Selbstbedienung und SchließungenWie Kölns Gastronomie unter dem Personalmangel leidet

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Massive Schwierigkeiten, Personal zu finden hat auch Michael Hinz vom Stadtgarten in Köln. 

Köln – Die Notlösung heißt Selbstbedienung. Wenn der Biergarten im Stadtgarten an der Venloer Straße voll besetzt ist, können sich hier 800 Menschen aufhalten. Doch in einigen Zonen der Außengastronomie kommen keine Kellnerinnen oder Kellner mehr vorbei. „Wir können den Biergarten nicht so bespielen, wie es gerne möchten. In einigen Bereichen servieren wir keine Speisen mehr und haben auf Selbstbedienung umgestellt. Denn wir haben massive Schwierigkeiten, Servicepersonal zu finden“, berichtet Michael Fink, Gastronomie-Betriebsleiter im Stadtgarten.

Bevor die Corona-Pandemie ausbrach, waren jede Woche 30 bis 40 Interessierte zum Bewerbungstag im Stadtgarten gekommen. Sie alle wollten einen Job in der Gastronomie ergattern. „Jetzt kommen gerade mal drei Leute“, sagt Fink. Als die Restaurants im Lockdown zum Schließen gezwungen waren, seien einige Mitarbeitende zu Lieferdiensten gewechselt, andere arbeiten jetzt im Drogeriemarkt oder nehmen Abstriche in Corona-Testzentren vor. Bis zu 20 Aushilfskräfte könnte er noch einstellen, dazu zwei Köche und zwei Beiköche. Doch es fehlt an Personal.

Einige Kölner Betriebe ziehen die Reißleine

Die Hilferufe aus der Branche sind längst beim Hotel- und Gaststättenverband angekommen (siehe Info-Text). Aber auch dort sind die Einflussmöglichkeiten begrenzt. Manche Betriebe haben die Reißleine gezogen. Zwei Tage die Woche macht das Brauhaus Johann Schäfer zu – unfreiwillig. „Hätten wir genug Personal, könnten wir öffnen – haben wir aber leider nicht“, sagt Betreiber Till Riekenbrauk. Seit der Eröffnung 2017 war das Brauhaus durchgehend geöffnet, sieben Tage die Woche, außer natürlich in den Lockdowns. Jetzt nicht mehr.

„Angespannte“ Lage im Gastgewerbe

Eine Million Euro bringt die Außengastronomie jedes Jahr an Gebühren für die Stadtkasse. Nach der Sonderregelung wegen der Corona-Pandemie müssen Wirte seit Jahresbeginn wieder Abgaben für das Aufstellen von Tischen und Stühlen im öffentlichen Raum zahlen.

Die Situation im Gastgewerbe bezeichnet Mathias Johnen, stellvertretender Geschäftsführer des Hotel- und Gaststättenverbandes Nordrhein (Dehoga), als „nach wie vor angespannt“. Einerseits seien die Studierenden zurück und suchen sich teilweise Jobs in der Gastronomie. Andererseits hätten sich über Corona viele Mitarbeiter vom Gastro-Betrieb verabschiedet, die sich während der Pandemie umorientieren mussten: „Wir können eben leider keine Nine-to-five-Woche Montag bis Freitag anbieten“, sagt Johnen.

Auch bei der Dehoga ist längst angekommen, dass manche Betriebe nicht mehr das Angebot von vor zwei Jahren fahren können. „In anderen Branchen würde man sagen: Auf das Kerngeschäft zurückgefallen“, sagt Johnen. Pragmatische Lösungen zu finden sei aber gar nicht so einfach: Um hier zu arbeiten, brauchen geflüchtete Menschen etwa aus der Ukraine wie alle anderen auch eine Steuer-ID. „Das kann dauern“, weiß Johnen.

