Burgberg bei LobscheidSo läuft eine Drückjagd im Oberbergischen ab

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Ein Wildschwein ins Visier zu bekommen, erfordert einigen Aufwand. Die Treibergruppen versuchen im unwegsamen Gelände, die Tiere in ihren Tagesverstecken aufzuscheuchen. Das Jagdhornblasen gehört zum Ritual.

Ein Wildschwein ins Visier zu bekommen, erfordert einigen Aufwand. Die Treibergruppen versuchen im unwegsamen Gelände, die Tiere in ihren Tagesverstecken aufzuscheuchen. Das Jagdhornblasen gehört zum Ritual.

Gummersbach – Der Winter ist die Zeit der Gesellschaftsjagden. Treiber rücken  aus, um  das Wild aufzuscheuchen und vor die Flinten der Jäger  zu bringen.   Beim Katz-und-Maus-Spiel mit Reh und Wildschwein mühen sich Jäger und Treiber  ohne Erfolgsgarantie.

Plötzlich bleibt Armin Lobscheid stehen. Und lauscht ins Gebüsch, wo sein Hund offenbar gerade ein Wildschwein ausgespürt hat. Lautlos nimmt er sein Gewehr von der Schulter und macht sich schussbereit. Im Dickicht raschelt es. Dann senkt er die Waffe wieder. Nach einigen Augenblicken ist klar: Die Sau ist in der anderen Richtung entwichen.

Ohnehin hätte Lobscheid nur zum Selbstschutz schießen dürfen, denn heute ist der erfahrene Waidmann als Treiberführer eingeteilt. Alle sind per Du, so ist es unter Jägern üblich, obwohl sich die sozialen Schichten durchaus mischen. Grüne Lodenmäntel sieht man an diesem nasskalten Samstagmorgen nicht. Die vielen Männer und wenigen Frauen, die zwei Stunden zuvor auf einer Wegekreuzung im Wald bei Gummersbach-Rospe zusammengekommen sind, tragen Funktionskleidung in grellem Orange. Die Signalfarbe schützt Jäger und Treiber vor lebensgefährlichen Verwechslungen. Dass die Jacken zudem ein Tarnmuster haben, ist kein Widerspruch: Das Wild ist weitgehend farbenblind.

Etwa 30 Teilnehmer der Drückjagd, zu der die Revierpächter Klaus Rothstein und Rainer Büttner eingeladen haben, steigen in die Autos und werden zu ihren Hochsitzen rund um den Burgberg bei Lobscheid gefahren. Zugleich machen sich ebenso viele Treiber auf, um sich gruppenweise mit ihren Hunden durchs Unterholz zu kämpfen und die Waldtiere aufzuscheuchen. Ob kaum durchdringliches Nadelgehölz oder stacheliges Brombeerdickicht – wo Wanderer auf der Suche nach einer Abkürzung umkehren würden, schreiten Treiber und Hunde wacker voran. Rufend und mit Stöcken auf die Bäume schlagend lärmen sich die Treiber durch den Wald.

Viel Aufwand, wenig Ertrag

Die vielköpfige Schar unter einen Hut zu bekommen, hat monatelange Vorbereitung erfordert. Dazu kamen Absprachen mit den Behörden. Die Revierpächter lassen die Burbachstraße an diesem Vormittag teilweise sperren, um Wildunfälle zu vermeiden. Ihre Helfer errichteten zusätzliche Hochsitze, stellten Warnschilder auf und zogen Flatterbänder quer über die Waldwege, um Wanderer aus der Schusslinie zu halten. Der Aufwand ist immens und wird sich am Ende nicht unbedingt gelohnt haben, zumindest nicht hinsichtlich der Jagdstrecke, also der erlegten Tiere.

Ein Wildschwein ins Visier zu bekommen, erfordert einigen Aufwand.

Ein Wildschwein ins Visier zu bekommen, erfordert einigen Aufwand.

Die Organisatoren nehmen die Sicherheit sehr ernst. Sie wollen nicht verantwortlich sein, wenn doch einmal etwas schiefgehen sollte. Jeder Teilnehmer muss seinen Jagdschein vorzeigen und bekommt einen Zettel mit Verhaltensregeln in die Hand gedrückt. Als Jagdleiter schärft Rainer Büttner in seiner Begrüßung allen Schützen noch einmal ein, dass sie nur schießen dürfen, wenn die Kugel direkt hinter dem Ziel in den Boden eindringen kann.

