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PsychotherapeutDer Gummersbacher Matthias Stinn hilft vor allem Männern

Lesezeit 5 Minuten
Therapeut Matthias Stinn in der Hocke auf einem grünen Teppich, vor sich hat er Bücher liegen.

Zwischen den Stühlen finden sich viele Männer wieder, angesichts widersprüchlicher Anforderungen. Matthias Stinn (37) hilft beim Orientieren.

Psychotherapeut Matthias Stinn in Gummersbach-Dieringhausen hilft vor allem Männern, die eigentlich nicht in Therapie wollen.

Haben wir das nicht längst hinter uns? Schon 1984 sang Herbert Grönemeyer: „Männer haben's schwer, nehmen's leicht, außen hart und innen ganz weich, werd'n als Kind schon auf Mann geeicht.“ Nun ja, Matthias Stinn (37) hat auch 40 Jahre später genug zu tun.

Derzeit hat seine auf Männer spezialisierte psychotherapeutische Praxis in Gummersbach-Dieringhausen keine freien Kapazitäten. Die Männlichkeit ist noch immer vielen Menschen eine Bürde, die krank macht.

Stinns Behandlungszimmer im schmucken Altbau an der Dieringhauser Straße ist groß und karg möbliert. Eine Couch gibt es nicht, nur zwei Sessel und Platz genug, um sich zu bewegen. Im Gespräch springt der Therapeut häufig auf, etwa um pantomimisch Spaghetti zuzubereiten.

Psychotherapeutische Praxis in Gummersbach-Dieringhausen

Es ist Verhaltenstherapie, was Stinn praktiziert, keine Psychoanalyse. Die Seelenerforschung auf letztere Art, die Sigmund Freud einst an hysterischen Patientinnen entwickelt hat und die besonders von Frauen fortgeführt wurde, fordert eine Auskunftsbereitschaft, die Männern oft fehlt.

Und da sind wir auch schon beim Problem. „Studien zeigen, dass weibliche Säuglinge auf den Arm genommen werden, wenn sie weinen“, führt Matthias Stinn aus. „Kleine Jungs werden abgelenkt.“ Den männlichen Babys bleibt der Trost verwehrt, sie lernen noch immer früh die eiserne Regel: Ein Indianer kennt keinen Schmerz.

Gummersbacher Therapeut setzt auf Verhaltenstherapie

Bei der Sozialisation zum Mann werden sie darauf trainiert, ihre Gefühle zu kontrollieren, besser noch zu unterdrücken. So aber haben Männer dann auch keinen Zugang mehr zu den Signalen ihrer Bedürfnisse wie Angst, Scham oder Trauer.

Statt im Zustand der Überforderung Konsequenzen zu ziehen und Hilfe einzufordern, verdrängen sie das Problem mit Kaffee oder Alkohol. Das Symptom wird zum Scheinproblem: „Ich erlebe es nicht selten, dass ein Patient fragt: Was kann ich machen, dass ich auf der Beerdigung nicht in Tränen ausbreche?“

Klientel in Gummersbach unterscheidet sich nicht von Köln

Matthias Stinn ist in Bensberg aufgewachsen. Er lebt mit seiner Frau und den beiden Töchtern in Köln. 2021 eröffnete er in Gummersbach seine Praxis, weil der dortige Kassensitz erschwinglich war, aber auch weil er es schätzte, in der ruhigeren Lebensrealität des Landlebens zu arbeiten, selbst wenn es in diesem Fall die stark frequentierte Dieringhauser Ortsdurchfahrt ist.

Seine Klientel, sagt Stinn, unterscheide sich nicht von der Stadtbevölkerung und umfasse alle Altersgruppen – allerdings weniger die Milieus, in denen ein „starker Mann“ noch immer das Ideal ist.

