Mein LieblingsplatzTrümmerträume am Herkulesberg

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Die luftige Fußgängerbrücke verbindet Mediapark und Herkulesberg. In die Jahre gekommene Stahlträger geben Dom und Colonius einen schrägen Rahmen.

Die luftige Fußgängerbrücke verbindet Mediapark und Herkulesberg. In die Jahre gekommene Stahlträger geben Dom und Colonius einen schrägen Rahmen.

Köln – Für einen Rauhaardackel hat Hugo verdammt viel Tiefgang. Zumindest sieht der kleine Kerl so aus, wenn er brav neben seinem betagten Herrchen sitzt und den Blick sinnierend in die Ferne schweifen lässt. Vom Rattern der schweren Züge, die unter ihm entlangdonnern, lässt Hugo sich nicht aus der Ruhe bringen. Dass er von der luftigen Fußgängerbrücke aus einen erstklassigen Blick auf die Skyline genießt, ist ihm dabei wohl ebenso wenig bewusst wie die geschichtsträchtige Bedeutung der Trümmer, die sich unter dem grünen Hügel zu seiner Linken türmen.

Außer dem in die Jahre gekommenen Pärchen hat es an diesem Sommermorgen niemanden an meinen Lieblingsplatz gezogen. Die morgendlichen Läufer haben längst ihre Runden gedreht und die Flaschensammler die Reste des vergangenen Abends in ihre Tüten gepackt. Wenn kein Zug über die Gleise rast, herrscht fast gespenstische Stille. Dann wirkt das spektakuläre Panorama noch intensiver. Wie Achsen verbinden die Schienen des ehemaligen Güterbahnhofs Gereon Kölnturm und Telekom-Hochhaus, Dom und Colonius. Die Wahrzeichen der Stadt sind schon in viele Rahmen gepresst worden, aber schmutzig-blaue Stahlträger mit abplatzender Rostschutzfarbe rücken Kathedrale und Fernsehturm in eine besonders reizvoll-schräge Perspektive.

Wer dem gediegenen Mediapark den Rücken kehrt und über die versteckte Brücke auf den Herkulesberg zugeht, passiert eine mit Graffiti besprühte Betonpforte ins Grüne. Auf gut 130 000 Quadratmetern erstreckt sich die gewaltige Fläche des Hügels bis fast zur Inneren Kanalstraße. Unter wild wucherndem Grün und knorrigen Bäumen liegen die Trümmer des Zweiten Weltkriegs begraben. Der Herkulesberg ist der größte der insgesamt elf Schuttberge und der einzige, der einen Spitznamen hat. "Monte Klamotte" nennen ihn die Kölner liebevoll als Verweis auf den Haufen völlig unterschiedlichen Zeugs in seinem Inneren.

Gegenüber der bunten Betonschleuse schweift mein Blick über den Grüngürtel, ein Stück weiter bleibt er wieder an den Schienen hängen. Das Rauschen der Züge vermischt sich mit dem Lärm der Autos, die stetig über die dicht befahrene Innere Kanalstraße rauschen. Auf der Spitze des Herkulesberges, der seine Umgebung um etwa 25 Meter überragt, wird der Kopf frei und die Gedanken schweifen. Die Gefahr, sich in einem ländlichen Idyll zu verlieren, besteht hier nicht. Das Geräusch der Züge und Autos ist allgegenwärtig und sorgt für urbanes Flair an diesem grünen Fleckchen.

Dass man mitten in einem von Verkehrsadern umschlossenen Landschaftsschutzgebiet steht, wird besonders deutlich, wenn man den "Monte Klamotte" von der Subbelrather Straße aus erklimmt. Ein unscheinbarer Aufgang führt unter der dicht bewachsenen Laube aus Baumkronen hindurch. Kaninchen huschen über den Weg, Vogelgezwitscher und summende Insekten mischen sich mehr und mehr in das Verkehrsrauschen. Zur linken Seite erstreckt sich ein buntes Feld aus wuchernden Wildblumen. Niemand stört sich an dem "Unkraut", nur ein schmaler Trampelpfad führt durch das Dickicht aus meterhohen Brennnesseln, Brombeerranken und blühenden Disteln.

Oben angekommen steht eine kleine Bank unter Bäumen, daneben blitzt der Colonius durch das satte Grün der Zweige. Wenn das wilde Idyll des Sommers verblüht ist und die Blätter der Bäume fallen, ist er auch von hier aus zu sehen: Der Blick auf die Schienen, der die Gedanken schweifen lässt.

Die Autorin

Katharina Hamacher wurde 1982 im beschaulichen Langenfeld geboren und war mehr als froh, als sie fürs Designstudium nach Aachen ziehen konnte. Nach dem Diplom verschlug es sie 2007 nach Köln und auf Anhieb ins beste Veedel der Stadt, nach Ehrenfeld. Seit 2011 ist sie Volontärin in der Kölner Lokalredaktion der Rundschau und betreut die Persönlich-Seite.

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