Zuhälter für über 20 JahreDer Lange Tünn führt heute durchs Friesenviertel

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Porträt des Zuhälters als junger Mann: Der Lange Tünn zeigt alte Fotos von sich und seinem Hund.

Porträt des Zuhälters als junger Mann: Der Lange Tünn zeigt alte Fotos von sich und seinem Hund.

  • Er war mal im Milieu zu Hause – und macht heute was ganz anderes.
  • Der Lange Tünn führt heute durch das Friesenviertel und spricht mit uns über Köln, damals und heute.

Köln – Alles, was der Lange Tünn immer wollte, war trainieren und zocken gehen. Wären da nur nicht die Frauen gewesen. „Ich hab mein ganzes Leben lang nur Theater mit den Frauen gehabt“, sagt er. Das kommt wenig überraschend bei seiner Berufswahl. „Über 20 Jahre war ich Zuhälter.“

Heute führt der 73-Jährige durchs Friesenviertel, wo sich früher die Zocker, Zuhälter und Schläger rumgetrieben haben. Vom Milieu ist nicht mehr viel übrig. Aber das Interesse daran ist groß. „Manchmal hab ich 100 Leute hier“, sagt der Lange Tünn. An diesem Tag sind es etwa 30: Einige ältere Pärchen, ein paar junge Typen und eine Mutter mit ihren vier erwachsenen Kindern.

Schon als Junge im Milieu

Als erstes gibt es vom Tünn eine kurze Einführung in die Sprache des Milieus: „Die Polizei war die Schmier, Zuhälter hießen Beschützer.“ Später folgen die Grundregeln des Milieus. „Die Schmier war unser Todfeind“, sagt der Lange Tünn. „Und man durfte niemals die Freundin eines anderen anmachen.“

Schon als Junge macht der Lange Tünn, der eigentlich Anton Claaßen heißt, die ersten Abstecher ins Milieu. „Ich hab, seit ich sieben, acht Jahre war, mit meinen Eltern in Kalk gelebt“, erzählt er – auf der rechten Rheinseite, der Schäl Sick. „Als ich vierzehn war, bin ich zweimal alleine rübergefahren.“ Im Friesenviertel will er in die Discos – Tivoli und Black Horse und wie sie alle heißen. „Ich bin da rein und hab’ erst mal Prügel gekriegt.“ Freundlicherweise wird er auch über den Grund dafür aufgeklärt: „Du kommst nicht aus Köln.“ Er komme doch aus Kalk, wendet der Lange Tünn ein. Findet damit aber kein Gehör: „Du kommst von der Schäl Sick, die gehört nicht zu Köln.“

Später kommt der Lange Tünn ohne Probleme in die Clubs und Bars – arbeitet auch als Türsteher. Nur wenige Meter vom Start der Tour am Residenz Kino bleibt der Lange Tünn vor einem Möbelgeschäft stehen. „Hier war die Milchbar, da war montags immer Frisösenball – da hatten die Frisösen ja immer frei“, sagt er. „Hömma, hier war das ganze Zuhälter-, Verbrecher- und Schlägervolk drin.“

Der Lange Tünn kennt noch ein paar andere nette Anekdoten zum Laden – alle natürlich super derb. Im Publikum gibt es auch ein paar bestürzte Gesichter, aber bei vielen kommt gerade das heftige Zeug besonders gut an. „Hömma, ich fang’ noch lange nicht an“, sagt der Lange Tünn.

Also geht es weiter über den Ring. Beim nächsten Halt zeigt der Lange Tünn alte Zeitungsartikel über Milieu-Größen wie Schäfers Nas oder den Dummse Tünn, über seinen Auftritt in der Sendung von Jan Böhmermann, es fällt der Name eines Fernsehmoderators, eines Komikers und von Lukas Podolski. „Wenn ich jetzt was über den Podolski sag’, kippt ihr hier um.“

Die Tour durchs Viertel

Der Lange Tünn macht seine Führungen immer freitags, samstags und sonntags. Los geht es um 18 Uhr vor dem Residenz-Kino am Kaiser-Wilhelm-Ring 30 bis 32. Die Führung endet in der Friesenstraße vor den Sartory Sälen.

Die Führung kostet 29 Euro und kann online gebucht werden. „Diese Führung ist nicht für Kinder und Jugendliche unter 18 Jahren geeignet“, heißt es auf der Internetseite – stimmt. Der Spaziergang durchs Friesenviertel dauert zwischen eineinhalb und zweieinhalb Stunden. Am Ende gibt’ s für die Teilnehmer noch ein Kölsch.

