über die Künstlerfeste berichten. (mft)

"Die Progressiven waren lupenreine Anarchisten", sagt Zepter. Sie waren radikale Sozialisten, die Parteien - gleich welcher Couleur - waren ihnen zuwider. Karneval war für sie eine wunderbare Gelegenheit, um den Mächtigen den Spiegel vorzuhalten und sich über sie lustig zu machen. Gefeiert wurde mit einer Deftigkeit, hinter der alle "Stunker der Stadt" weit zurückfallen, wie es Michael Euler-Schmidt, stellvertretender Leiter des Stadtmuseums, ausdrückt. Nach dem Krieg gingen die "Ahl Säu" aus dieser Tradition hervor. Sie sind bis heute aktiv und feiern jedes Jahr im Stadtgarten ihren Ball.

"Die Welt ohne Schein": So wurden die Lumpenbälle angekündigt. "Man nutzte die Maskerade, um zu demaskieren", sagt Zepter. Aufwendige Verkleidungen oder gar teure Stoffe waren zu diesem Zweck nicht notwendig. Ein Betttuch reichte für ein Gespenst und ein Sieb als Stahlhelm. Man tanzte wie wild. "Es hatte seinen ganz eigenen Charakter, sehr rheinisch." Einzigartig dokumentiert ist der Charakter der Künstlerbälle in den Fotos von August Sander.

Von außen wurden die Feste mit deutlichem Abstand wahrgenommen. Schließlich standen sie im Gegensatz zur allgemeinen Not. Als "Tanz auf dem Vulkan" bezeichnete sie der Westdeutsche Beobachter. Von einem "lustigen Fest der Künstler" und "Marienburger Prominenz" berichteten Kölner Zeitungen und dokumentierten zwischen den Zeilen, dass die Künstlergruppen durchaus nicht jeden bei sich haben wollten und auf wohlwollende Geldgeber angewiesen waren. Mit den Hausbällen wurde in den 50er Jahren in bürgerlichen Stadtteilen ein Teil der Tradition der Künstlerbälle fortgeführt, aber nie wieder war es so wild, so ungeschminkt wie in den 20er Jahren zur Zeit der "Kölner Progressiven". Über einen Abend bei der "Hängematte der Kölner Künstler" ist überliefert: "Und auf der Tanzfläche war alles gefällig, Tanzen, Ringelreihen, (...) Kopfsalto über eine Stuhllehne hinweg. Jeder stieß in sich auf neue, nicht länger zu bezähmende Talente."

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