Meinungen

Pro

Die Befürworter halten die Jagd in der deutschen Kulturlandschaft für notwendig: Ohne Jäger würden Rehe und Hirsche den Wald und Wildschweine die Landwirtschaft übermäßig schädigen. Der Jäger übernehme die Rolle ausgerotteter Raubtiere. „Nur wer Lebensräume gestaltet, kann ihre natürlichen Ressourcen auch nachhaltig nutzen“, sagt der Deutsche Jagdverband. Die Jäger beteiligten sich am Naturschutz mit dem Anlegen und der Pflege von Biotopen wie Wildäckern, Hecken und Gebüschen und Maßnahmen für gefährdete Arten.

Contra

Die Gegner glauben, dass die Natur sich in unbejagten Gebieten selbst reguliere und die Jagd somit überflüssig sei. Mehr noch: Die Jagd schaffe ein Ungleichgewicht. Durch die Hege würden überhöhte Bestände bei Rehen und Wildschweinen erst geschaffen, während andere Arten durch die Jagd in ihrer Existenz bedroht seien. Die jagdkritischen Vereinigungen gehen davon aus, dass bei der Drückjagd ein Großteil der Wildtiere nicht schmerzlos an einem Blattschuss stirbt, sondern nach Kiefer-, Bauch- oder Laufverletzungen qualvoll verendet. (tie)

Während die Treibergruppen in breiter Front auf festgelegten Abschnitten durch das Revier streifen, lauern die Jäger auf ihren Hochsitzen. Dirk Adolphs hat sich im Wald nahe Vollmerhausen postiert. Schon als er in Stellung geht, sieht er einige Rehe. Später kommt eine Ricke in Schussweite – aber im vollen Lauf. Adolphs verzichtet auf einen Versuch mit unsicheren Erfolgsaussichten.

Zu den Verhaltensregeln gehört, dass trächtige Wildschweinbachen und Rehböcke geschont werden sollen. Letztere, erläutert Revierpächter Rothstein, werfen im Herbst ihr Geweih ab, bieten im Winter also keine Trophäe. Ansonsten gibt es keine Beschränkungen. Was da kreucht und fleucht, ob Fuchs oder Dachs, Wildtaube oder Elster, ist zum Abschuss freigegeben. Besonders Augenmerk gilt derzeit dem Wildschwein. Um einer drohenden Ausbreitung der Afrikanischen Schweinepest vorzubeugen, ist den Jägern aufgetragen, den Bestand möglichst niedrig zu halten. Dafür muss man aber auch treffen.

Es ist schon kurz nach Mittag, als eine Sau Dirk Adolphs entgegenläuft, von rechts oben den Waldhang hinunter. Als sie in 60 Metern Entfernung eine Lücke zwischen zwei Bäumen erreicht, trifft sie der Schuss – mitten ins Herz, wie sich beim Ausweiden zeigen wird. Das Tier taumelt noch zehn Meter weit, dann fällt es um.

Das Jagdhornblasen gehört zum Ritual.

Das Jagdhornblasen gehört zum Ritual.

Quote etwa bei 1:3

Im Idealfall ist jeder Schuss ein tödlicher Treffer. Im Durchschnitt, sagt Kreisjagdberater Baldur Neubauer, liegt die Quote etwa bei 1:3. An diesem Tag geht mehr daneben. Die Treiber hören in der Ferne immer mal wieder einen Schuss knallen.

Baldur Neubauer bedauert, dass im neuen Jagdgesetz zwar der Nachweis vorgeschrieben ist, dass man das Schießen regelmäßig übt, nicht aber mehr, dass man es auch kann. „Das Wild gut zu treffen, ist eine Frage des Tierschutzes“, sagt Neubauer. In dieser Hinsicht kennt der Kreisjagdberater, eine Art Vermittler zwischen Jägern und Aufsichtsbehörde, kein Pardon. Unnötiges Leiden soll unbedingt vermieden werden. Wildes Rumgeballere ist unter echten Waidmännern deshalb verpönt. Aber das Jagdfieber und den Finger am Abzug zu kontrollieren, ist ebenso so schwer wie ein guter Schuss.