Wer mit dem Zug kommt, kann am Hauptbahnhof oder am Hansaring aussteigen und zu Fuß zum Residenz gehen. Die Linien 12 und 15 halten an der Christophstraße/Mediapark. Von dort ist das Kino zu sehen. Für alle, die mit dem Auto kommen, gibt es zahlreiche Parkhäuser in der Nähe.

www.derlangetuenn.koeln

Es folgt eine feine Geschichte über die Luden-Mannschaft, mit der die Kölner Zuhälter früher kickten und wie sie mit Dieter Becker, genannt Beckers Schmal, nach Hamburg fuhren, um gegen die Hamburger Kollegen anzutreten. „Beckers Schmal war unser Zuhälterpräsident“, erklärt der Tünn. „Und unsere Mannschaft hieß FC-Johnny, weil alle Zuhälter Johnny Walker gesoffen haben.“ Die wöchentliche Mannschaftssitzung fand im Hinterzimmer von Beckers Kneipe statt – dem Klein Köln. Dort waren neben Zuhältern, Einbrechern und Hehlern auch bekannte Boxer wie René Weller anzutreffen.

Die Tünn-Show geht weiter. Nicht nur die alten Geschichten kommen beim Publikum gut an, sondern auch seine Gedanken zum Zeitgeist: „Früher war nur tätowiert, wer im Knast war oder zur See gefahren ist.“ Wie mit den Junggesellenabschieden zu verfahren ist, die ständig durch die Stadt ziehen, auch dafür hat er eine Lösung parat: „Hömma, die hätten wir früher direkt weggehauen – alle Male.“

Disco neben dem „Wurst Willy“

An der Ecke Hohenzollernring-Im Klapperhof geht es wieder in die Vergangenheit. „Der Name steht da seit 60 Jahren dran“, sagt der Tünn und zeigt auf den Imbiss mit dem Schriftzug „Wurst Willy“. Direkt nebenan war eine Disco. „Da passten 500 Leute rein“, sagt der Lange Tünn. „Da haben alle Huren auf ihren Beschützer gewartet.“ Vor der Tür habe rund um die Uhr ein Notarztwagen gestanden. „Wenn da drinnen einer deine Frau angemacht hat, musstest du kommen und den Typ K.O. hauen.“ Er sei auch mal zum Wagen rüber, um zu fragen, warum die da immer stehen. Antwort: „Weil wir alle 15 Minuten gerufen werden.“ Da habe er angeregt: „Baut doch hier ein Krankenhaus hin.“

Nächster Stopp: Päff am Friesenwall. Vor der Tür des Lokals steht der Besitzer, grüßt den Langen Tünn. Der ist gerade gut in Fahrt. „Ich bin da jeden Tag hundertmal dran vorbei, war aber nie drin“, sagt er. „Und dann gehe ich da einmal rein, morgens um halb sechs, passiert ein Mord.“ Der Tünn – so erzählt er – hatte vorher 5000 Mark verzockt, war müde, hatte Hunger und wollte nur nach Hause.

„Jeder in Köln weiß, ich hasse alle Österreicher“

Drinnen im Päff sitzt der Zuhälter „Harry der Österreicher“. „Jeder in Köln weiß, ich hasse alle Österreicher“, erklärt der Lange Tünn seinen Zuhörern. Damals habe es viele Luden aus Österreich gegeben, die österreichischen Huren hätten sich aber nicht von Kölnern anmachen lassen. Jedenfalls sitzt der Lange Tünn an dem Morgen im Päff neben Harry, als Willi Prumbaum reinkommt – der „König der Friesenstraße“, eigentlich ein lieber Typ. „Nur wenn der gesoffen hatte, hat der Leuten auf den Kopp gehauen“, sagt der Tünn. „Hömma, der war stark ohne Ende.“

Willi setzt sich dazu, will von Harry die 1000 Mark, die der ihm schuldet. „Gib dem Willi lieber die 1000 Mark“, sagt der Tünn. Harry der Österreicher geht zur Toilette. Als er zurückkommt, versucht Prumbaum noch mal seine Schulden einzutreiben. „Plötzlich fällt Willi von seinem Hocker. Der war nur noch am Röcheln. Ich sag: Ist der kapott?“, erzählt der Tünn. Der Österreicher hat sich auf der Toilette ein Messer in die Jacke gesteckt, Prumbaum damit ins Herz gestochen. „Wir sind mit tausend Mann zur Beerdigung hin.“

Die Tour geht weiter den Friesenwall entlang. „Der Rattenfänger von Köln“, grüßt ihn ein Typ, der vor einer Bar sitzt, als der Lange Tünn mit der Gruppe im Schlepptau vorbeikommt. Zum Schluss nimmt er alle mit ins Heising und Adelmann. Der Lange Tünn macht dort Selfies mit den Teilnehmern. Plaudert noch ein bisschen mit ihnen. Ist er eigentlich verheiratet? „Ich war nie verheiratet – ich hab ja nichts inner Buchs.“ Für alle gibt es Kölsch, für den Langen Tünn einen Kaffee. Getrunken hat er noch nie, sagt er, geraucht auch nicht . „Ich bin so eine alte Kaffee-Tante.“

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