Verbotene Szene in OberbergWie gefährlich die Welt der „Reichsbürger“ wirklich ist

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Im Fokus der Behörden stehen die Reichsbürger wegen eines erheblichen Gewaltpotenzials und wegen ihrer Waffen. Das zeigte auch bei der Razzia im März in Windhagen.

Im Fokus der Behörden stehen die Reichsbürger wegen eines erheblichen Gewaltpotenzials und wegen ihrer Waffen. Das zeigte auch bei der Razzia im März in Windhagen.

Gummersbach – Im März haben Einsatzkräfte im Rahmen eines bundesweiten Schlags gegen den verbotenen Verein „Geeinte deutsche Völker und Stämme“ auf einem Anwesen in Windhagen Waffen sichergestellt: Unter anderem wurden drei abgesägte Schrotflinten, drei Armbrüste und zwei Macheten gefunden. Das Ergebnis der Razzia, die über Oberberg hinaus Aufsehen erregte, war nun Anlass für ein Informationsangebot der Gummersbacher Volkshochschule.

Digitale Volkshochschule

Die lebhafte Beteiligung am Vortrag über die Reichsbürger-Szene bestätigen VHS-Leiter Dominik Clemens darin, das Online-Angebot auszubauen. „Wir hatten diesen Plan sowieso auf der Agenda. Nun waren wir gezwungen, die Entwicklung zu beschleunigen.“ Nach einem Yoga-Pilates-Kurs war es das zweite eigene Online-Angebot, das die VHS auf die Beine gestellt hat. „Bisher gibt es rund 25 rein digitale Angebote, die wir von anderen Einrichtungen übernehmen“, erläutert Clemens. „Jetzt, da feststeht, dass die Volkshochschule geschlossen bleibt, werden wir das Angebot ausweiten.“

Laut Kreisschuldezernentin Birgit Hähn folgt die Gummersbacher VHS einer Aufforderung der Landesregierung. Auch die Volkshochschule des Oberbergischen Kreises bietet bis Ende Juni acht Online-Vorträge an – unter anderem zu den Themen Künstliche Intelligenz, zur Macht im digitalen Raum, zum großen Geld im Fußball und zur Biologie des glücklichen Lebens. Den Auftakt macht am Dienstag, 21. April, 16 Uhr, ein Vortrag über Andy Warhol. Für alle Online-Angebote ist eine Anmeldung unter www.vhs-oberberg.de bis 12 Uhr des jeweiligen Veranstaltungstags erforderlich. (ms)

Leiter Dominik Clemens erläutert: „Im Rahmen unseres Auftrags zur politischen Bildung wollten wir schnell ein Angebot zur Information über die Reichsbürgerszene machen.“ Mitveranstalter war das Netzwerk gegen Rechts. Für den Online-Vortrag mit dem Titel „Reichsbürger/innen – eine facettenreiche, gefährliche Bewegung“ wurde Andras Speit gewonnen, der sich als Autor und Journalist seit vielen Jahren intensiv mit der Szene beschäftigt.

Rasanter Zulauf gerade in Oberberg

Das Interesse war groß. Fast 100 Zuhörer folgten zu Hause an PC, Tablet oder Handy den Informationen des Referenten über eine heterogene Szene, die, so Dominik Clemens, gerade in Oberberg rasanten Zulauf hat: Waren 2016 hier rund 100 Reichsbürger bekannt, so werden vom Staatsschutz mittlerweile rund 150 Personen der Bewegung zugeordnet, die die Bundesrepublik als Staat sowie ihre Einrichtungen und Autoritäten ablehnen und sich einem „Reich“ zugehörig fühlen – „sei es das von 1933, 1937 oder auch das des 18. oder 19. Jahrhunderts“, erläutert Referent Speit.

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Das zeige schon, mit welch zersplitterter Szene man es zu tun habe. Mehr als 30 Projekte und Organisationen habe er im Laufe seiner Recherchen identifiziert. „Nicht alle sind rechtsextrem, aber es gibt zahlreiche Überschneidungen.“ So finden sich antisemitisches Gedankengut und auch äußerst konservative Vorstellungen über die Rolle der Frau. „Drei Viertel der Reichsbürger sind Männer zwischen 40 und 60.“

Großes Geschäft im Internet

Es sei eine Szene, die im Internet großen Zulauf und ein großes Geschäft eröffnet habe. Die sogenannte „Opferhilfe“ verspreche Unterstützung beim Einspruch gegen Strafzettel oder Steuerbescheide. Die dubiosen Helfer kassierten für ihre Dienstleistung, obwohl am Ende das Bußgeld dann doch unvermeidlich ist – plus Zinsen und Mahnkosten. Auch der Verkauf von eigenen Urkunden wie Führerscheinen oder Personalausweisen sei zum Teil sehr lukrativ.

Im lebhaften Chat, der sich an den Vortrag anschloss, wurde mehrfach nach der Gefährlichkeit der Szene gefragt: „Von der Selbstverwaltung zur Selbsterhaltung und von da bis zur Selbstverteidigung ist es oft ein kleiner Schritt.“ Die Szene radikalisiere sich schnell. So gehe man für das Jahr 2018 von 864 Straftaten im Jahr aus, davon 160 Gewalttaten.

Ein Anschlag sei jederzeit möglich

Zum Beispiel sei ein Gerichtsvollzieher von einer selbst ernannten Hilfspolizei der Reichsbürger massiv bedroht und festgesetzt worden. „Viel zu lange hat man sie als Spinner wahrgenommen. Erst seit im Jahr 2016 ein Polizist erschossen wurde, hat ein Umdenken eingesetzt.“ Ein Anschlag sei jederzeit möglich, betonte der Referent eindringlich.

Was tun, wenn man im Freundeskreis, im Verein oder in der Familie einen Reichsbürger identifiziert und im persönlichen Gespräch an seine Grenzen stößt? Jens Künstler vom Netzwerk gegen Rechts verweist auf eigene Beratungsangebote.

Ein Lehrer wollte im Chat wissen, wie er in der Schule reagieren soll angesichts eines Schülers aus der Szene. Speik empfiehlt, die Vorfälle zu dokumentieren, die Schulleitung zu informieren, wenn möglich das Gespräch mit den Eltern zu suchen – und wenn nötig, die Polizei einzuschalten. „Man muss darüber sprechen, sonst hat man am Ende ein großes Problem.“

www.vhs-gm.de netzgegenrechts-obk.de

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