Vortrag in Oberberg„Arisierung“ von Unternehmen – Wie die Nazis fette Geschäfte machten

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In seinem Vortrag schildert der Journalist Armin H. Flesch fragwürdige Besitzerwechsel zuvor jüdischer Unternehmen.

In seinem Vortrag schildert der Journalist Armin H. Flesch fragwürdige Besitzerwechsel zuvor jüdischer Unternehmen.

Die Ergebnisse seiner jahrelangen, akribischen Recherche hat der Journalist Armin H. Flesch am Dienstag in Waldbröl und Wiehl vorgestellt.

Als der Journalist Armin H. Flesch am 20. Juni 2014 die Anfrage erhält, ob er nicht die Historie eines 1914 in Frankfurt gegründeten Zulieferunternehmens für die Automobilindustrie aufarbeiten möchte, stößt der heute 60-Jährige nicht etwa auf „100 Jahre Familientradition“, wie es auf den Internetseiten der Firma damals noch heißt, sondern auf den nahezu klassischen Fall der Übernahme eines einst jüdischen Unternehmens durch Menschen, die sich nach den Gesetzen der Nazis von 1935 und 1938 als reinrassig, als „Arier“, verstehen dürfen.

Für mich war der Fall Lahnstein nicht weniger als das perfekte Verbrechen-
Armin H. Flesch, Autor und Journalist

Der Frankfurter Flesch, der zuvor unter anderem als Medizin-Journalist gearbeitet hat, entscheidet sich, die Herausforderung anzunehmen, er steigt in die Recherche ein. „Den heillosen Aufwand aber habe ich völlig unterschätzt“, bekennt er. Die Ergebnisse seiner seither Jahre währenden, akribischen und oft heiklen Arbeit hat Flesch am Dienstag auf Einladung der Oberbergischen Gesellschaft für Christlich-Jüdische Zusammenarbeit und des Katholischen Bildungswerk erst im Waldbröler Hollenberg-Gymnasium und abends dann im Wiehler Forum der Volksbank Oberberg vorgestellt.

In der Marktstadt hören ihm die Jugendlichen des Abiturjahrgangs und der zehnten Jahrgangsstufe zu und erfahren, dass das Erbe solcher Arisierungen noch heute in Wohnzimmern zu finden ist. Allein in 50.000 Hamburger Haushalten, so schätzt der Frankfurter, finden sich Dinge, die einst Juden gehörten. Er wolle zeigen, dass das Wort „Arisierung“ in Vergessenheit geraten sein mag, aber dieses Thema auch die jüngsten Generationen immer noch betreffen kann.

Die Versteigerungen jüdischer Firmen, auch Aktion 3 genannt, waren Volksfeste

Und was mit den Versteigerungen von Eigentum jüdischer Familien von der Butterdose bis hin zum Haus beginnt, sich in den Repressalien gegen jüdische Händler und Geschäftsleute fortsetzt, findet Vollendung in den Eigentümerwechseln jüdischer Firmen und Fabriken – für die Nazis und ihre Anhänger „stets lohnende Investments“. „Die Versteigerungen, auch Aktion 3 genannt, waren Volksfeste, sie waren die Schnäppchenjagd des Dritten Reichs“, sagt der Frankfurter und zeigt Fotos fröhlicher Menschen in Hanau und Lörrach, die sich gerade das Wohnen etwas schöner machen – aufgenommen um 1940.

Flesch schildert aber auch die Geschichte jener Firma in Frankfurt und die eines Herstellers für Spezialchemie in Lahnstein, deren Nachfolge-Unternehmen heute Umsätze im oberen dreistelligen Millionenbereich verbuchen. Beide werden in den 1930er Jahren von den Gründerfamilien geführt.

Der Frankfurter berichtet von deren Schicksalen ebenso wie von vielen, vielen Fragen ohne Antwort, von abgewiesenen Interviewwünschen, verdrehten Tatsachen, fadenscheinigen Lügen, verwinkelten Seilschaften, vertrackten Kreditgeschäften und vermeintlicher Unwissenheit dessen, was wirklich geschehen ist – für den Journalisten Motivation genug, um weiterzumachen: „Für mich war der Fall Lahnstein nicht weniger als das perfekte Verbrechen.“

Die Namen bekannter Bankhäuser fallen, auch die von später in der Bundesrepublik ausgezeichneten Persönlichkeiten. Bald gehe er den dritten Fall einer Arisierung an. „Im Mai reise ich nach London und hoffe in den Archiven auf reichhaltige Funde.“

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