Das Image der Gastronomie liegt Johnen am Herzen, die Maßstäbe sollen hoch gehalten werden. „Wir sind die Gastgeber von Köln. Wir setzen die Maßstäbe, was Hygiene und Professionalität angeht.“ (two)

Auch für die Biergärten am alten Wasserwerk und am Rheinauhafen wird es eng. „Am Geld liegt es sicher nicht“, sagt Riekenbrauk. Wie viele andere Kollegen auch, haben die Gastronomen durchaus attraktive Konditionen zu bieten – an den Arbeitszeiten aber kann nun niemand etwas ändern. „Wir haben über Corona viele Mitarbeiter verloren. Nach dem dritten Monat Kurzarbeit suchen sich die Leute eben etwas anderes. Und kommen nicht mehr zurück.“ Das Haus trägt sich, die Lage ist finanziell gesehen nicht bedrohlich. Aber öffnen würde Riekenbrauk schon gerne. Richtung Sommer, hofft er, wird sich die Lage wieder etwas entspannen.

Während der Sommer noch gar nicht richtig begonnen hat, richtet Bernhard Conin, Chef von Kölnkongress, den Blick bereits Richtung Karneval. In der kommenden Session fällt das Fest noch größer aus als sonst, denn durch die Festivitäten zur 200-Jahr-Feier des Kölner Karnevals stehen mehr Veranstaltungen an als sonst. „Wir versuchen jetzt schon, unsere Mannschaft für das kommende Jahr zu finden“, berichtet Conin. Hoffnung auf eine schnelle Entspannung der Lage hat aber auch er nicht. „Es gibt derzeit Riesenprobleme. Die Situation ist eine Katastrophe und wird es wohl auch noch in den kommenden Jahren bleiben“, prognostiziert der Experte. Zu Kölnkongress gehören unter anderem Flora, Tanzbrunnen und Gürzenich.

Derzeit gibt es kaum Licht am Ende des Tunnels

Voriges Jahr hat Torsten Schliesing die „Decksteiner Mühle“ in Lindenthal übernommen. Ein Traditionslokal mit Restaurant und großem Biergarten. Inzwischen wirkt er desillusioniert. Licht am Ende des Tunnels? „Sehe ich nicht. Die Lage wird sich erst entspannen, wenn die ersten Betriebe in die Knie gehen und Personal frei wird“, fürchtet der Inhaber. Er hat schon viel versucht, um Kräfte für Service und Küche zu finden. Auch in den sozialen Netzwerken gehört er diversen Gruppen an, in denen sich Menschen melden können, die einen Job suchen. „Aber auf 49 Suchanfragen kommt ein Arbeitsangebot.“ Als er sein Lokal voriges Jahr eröffnet hatte, musste er die Küche zum Teil mit teurem Leihpersonal betreiben. „Wir hatten notgedrungen Mietköche engagiert, doch auch das ist jetzt kaum noch möglich, weil wieder Messen und andere große Events stattfinden und die Köche dort gebucht werden“, weiß Schliesing. Dennoch macht er jeden Tag auf. Doch wenn das Restaurant voll besetzt ist, könne draußen kein Essen serviert werden, dafür reicht das Personal nicht.

In der Corona-Pandemie hat sich nicht nur die Arbeitswelt verändert, Homeoffice hat in vielen Jobs für mehr Flexibilität gesorgt. Aber auch die Einstellung zur Arbeit ist offenbar nicht mehr dieselbe. „Schon vor der Pandemie haben die familienunfreundlichen Arbeitszeiten für Rumoren in der Szene gesorgt. Jetzt sind die Leute weg“, sagt Schliesing.

Niemanden verheizen

Bei der Brauerei Heller sieht es nicht anders aus. „Man ringt sich so durch“, heißt es. Heller betreibt den Biergarten im Volksgarten, da kann es auch mal eng werden – „aber eigentlich geht es uns ganz gut, das Schlimmste haben wir hoffentlich hinter uns“. Die Personalfrage sei immer auch vom Wetter und vom Standort abhängig. Auf der Homepage ist deshalb immer eine Suchanzeige geschaltet.

Wenig Personal, viel Arbeit – das birgt die Gefahr, zu viel von den Servicekräften zu fordern, die sich für den Job in der Gastronomie entschieden haben. „Hier arbeitet jeder am Anschlag. Wir möchten niemanden verheizen“, mahnt Stadtgarten-Gastrochef Michael Fink. Seine eigene Arbeitswoche habe sechs, manchmal sieben Tage. Denn nebenbei übernimmt er noch den Ticketverkauf für die Stadtgarten-Veranstaltungen. Sonst macht’s ja keiner.

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