Gesprächsgruppe für Männer in Gummersbach

Frauen gehören zu seinem Versorgungsauftrag, der Therapeut glaubt aber, dass es einen besonderen Bedarf an männerspezifischen Behandlungen gibt, weil es spezifische Probleme sind, die sich bei Männern auftun, sei es beim Körpergefühl und der Gesundheit, sei es bei der Sexualität und der Pflege von Freundschaften.

Letzteres falle vielen Männern besonders schwer, dabei zeige die Forschung, dass es keinen wichtigeren Faktor für Gesundheit und Zufriedenheit im Alter gebe, als die Qualität der Sozialkontakte, die man(n) im Alter von 50 Jahren unterhält. „Es ist unter Männern dieses Alters leider sehr selten, dass man einen Freund hat, dem man sich ganz anvertraut.“

Einzeltherapie bei Panikattacken oder Suizidgedanken

Wer mit Panikattacken oder Suizidgedanken zu ihm komme, brauche den geschützten Raum der Einzeltherapie. Wenn ihre seelischen Nöte nicht (mehr) so akut sind, führt Stinn seine Patienten gern in einer Gesprächsgruppe zusammen. „Das hat den Vorteil, dass sie sehen: Ich bin nicht der einzige Depp, dem es so geht.“

Und Matthias Stinn zählt sich selbst dazu. Er raucht weder Pfeife noch trägt er einen weißen Bart, sondern wirkt eher jünger, als er ohnehin ist. Er versteht sich nicht als abgehobener Ratgeber, sondern als „Spielertrainer“ mit eigener männlicher Leidensgeschichte.

„Ich bin in einer Kleinstadt aufgewachsen, war in einer Jungsclique, habe Mutproben gemacht und weiß, wie es ist, wenn man als 15-Jähriger nur etwas gilt, wenn man fünf Liter Bier verträgt.“ Aber diese Sozialisation ist eben kein Naturgesetz.

Und die seelischen Beschädigungen lassen sich vermeiden oder zumindest mildern, meint Stinn. Er versteht sich nicht als radikaler Feminist, der die traditionelle Männlichkeit komplett überwinden will. „Ich habe immer noch voll Bock auf Fußball“, versichert der Therapeut und lächelt.

Therapeut in Gummersbach will dem Burn-Out vorbeugen

Er möchte das männliche Selbstverständnis aber gestalten. „Anders als die Generation unserer Väter und Großväter können wir selbst entscheiden, ob wir diesen Deal eingehen.“ Und das kann und sollte man tun, bevor der Burn-out eintritt. „Die therapeutische Ausbildung ist stark an seelischen Krankheiten orientiert“, sagt Matthias Stinn, „also an Ängsten, Zwängen, Traumata.

Wir wissen zu wenig über die Erhaltung der seelischen Gesundheit.“ Darum will er sich künftig stärker kümmern. Sein Ziel ist es, mit Vorträgen wie dem am 18. April in Gummersbach, mit Seminaren und Workshops Männer zu erkennen, dass „außen hart und innen ganz weich“ auf die Dauer nicht gut geht.


Halle 32: Gespräch mit David Bürgerhausen und Matthias Stinn

Matthias Stinn will nicht nur therapieren, sondern vorbeugen. Einen Mitstreiter hat er in dem Kölner Arzt David Bürgerhausen gefunden. Am Donnerstag, 18. April, 19 Uhr, treten die beiden zusammen bei einer Veranstaltung in der Gummersbacher Halle 32 (Raum L&C) auf.

Es geht um nicht weniger als „Das Leben als Mann und das Glück“. Rahmen ist die Reihe „Forum XXelle“, die von den Gleichstellungsbeauftragten der Städte Gummersbach und Wiehl organisiert wird und sich schon im Titel vor allem an Frauen richtet.

Mindestens eine Veranstaltung pro Halbjahr soll aber künftig für Männer veranstaltet werden. Abgesehen davon, dass die Veranstaltungen ohnehin jedermann und -frau offen stehen. (tie)