Interview der WocheArzu Durmus setzte sich durch um Jungschiedsrichterin zu werden

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Mit den Gelben und Roten Karten, die Arzu Durmus aufgehoben hat, verbindet sie eine besondere Erinnerung.

Mit den Gelben und Roten Karten, die Arzu Durmus aufgehoben hat, verbindet sie eine besondere Erinnerung.

Als Arzu Durmus (45), damals noch Arzu Durak, 1991 die Prüfung zur Fußball-Jungschiedsrichterin ablegte, war sie die einzige Frau unter den Teilnehmern. Für die damals 16-jährige Bergneustädterin war das ein großer Schritt, über den Andrea Knitter mit ihr sprach. Der Frauenfußball ist in diesem Jahr 50 geworden. Auch Sie haben darin in Oberberg ein kleines Kapitel geschrieben. Wie haben Sie sich wieder daran erinnert? Arzu Durmus: Es war das Interview mit dem Ehepaar Fröhlich zu 50 Jahren Frauenfußball im SSV Bergneustadt. Da wurden Erinnerungen bei mir wach. Frauenfußball war auch 1991, als ich Jungschiedsrichterin war, noch kein einfaches Thema in der Gesellschaft. Ich erinnerte mich an die Zeitungsartikel in der Oberbergischen Volkszeitung und im Oberbergischen Anzeiger, die über meine erfolgreich abgelegte Prüfung als einzige Frau berichteten.

Was hat Sie bewogen, Schiedsrichterin zu werden?

Ich hatte einen ausgeprägten Gerechtigkeitssinn. Zudem gingen im Fußball immer mehr das Sportliche und die Fairness verloren. In der Schule war ich oft Klassensprecherin und musste bei Streitigkeiten vermitteln. Einige Entscheidungen von Schiedsrichtern waren nicht nachvollziehbar. Da hat mich das Ehrenamt des „Unparteiischen“ herausgefordert.

Das Jahr 1988, in dem das Fußballspiel zwischen der Bergneustädter Familie Haselbach und einer Prominentenmannschaft stattfand, war auch für mich sehr prägend. Ich durfte damals als 14-Jährige Birgit Haselbach einen Blumenstrauß überreichen und empfand sie als eine taffe Frau. Sie war die einzige Frau in der Mannschaft, die Fußball spielte.

Hatten Sie einen Bezug zum Fußball?

Ja, ich habe zwar nicht selber gespielt, bin aber mit meiner Familie immer mit zu den Spielen gefahren. Mein Vater hatte 1970 als Spieler die 3. Seniorenmannschaft im SSV Bergneustadt – Türken – mitgegründet und 1990 auch den Verein Baris Spor Hackenberg, dessen Namensgeber er war. Das gesellschaftliche Zusammentreffen sonntags mit Frauen und Kindern auf dem Sportplatz war wie ein Familienausflug.

1991 haben Sie den Kurs für die Jungschiedsrichter besucht. Was hat dafür den Ausschlag gegeben?

Da muss ich ein bisschen ausholen. 1990 stellte einen gesellschaftlichen Bruch dar, der sich in der Gründung von Baris Spor auch widerspiegelte. Baris heißt übrigens Frieden. Da waren der Mauerfall in Deutschland, der Golfkrieg und die ersten fremdenfeindlichen Bewegungen. Im Fußball prallten die gesellschaftlichen Auseinandersetzungen aufeinander, auch wenn es in der türkischen Community noch bunt war. Ich war jeden Sonntag bei Baris Spor das einzige Mädchen auf dem Fußballfeld. Doch meinem Vater wurde nahegelegt, dass ich nicht mehr zu den Spielen komme.

Dann war es eher aus Protest, dass Sie Schiedsrichterin wurden?

Im Grunde genommen schon. Dadurch sollte eine Lanze für die Frauen gebrochen werden. Ich wollte eine Legitimation, um als Frau auf dem Fußballplatz zu sein. Dabei waren mir die Einhaltung der Regeln und die Fairness im Sport immer wichtig.

Wie haben Sie von dem Kurs erfahren?

Ich habe die Anzeige in der Zeitung gelesen, in der Jungschiedsrichter gesucht wurden. Da habe ich Beate Östreich angesprochen, die damals beim SSV Bergneustadt meinen Bruder trainiert hat. Sie hat mir geholfen und erklärt, dass ich Mitglied in einem Verein sein muss, für den ich pfeife. Sie hat mich über den SSV angemeldet.

