Serie „Stars aus Köln“ (2)Wie „Melissengeist“ von Köln aus die Welt eroberte

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Melissengeist Frau

Die Ordensschwester Marie Clementine Martin, hier auf einem Gemälde aus dem Jahre 1950, gründete im Jahr 1826 in Köln das Unternehmen Klosterfrau.

  • Es begann am Rhein: In der Serie „Stars aus Köln“ stellen wir Produkte vor, die hier entwickelt worden sind, blicken auf die Entstehung und die Menschen hinter den Unternehmen.
  • Nach der Afri-Cola geht es heute um einen Geist aus der Flasche.

„Ein sich selbst empfehlendes Kölnisch Wasser ist zu haben. Auf der Litsch No. 1, die große Flasche zu sechs Silbergroschen und drei Pfennige“. So lautete der Text einer kleinen Anzeige in der „Kölnischen Zeitung“ vom 6. November 1826, die der Auftakt zu einem großen Geschäftserfolg werden sollte. Verfasst hatte sie die ehemalige Nonne Maria Clementine Martin (1775-1843), die damals im Haus eines betagten Domkapitulars lebte.

Ihre Annonce in der auflagenstärksten Zeitung der preußischen Rheinlande legte den Grundstein für ein Firmenimperium. Dessen Solitär „Melissengeist“ mit dem Slogan „Nie war er so wertvoll wie heute“ und dem Logo der drei Nonnen in einem gotischen Spitzbogenfenster hat heute einen international hohen Bekanntheitsgrad.

Melissengeist (1)

Am 23. Mai 1826 wurde die Firma „Maria Clementine Martin Klosterfrau“ im Magistratsregister eingetragen. Gut drei Jahre später, ab dem 17. Juni 1829, stellt das Unternehmen dann seines „ächtes Carmeliter-Wasser“ in einem Haus am Domhof 19 her.

Schlacht von Waterloo war Wendepunkt ihres Lebens

Als die Ordensschwester Maria Clementine in die wachsende Wirtschaftsmetropole am Rhein kam, hatte sie im Alter von 50 Jahren bereits ein bewegtes Leben hinter sich. 1775 als Offizierstochter in Brüssel geboren, zog sie acht Jahre später mit ihrer Familie nach Jever. Mit 17 Jahren trat sie in das Kloster Sankt Anna in Coesfeld ein. Dort lernte sie nach eigener Darstellung das Mischen von allerlei Heilmitteln. Darunter ein Destillat aus dreizehn Heilpflanzen: Melissenblätter, Alantwurzel, Angelikawurzel, Enzianwurzel, Galgantwurzel, Gewürznelke, Ingwerwurzel, Kardamonsamen, Muskatnuss, Pomeranzenschalen, Schwarze Pfefferfrüchte, Zimtblüte und Zimtrinde. Ein alkoholreiches Elixier (79 Prozent), das Pariser Karmelitermönche schon 1611 hergestellt hatten. Nachdem auch ihr zweites Kloster bei Gronau 1811 säkularisiert worden war, stand Maria Clementine im Alter von 28 Jahren auf der Straße.

Die Erfolgsgeschichte

Schaebens Sohn Robert führte das Unternehmen zwischen 1885 und 1933 weiter, ehe es in Konkurs ging. Wilhelm Doerenkamp erwarb Klosterfrau als Hauptgläubiger aus dem Konkurs und sanierte die Firma erfolgreich.

Nach seinem Tod 1972 wurde die „Wilhelm-Doerenkamp-Stiftung“ im schweizerischen Chur gegründet. 2006 wurde die Klosterfrau Gruppe mit dem Stammsitz in der Gereonsmühlengasse in „Klosterfrau Healthcare Group“ umbenannt. Zu der Gruppe gehören unter anderem die Divapharma GmbH (Berlin) und die Cassella-med GmbH&Co. KG (Köln). Neben den bekannten Klosterfrau Healthcare Group-Produkten wie Klosterfrau Melissengeist, Klosterfrau Mobilind Franzbranntwein und dem Sortiment von taxofit-Produkten werden noch über 200 weitere Produkte vertrieben.

Zum Angebot von Cassella zählen so bekannte Präparate wie neo-angin Halstabletten und Bronchicum. Die Gruppe hat 1700 Mitarbeiter an 17 Standorten. (bro)

Aber statt in eine Sinnkrise zu verfallen, machte sich die klosterlose Nonne als eine Art mobile Ich-AG mit ihrem Universalheilmittel und anderem Gebräu gegen Plagen aller Art auf eine langjährige Wanderschaft. Zum Wendepunkt ihres Lebens wurde die Schlacht bei Waterloo 1815, wo sie sich um verwundete preußische Soldaten unter Generalfeldmarschall Blücher kümmerte. Ihr Einsatz als Sanitäterin in einem Lazarett wurde vom preußischen König Friedrich Wilhelm III. mit einer Leibrente von 160 Talern belohnt – Startkapital für den umkämpften Kölner Markt. Dort rangen über 60 Kölnisch-Wasser-Fabrikanten mit harten Bandagen und rüden Methoden um die Anteile.

Schon bald erwies sich die frühere Ordensschwester als raffinierte Geschäftsfrau mit dem richtigen Riecher. So bat sie in einem Schreiben vom 7. November 1829 an König Friedrich Wilhelm III. um Erlaubnis, ihr Produkt mit dem königlichen Wappen als exklusive Kennung und Markenschutz verwenden zu dürfen. Das Gesuch der „allerunterthängisten und treugehorsamsten Magd“ schloss mit dem Satz: „Es würde für den Rest meiner irdischen Laufbahn kein Wunsch mehr übrig bleiben.“

Ihr Wunsch wurde erfüllt: Mit Kabinettsordre vom 28. November 1829 erhielt sie die Erlaubnis, ihr Produkt mit dem royalen Wappen zieren zu dürfen. Die preußische Protektion mit dem Wappenprivileg bewirkte de facto ein Verkaufsmonopol, das in erheblichem Maße zum großen Geschäftserfolg des „extraordinären Schlagwassers“ beitrug. Wirksam dürfte auch die Praxis Clementines gewesen sein, das Elixier im Gebrauchzettel gesetzeswidrig als Arznei zu verkaufen, galt es doch als „Parfümwaare“.

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Das „arme Nönnchen“, wie sich Maria Clementine selbst bezeichnete, starb 1843 als wohlhabende Frau mit Filialen in Aachen und Bonn und wurde auf Melaten beerdigt. Wenige Monate vor ihrem Tod hatte sie ihren Gehilfen Peter Schaeben als Universalerben eingesetzt; er hatte das Unternehmen 40 Jahre lang erfolgreich geführt. 1845 sorgte er etwa dafür, dass das Elixir als Arznei anerkannt wurde. 1851 wurde sein Produkt auf der Londoner Weltausstellung mit dem ersten Platz ausgezeichnet. Das Unternehmen von Gottes Gunst und Königs Gnaden zählt heute zu den größten für Herstellung und Vertrieb von rezeptfreien Arzneimitteln und Gesundheitspräparaten – für die innere Anwendung gegen Erkältungen und Nervosität und für die äußerliche gegen Muskelbeschwerden. Seit 2011 verkauft Klosterfrau auch Kondome. Die Wege des Herrn sind unergründlich.

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