Austrittswelle2022 war für Oberbergs Kirchen ein rabenschwarzes Jahr

Lesezeit 4 Minuten
Zu sehen ist ein Mann, der eine Kirche durch den Mittelgang verlässt und Richtung geöffneter Ausgangstür geht.

Die Kirchengemeinden Oberbergs sind 2022 kleiner geworden, das belegen die Zahlen der Amtsgerichte.

Bislang hielt das Jahr 2019 den Negativ-Rekord bei den oberbergischen Kirchenaustritten. Nun liegen Zahlen für 2022 vor. Und die sind dramatisch.

Genau 3085 Oberbergerinnen und Oberberger haben im vergangenen Jahr ihren Austritt aus der Kirche erklärt. Das geht aus Zahlen der drei oberbergischen Amtsgerichte in Gummersbach, Waldbröl und Wipperfürth hervor. Im Einzelnen verließen im Bezirk der Kreisstadt 1272 Menschen die Kirchengemeinden, in Waldbröl kehrten 724 und in Wipperfürth 1089 Frauen und Männer der Kirche den Rücken.

Bei ihrer Statistik weisen die Gerichte in Gummersbach und Waldbröl keine Unterteilung nach Konfessionen aus. In Wipperfürth wurden 389 Austritte aus der evangelischen und exakt 700 Austritte aus der katholischen Kirche dokumentiert. Überhaupt nicht erfasst wurden dagegen Austritte, die gegenüber einem Notar erklärt wurden. Fest steht aber so oder so: 2022 war in Oberberg ein pechschwarzes Jahr für die Kirchen. Dabei überbot das abgelaufene Jahr den bisherigen Negativ-Spitzenreiter, das Jahr 2021, noch einmal deutlich.

Über 800 Austritte mehr als 2021 in Oberberg

Im Vorvorjahr waren insgesamt 2281 Kirchenaustritte erklärt worden, rund um Gummersbach 968, um Waldbröl 585 und im Bereich Wipperfürth 728. Die katholische Kirche reagiert betroffen auf die neuen Zahlen. Überraschend seien die Daten jedoch nicht, betont Oberbergs Kreisdechant Christoph Bersch. „Jeder Kirchenaustritt geht über meinen Schreibtisch, und ich versuche, bei jedem einzelnen die Gründe für diese Entscheidung zu hinterfragen.“ Häufig berichteten ihm scheidende Kirchenmitglieder persönlich oder per Brief von einem eklatanten Vertrauensbruch zwischen ihnen und dem Kölner Erzbistum, so Bersch.

Alles zum Thema römisch-katholische Kirche

Was den Kreisdechanten im vergangenen Jahr besonders getroffen hat: „Sogar Menschen, die sich früher in der Kirche engagiert haben, etwa in Pfarrgemeinderäten mitarbeiteten, haben unsere Gemeinschaft zuletzt verlassen.“ Vor allem im Gummersbacher Raum habe zudem der Strafprozess gegen den früheren Gummersbacher Seelsorger Hans Ue. die Menschen schockiert. Ue. war im Februar vergangenen Jahres vom Kölner Landgericht wegen sexuellen Missbrauchs an insgesamt neun Minderjährigen zu zwölf Jahren Haft verurteilt worden.

Jeder Kirchenaustritt geht über meinen Schreibtisch, und ich versuche, bei jedem einzelnen die Gründe für diese Entscheidung zu hinterfragen.
Christoph Bersch, oberbergischer Kreisdechant

Trotz der vielen Austritte habe es im Vorjahr aber auch positive Signale gegeben, so Christoph Bersch. So seien die Taufen von erwachsenen Frauen und Männern schon deshalb etwas Besonderes, weil sie auf bewussten Entscheidungen für die katholische Kirche fußten. Die Kirche müsse zudem noch stärker auf ihr Engagement für die Menschen in Oberberg hinweisen, etwa über die Caritas oder die Ökumenische Notfallseelsorge zusammen mit der evangelischen Kirche.

Der Evangelische Kirchenkreis An der Agger möchte weniger die Zahlen kommentieren, sondern vielmehr das Bewusstsein für die Angebote und Institutionen wecken, die im Kreis von den Gläubigen auf die Beine gestellt werden. Kirchenkreis-Sprecherin Judith Thies nimmt ausdrücklich Bezug zur aktuellen Landessynode, die noch bis heute in Düsseldorf läuft und an der auch Superintendent Michael Braun teilnimmt. „Diese Veranstaltung legt den Schwerpunkt auf die Bildung und genau die ist auch eine Stärke unseres Kirchenkreises“, betont Thies.

Oberbergern klar machen, was Kirchen vor Ort leisten

Ein Beispiel: In den vergangenen Jahren habe der Kirchenkreis die Trägerschaft für sieben Kindertagesstätten übernommen. „Und bei Angeboten wie der Telefon-Seelsorge Oberberg ist vielleicht nicht allen Menschen klar, dass der Kirchenkreis der Träger ist“, vermutet Thies. Allerdings verändere sich die Gesellschaft insgesamt, so sieht es die Sprecherin. „Alle Organisationen und Vereine werden kleiner, die Menschen möchten sich nicht mehr langfristig binden – das betrifft nicht nur die Kirchengemeinden.“


Wie lange ist die Wartedauer für Kirchenaustritte bei den Amtsgerichten in Nordrhein-Westfalen? Diese Frage wollte die FDP-Landtagsfraktion im Rahmen einer Anfrage von NRW-Justizminister Dr. Benjamin Limbach beantwortet haben. Am Mittwoch stellte Limbach dem Rechtsausschuss des Landtags eine Übersicht über die von seinem Ministerium ermittelten Wartezeiten bei den einzelnen Amtsgerichten vor.

Das Ergebnis für Oberberg: Am schnellsten ist das Amtsgericht in Wipperfürth. Hier können unzufriedene Gläubige, die im Bezirk ihren Wohnort haben, ihre Austrittserklärung ohne Termin während der Sprechzeiten abgeben. In Gummersbach dauert es dem Ministerium zufolge rund anderthalb Monate, Termine für den Kirchenaustritt können hier online gebucht werden. In Waldbröl müssen Austrittswillige laut der Übersicht die meiste Zeit mitbringen. Auf rund drei Monate beziffert das Ministerium dort die Wartezeit bis zum Termin. „Für Kirchenaustritte ist eine vorherige telefonische Terminabsprache notwendig“, informiert das Waldbröler Gericht im Internet. 

Rundschau abonnieren