Im Fleischewolf der Marke KriegBrechts „Fatzer“ im Depot 2 des Kölner Schauspiels

Lesezeit 3 Minuten
Fatzer im Kölner Schauspiel

Der Fatzer wird wie Jesus von seinen Leuten verleugnet.

  • Gut 500 Seiten Material häufte Brecht zum „Fatzer“ an.
  • 1978 schuf Heiner Müller daraus eine Bühnenfassung.
  • Auf Grundlage dieser wird es nun am Kölner Schauspiel aufgeführt.
  • Eine Kritik von Axel Hill.

Köln – Erst kommt das Fressen – aber ob danach wirklich, die Moral kommt, wie Bertolt Brecht es in der „Dreigroschenoper“ singen lässt? Wenn man sich den etwas früher begonnenen „Untergang des Egoisten Johann Fatzer“ anschaut, ist die Antwort ein klares „Nein“.

Eine Handvoll Soldaten desertiert im Ersten Weltkrieg, versteckt sich bei der Frau des einen in Mülheim an der Ruhr. Man wartet gemeinsam auf das Ende des Krieges, auf bessere Zeiten, die vielleicht nach einer Revolution anbrechen könnten. Doch für den Klassenkampf fehlt erst einmal die Kraft. Die ausgezehrten und traumatisierten Männer dürstet es nach Fleisch – am Esstisch und in der Horizontalen. 

Als Fatzer das eine nicht besorgt und fürs andere die Ehefrau des Kameraden Kaumann benutzt, schlägt die Stimmung um. Der Anführer wird zum Gejagten. Und bessere Zeiten wird es nicht geben. „Von nun an und für eine lange Zeit wird es auf dieser Welt keine Sieger mehr geben, sondern nur noch Besiegte.“

Heiner Müller kreierte die Bühnenfassung

Gut 500 Seiten Material häufte Brecht zum „Fatzer“ an, setzte sich immer wieder mit dem Stoff auseinander, er blieb Fragment. 1978 schuf Heiner Müller daraus eine Bühnenfassung, die Regisseur Oliver Frljić auch in Köln zugrunde legt.

Im Depot 2 des Schauspiels baut er ein Heer aus Metallbetten auf, das mal Lazarett, mal Wohnstatt, mal Schlachtbank ist (Bühne: Igor Pauska). Der Boden ist bedeckt mit Erde, gleichermaßen Basis jeglicher Existenz und Dreck des Krieges. Sein siebenköpfiges Ensemble legt der gebürtige Bosnier auf keine Rollen fest, es wird über Alters- und Geschlechtergrenzen hinweg gewechselt, ohne dabei allerdings einen Beitrag zur derzeit auf Theaterbühnen so häufig bemühten Genderdiskussion zu liefern.

Wünsche über Bord geworfen

Jeder kann Fatzer sein – und letztlich ist jeder Fatzer. Unsere Ideale sind hoch, die Ideen und Visionen vielfältig, doch mehr als nur einmal im Leben wird all dies über Bord geworfen. Und mehr als nur einmal im Leben stoßen wir damit anderen vor den Kopf, die hier und da entsprechend reagieren. So weit, so einsichtsvoll. Allein, der Erhellung des eh schon problematischen Stücks dient das nicht. Die Handlung lässt einfach zu viele Fragen offen – etwa die offensichtlichste: Wie können sich Deserteure in einer Stadt offen bewegen, ohne dass die Gefahr der Verhaftung thematisiert wird? Heiner Müller hatte sich bei den verschiedenen Stück-Fassungen Brechts bedient, scheinbar ohne die Absicht, eine kohärente Geschichte erzählen zu wollen.

Frljić treibt das auf die Spitze – durch eben jenen Figurenwechsel. Oder wenn er Texte bisweilen so herausbrüllen lässt, dass die Stimmen der Schauspieler sich überschlagen. Statt zu psychologisieren setzt er eine wirklich effektvolle Überwältigungsmaschine in Gang. So wie der vom Band eingespielte Kaiser Wilhelm II. seine Soldaten einpeitscht, treibt der Regisseur sein vor Energie berstendes Ensemble über die Textberge. Und schafft dabei immer wieder verblüffende, aber auch arg platte Bilder.

Wie einst Jesus Christus

Da muss sich dann mal der Hintern mit der Reichsflagge abgewischt werden. Zwischenzeitlich stehen alle in Korsett und Strapsen da (Kostüme: Sandra Dekanić), kopulieren im Takt und produzieren Babypuppen, die eingesammelt werden. Und nachdem Fatzer wie Jesus von seinen Leuten verleugnet wird, überrascht es kaum, ihn später als Gekreuzigten zu sehen. Doch die Strafe scheint gerecht: Die Frau, die er vergewaltigte, darf ihn ausgiebig mit Blut bespucken.

Das könnte Sie auch interessieren:

Schließlich knüpfen sich die Soldaten gegenseitig auf, um dann wie Schweine im Dreck zu wühlen und die erste Strophe des Deutschlandlied zu grunzen. Denn: Jeder wird im Fleischwolf der Marke Krieg landen.

Warum das Stück über eine Statistin in einem durchscheinenden Verschlag auf der Toilette sitzt, bleibt ein Geheimnis. Das Premierenpublikum ließ sich davon nicht in seiner Begeisterung bremsen.

100 Minuten (ohne Pause). Wieder am 16. und 20.6., 20 Uhr.

Rundschau abonnieren