Als einzige Frau im Kurs war es sicher nicht einfach, aber auf dem Platz wohl auch nicht, oder?

Während des Seminars waren die Männer nicht gerade zurückhaltend mit ihren Bemerkungen. In der ersten Woche des Seminars gab es noch eine weitere junge Frau, doch sie zog es nicht durch. Den nötigen Respekt habe ich mir durch den guten Abschluss meiner Schiedsrichterprüfung und durch Leistung erarbeitet. Plötzlich stand ich auf dem Fußballplatz und meine Umkleidekabine war der Putzraum. Frauen an der Pfeife waren damals wohl nicht vorgesehen.

Mir zur Seite wurde ein türkischstämmiger Schiedsrichter gestellt, der durch seine eigenen Einsätze kaum Zeit hatte, um mich zu den Spielen zu begleiten. Langzeitpatenschaften waren nur im Seniorenbereich vorgesehen, nicht im Juniorenbereich. Aber immerhin durfte ich mit ihm Spiele der Seniorenmannschaften auch in der Bezirksliga leiten. Es wurde aber mit der Zeit zunehmend schwieriger für mich.

Wieso?

Ich habe ja nicht im Verein Fußball gespielt und war Einzelkämpferin. Im SSV Bergneustadt gab es ja keine Mädchenmannschaft und bei Baris Spor auch nicht. Also habe ich bei den Jungs im SSV mittrainiert, um mit den Fußballern sportlich mithalten zu können.

Wissen Sie noch, was das erste Spiel war, das sie gepfiffen haben?

Ich meine, das wäre ein Turnier auf dem Bursten gewesen. Ich habe mich damals besonders darüber gefreut, dass mein Vater auf der Tribüne saß. Dass er mich von Anfang an mit zum Fußball genommen hat, liegt vielleicht daran, dass mein Vater sehr liberal ist und aus Izmir kommt. Das ist nicht nur die liberalste Stadt in der Türkei, sondern auch der Vorreiter für den Frauenfußball in dem Land.

Erinnern Sie sich an ein besonderes Erlebnis?

Ja, das war die einzige Rote Karte, die ich je gezeigt habe und die heute noch, nach fast 30 Jahren, für Diskussionen in der Familie sorgt. Es war im Spiel Morsbach gegen den SSV Bergneustadt. Aufgrund eines uneindeutigen Foulspiels meines Bruders wurde meine Unparteilichkeit massiv infrage gestellt. Ich musste nach Verwarnung meinen Bruder durch eine Gelb-Rote Karte des Platzes verweisen. Er war ein sehr guter, ehrgeiziger Spieler und hat sogar als Senior in der Oberliga gespielt.

Warum war dann nach einem Jahr bereits Schluss mit dem Pfeifen?

Mit 16 Jahren war es schwierig für mich, ohne eigene Mobilität zu den Plätzen zu kommen. Ich stand zudem vor einer neuen schulischen Herausforderung, wollte eine höhere Bildung erlangen und strebte das Abitur an. Das war nicht einfach. So musste ich Prioritäten setzen und brauchte meine Energie für die Schule. Außerdem habe ich im Geschäft meiner Eltern und in der Familie als ältestes Kind viel Verantwortung übernommen. Viele Dinge, die ich mir erarbeiten musste, sind heute selbstverständlich.

Das gilt nicht nur für den gesellschaftlich so wichtigen Fußball. Ich blicke aber glücklich auf die vielen gemischten Mannschaften und freue mich, wenn ich sehe, wie viele Mädchen, auch türkischstämmige, heute in gemischten Jugendmannschaften Fußball spielen und das es auch in der türkischen Community mittlerweile selbstverständlich ist.

Hat Ihnen der Fußball bei Ihrem Lebensweg geholfen?

Ja, dieses Ehrenamt hat meine Persönlichkeitsentwicklung geprägt und mir Selbstvertrauen gegeben. Das Ehrenamt hat mir gezeigt, wenn Frau will, kann sie vieles schaffen. Als Mutter habe ich noch mit sehr guten Leistungen ein berufliches Studium zur Tourismus-Betriebswirtin absolviert und fast zehn Jahre lang die Kreisgeschäftsstelle einer politischen Partei geleitet. Ich habe gelesen, dass Schiedsrichter in einem Spiel 200 Entscheidungen fällen – und das ist doch etwas.

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