 Die Treibergruppen versuchen im unwegsamen Gelände, die Tiere in ihren Tagesverstecken aufzuscheuchen.

 Die Treibergruppen versuchen im unwegsamen Gelände, die Tiere in ihren Tagesverstecken aufzuscheuchen.

Ganz ohne Jagdfieber geht es andererseits auch nicht. Die reine Liebe zur Bewegung in der Natur hätte an diesem nasskalten Tag sicher nicht so viele Menschen in den Wald gelockt, und auch nicht das forstwirtschaftliche und ökologische Pflichtbewusstsein. „Wenn man ehrlich ist“, meint hinterher Kreisjagdberater Neubauer, „dann muss man auch zugeben: Die Jagd macht mir Freude, und das Beutemachen gehört dazu.“

Bei Jagdende am frühen Nachmittag besteht die Strecke lediglich aus zwei Wildschweinen und zwei Rehen. Treiberführer Armin Lobscheid und einige andere musikalische Jäger nehmen Aufstellung. Wie es der Brauch vorsieht, blasen sie auf ihren Jagdhörnern die Signale zum Abschluss der Jagd. Danach werden die Tiere noch im Wald ausgenommen.

Bei weitem nicht alle Schützen, die heute bei winterlichen Temperaturen regungslos ausharren mussten, haben Wild zu Gesicht bekommen, schon gar nicht in Schussnähe. Zum Trost laden die Revierpächter am Ende ihre Gäste, natürlich auch die völlig durchnässten Treiber, zu einem Teller Wildschweingulasch ein, das Revierpächter Rainer Büttner zubereitet hat.

Das Wildbret schmeckt hervorragend. Auch weil man weiß: Die wenigsten Tiere, die in diesen Tagen als Festmahl aufgetischt wurden, haben so artgerecht gelebt wie dieses.

Jagd in Zahlen

Die Kreisjägerschaft Oberberg ist Dachverband von 1500 Mitgliedern, die in 17 örtlichen Hegeringen organisiert sind und in 220 Revieren auf die Pirsch gehen. Sie ist eine von 52 Kreisjägerschaften des NRW-Landesjagdverbands. Von der Gesamtfläche des Oberbergischen Kreises kann laut Kreisjägerschaft auf etwa 80 Prozent gejagt werden. Das Jagdrecht liegt beim Eigentümer, der es über eine Jagdgenossenschaft verpachten lassen kann. Es ist möglich, dies aus ethischen Gründen zu verweigern.

Im Oberbergischen Kreis gibt es keine Abschussquoten, aber Zielvorgaben und Streckenlisten, die Kreisjagdberater Baldur Neubauer führt. Bei einer „Drückjagd“ werden vor allem Reh und Wildschwein ins Visier genommen. Bei einer „Treibjagd“ wird demgegenüber meist im freien Feld auf Hasen gejagt.

Im Wildstandsbericht für 2017/18 ist die Zahl des geschossenen Wilds, aber auch die der nach Krankheit oder Unfall tot aufgefundenen Tiere („Fallwild“) dokumentiert. Demnach wurden 4226 Rehe (davon 1216 Fallwild) und 2876 Wildschweine (148) gezählt, zudem 1658 Füchse (257), 264 Dachse (104), 137 Feldhasen (61), 50 Steinmarder (27), 38 Waschbären (2), neun Kaninchen (0), jeweils zwei Iltisse und Hermeline (1) sowie einen Marderhund. Dazu kommt das Federwild, darunter 872 Aaskrähen und 385 Ringeltauben.

Rotwild tritt im Oberbergischen Kreis in der Regel nur auf der Durchwanderung auf und dann meist im Waldbröler Nutscheid-Höhenzug. Im Wildstandsbericht sind drei Tiere vermerkt. Damwild findet sich in Engelskirchen und Gummersbach, der Bericht nennt 192 (19) Tiere. Sogar das Mufflon, ein Wildschaf, das eigentlich auf Korsika und Sardinien zu Hause ist, läuft in Oberberg herum, insbesondere in Engelskirchen, Gimborn und Lindlar. Mehr als 100 Stück Muffelwild wurden in der vergangenen Saison erlegt. (tie)

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